Briefe aus dem Hohen Haus
Neuentdeckte Privatkorrespondenz von Abgeordneten seit dem Kaiserreich
Von 1871 bis 1918 war der Reichstag das Parlament des Deutschen Kaiserreichs. Wilhelm I., der die Regierungsgeschäfte in dieser konstitutionellen Monarchie weitgehend seinem Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzler Otto Graf von Bismarck übertrug, musste sich mit dem ungeliebten Berlin als Hauptstadt arrangieren: Dort wurde 1894 das Reichstagsgebäude eingeweiht, und hier nahmen von nun an gewählte Abgeordnete des noch jungen Nationalstaats ihr Mandat wahr.
Doch zwischen dem heimatlichen Wahlbezirk und Berlin lagen oft große Distanzen: München oder auch Straßburg im damaligen Elsass-Lothringen lagen Tagereisen entfernt. Wie also konnte die Arbeit damaliger Abgeordneter gelingen? Wie wurde dieses Amt ausgeübt in einer Zeit, in der das Telefon gerade erst erfunden war? Wie konnte Demokratie unter solchen Bedingungen tatsächlich stattfinden? In privaten und mitunter sehr persönlichen Briefen, zur Zeit ein aktueller Forschungsgegenstand, erschließt sich ein spannendes Bild, das auch Rückschlüsse auf das Hier und Jetzt zulässt.
Prof. Dr. Andreas Schulz ist als Generalsekretär der Kommission für die Geschichte des Parlamentarismus aktuell mit dem Forschungsprojekt „Briefe“ befasst.
Herzliche Einladung!
Ihr/e Referent/in und Tagungsleitung
Samstag, 3. Dezember 2022
14.00 Uhr
Parlament und Publikum
Persönlichkeiten im Porträt
In der konstitutionellen Monarchie war das Parlament das wichtigste Forum der Demokratie. Alle zentralen politischen Fragen wurden hier im Namen des Volkes vor den Augen der Nation verhandelt. Für die Abgeordneten kam es entscheidend darauf an, ihr Publikum durch Redegewandtheit und Darstellungstalent zu beeindrucken. Das Seminar beginnt mit der Lektüre zeitgenössischer Rednerporträts aus der französischen Nationalversammlung und der Paulskirche 1848. Anschließend sollen aktuelle Redebeispiele geglückter wie missratener Parlamentsauftritte analysiert werden.
16.15 Uhr
Kaffee- und Teepause
16.30 Uhr
Alles nur Theater?
Parteiregie und Selbstdarstellung im Parlament
Inszenierter Streit und vorhersehbare Statements entlang der Parteilinie gehören zu den das Publikum ermüdenden Alltagsroutinen des parlamentarischen Betriebs. Daher sindperformative Elemente essentiell. Warum Demokratie Parteien braucht, darüber wird in dieser Sektion zu diskutieren sein. Parlamentarische Spielregeln, die damals wie heute für alle verbindlich sind und Freiräume, die den Abgeordneten dennoch bleiben, stehen dabei im Mittelpunkt.
18.00 Uhr
Abendessen
19.15 Uhr
Selbstgespräche
Privatbriefe als wissenschaftlich nutzbarer Schatz
Kompetitive Wahlkämpfe und die kritische Berichterstattung der Presse stellten die Abgeordneten im Kaiserreich vor neue Herausforderungen. Wie sie die Belastungen des politischen Massenmarktes bewältigten, darüber geben klassische Parlamentsquellen keine Auskunft. Tagebücher und vor allem private Briefe dagegen waren ein Medium, in dem das Erlebte verarbeitet und reflektiert wurde. In dieser Sektion werden Korrespondenzen zwischen Abgeordneten und ihren Ehefrauen gemeinsam gelesen und dabei Einblicke in ein aktuelles wissenschaftliches Forschungsvorhaben ermöglicht.
21.30 Uhr
Ende des Veranstaltungstages
Sonntag, 4. Dezember 2022
ab 7.00 Uhr
Frühstück für Übernachtungsgäste
8.00 Uhr
Gelegenheit zum Besuch eines katholischen Gottesdienstes in der Edith-Stein-Kapelle
9.45 Uhr
Lebenswelten
Bürgerliche Anonymität und Berliner Mandat
Mit der Annahme eines Mandats vollzog jeder Kandidat einen Übergangsritus: Er trat aus der Anonymität bürgerlicher Privatheit heraus und wurde zur öffentlichen Person. Zum Volksvertreter gewählt und auf das Gesamtwohl verpflichtet, blieb er gleichzeitig seinen privaten Interessen, Beruf und Familie eng verbunden. Wie sich unter den Bedingungen der Diätenlosigkeit (bis 1906) die verschiedenen Lebensbereiche organisieren ließen und welcher Ressourcen Abgeordnete sich bedienen konnten, soll an einigen Fallbeispielen präsentiert werden.
11.15 Uhr
Kaffee- und Teepause
11.30 Uhr
Vorhang auf!
Frauen im Parlament
Mit der revolutionären Wahlrechtsreform 1918 betraten Frauen die parlamentarische Bühne. Wie Eindringlinge in ein fremdes Stammesgebiet von ihren männlichen Kollegen misstrauisch betrachtet, mussten sie sich dort behaupten und um Anerkennung kämpfen. Ob und wie sich die politische Geschlechterordnung auf lange Sicht durch ihre Parlamentsauftritte veränderte, soll abschließend unter Einbeziehung aktueller Paritätsforderungen diskutiert werden.
13.00 Uhr
Mittagessen
14.00 Uhr
Ende der Akademietagung
Referent
Prof. Dr. Andreas Schulz, Historiker und Generalsekretär der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e. V., Berlin
Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.