Kulturen verstehen, Kultur leben
Philosophische Betrachtungen
Kulturen leben und verstehen deutet auf vielfache Abhängigkeiten und auf wechselseitige Prozesse von Vergemeinschaftung und Individualisierung hin. Die Pluralität der Kulturen ist dabei unaufhebbar, allein schon, weil ihre Ursprünge, geschichtlichen Einflüsse und Dimensionen vielfältig sind. Kulturelle Lebensformen sind stets offene Ensembles oder Ethos-Formationen von Lokalität, Sozialität und Personalität, die sich bei ihren Mitgliedern in spezifischer Weise verkörpern.
Die Dynamik der Bildung und Umbildung der kulturellen Lebensformen macht Geschichte immer auch zur Kulturgeschichte. Diese hat freilich im Neuzeitprozess durch ihre verschiedenen Modernisierungs- und Rationalisierungsschübe zu einer hochkomplexen Globalisierungssituation geführt, die durch den Ukraine-Krieg die Weltsituation auf neue Weise spannungsreich und gefährlich werden lässt. Was hier Weltgesellschaft heißen mag, welche kulturellen Orientierungen mit vielleicht unverträglichen Momenten zusammenkommen, aber auch, wie wir auf konkrete Lebensformen zur Orientierung angewiesen bleiben, werden wir unter Hinzuziehung einiger Filmausschnitte aus dem Lebenswerk von Alexander Kluge diskutieren.
Ihr/e Referent/in und Tagungsleitung
Samstag, 22. Oktober 2022
14.00 Uhr
Der Kulturbegriff
Vieldeutigkeit und interdisziplinäre Zugänge
Kulturen gibt es nicht als solche; sie liegen nicht einfach wie Dinge vor uns. Sie bilden vielmehr komplexe Sinn-Welten. Die Vielfalt der Kulturbegriffe ist deshalb kein Zufall und die Transformation der antiken Cultura-Auffassung im Verhältnis zur traditionalen politischen und religiösen Ordnung, des eigenständig modernen und postmodernen Kulturverständnisses wird ebenso behandelt wie zentrale wissenschaftliche und kulturphilosophische Zugänge vorgestellt werden.
15.30 Uhr
Kaffee- und Teepause
16.00 Uhr
Tiefenstrukturen der europäischen Kulturgeschichte
Max Webers „Protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“
Vielfach wird die moderne säkulare Kultur des Westens als das Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses der „Entzauberung der Welt“ durch immer umfassendere Rationalisierungen beschrieben. Max Weber, der seine Soziologie explizit als Kultur- und Wirklichkeitswissenschaft versteht, spricht dem Zusammenhang zwischen der Ethik des protestantischen Christentums und dem sich durchsetzenden ökonomischen Denken eine zentrale Rolle zu. Der Entstehung und den Auswirkungen des modernen Arbeits- und Berufsverständnisses im Kontext einer zunehmend einseitiger am Erwerb orientierten Kultur wird im Ausgang von Webers Hauptschrift nachgegangen.
18.00 Uhr
Abendessen
19.00 Uhr
Deutschland – eine „Kulturnation“
Helmuth Plessners kritische Analyse in „Die verspätete Nation“
Auch der Weber-Schüler Helmuth Plessner bindet seine kritischen Analysen der spezifisch deutschen Geschichte stets zurück an die Kultur-, Geistes- und Philosophiegeschichte Europas. Besonderes Augenmerk legt er auf die Funktion der deutschen Kultur als „säkularisiertes Luthertum“. Er fragt, warum gerade in Deutschland eine spezifische Wertschätzung der Kultur mit ihrem „urdeutschen Pathos“ entstehen konnte, warum die deutsche Geschichte die Philosophie insbesondere über Kant, Kierkegaard, Marx, Nietzsche bis hin zu Heidegger selbst als normative Instanz destruiert hat und so dem Nationalsozialismus nichts mehr entgegensetzen konnte, stattdessen aber auf das deutsche Volkstum setzte. Es wird zu klären sein, was dieser geschichtliche Hintergrund insgesamt für das Verständnis des spezifisch deutschen Begriffs der „Kulturnation“ zu bedeuten hat.
21.15 Uhr
Ende des Veranstaltungstages
Sonntag, 23. Oktober 2022
ab 7.00 Uhr
Frühstück für Übernachtungsgäste
8.00 Uhr
Gelegenheit zum Besuch eines katholischen Gottesdienstes in der Edith-Stein-Kapelle
9.30 Uhr
Kultur (in) der Weltgesellschaft
Leben in der pluralen Migrationsgesellschaft
Handlungsroutinen, geteilte Verhaltensmuster, uns lieb gewordene Kontinuitäten mit vertrauten Relevanzordnungen weichen unüberschaubaren Veränderungsdynamiken, offenen Vernetzungen, disruptiven Kontexten, derart vielen technischen und medialen Kommunikationsmöglichkeiten, dass menschliches Zuhause-sein, gemeinschaftliche Praxis und Zugehörigkeit zu sinnstiftenden Lebensformen kaum noch möglich sind. Was bedeutet eine solche tendenzielle Auflösung orientierender Lebensformen, was bringen eine solche Zunahme von Kontingenz und Beliebigkeit, von Ort- und Heimatlosigkeit mit sich?
11.00 Uhr
Kaffee- und Teepause
11.30 Uhr
Kulturelle und interkulturelle Kompetenz
Zur Kunst des Umgangs mit Vertrautem und Fremdem
Das Wissen um die eigene Herkunftsgeschichte und die Anerkennung andersartiger, heterogener kultureller Traditionen ist sicher ein wesentlicher Bestandteil der kulturellen Kompetenz, die anhand verschiedener Modelle diskutiert wird. Philosophisch soll dafür auch die Produktivität des Missverstehens für Verstehensprozesse berücksichtigt und das Wechselspiel von Vertrautem und Fremdem betont werden.
13.15 Uhr
Mittagessen
14.00 Uhr
Ende des Seminars
Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.