„Die Welt muss romantisiert werden!“
Die Romantik als Epochenphänomen und Geisteshaltung
„Die Welt romantisieren heißt, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt.“
Novalis
Die Romantik ist ein komplexes Phänomen. Das macht sie so faszinierend. Als Bewegung der Geistes- und Kulturgeschichte ist sie einer bestimmten historischen Konstellation zugeordnet. Als Geisteshaltung ist sie jedoch bis heute wirkmächtig.
Oft wird die Romantik als Abwehrreaktion auf die Moderne verstanden. Leicht geraten dabei die Neuerungen aus dem Blick, die mit der Romantik in die Welt kamen: die Kunstreligion, die romantische Ironie und nicht zuletzt die Wertschätzung für die volkstümlichen Kulturleistungen.
Die romantischen Grundthemen – die menschliche Seele und ihre Abgründe, die Individualität, aber auch die metaphysische Unbehaustheit des modernen Menschen – sind hochaktuell. Gleiches gilt für den Impuls, Grenzen zu überschreiten. Nicht zufällig entsteht die Idee des Gesamtkunstwerks in der Romantik.
Die Romantik erfasste nicht nur Poesie und Philosophie, sondern auch Wissenschaften und Medizin, die bildenden Künste und schließlich die Musik. Entsprechend interdisziplinär nähert sich der Bensberger Romantik-Sommer diesem Epochenphänomen mit Vorträgen, musikalischen Aufführungen und dem Erleben der bildenden Kunst. Die Romantik wird nicht nur intellektuell erschlossen, sondern als Geisteshaltung und Lebensgefühl erfahrbar.
Samstag, 25. Juni 2022
Ab 13.00 Uhr
Individuelle Anreise nach Bensberg
14.00 Uhr
Willkommen in Bensberg!
Begrüßung
• Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent
14.30 Uhr I Vortrag und Gespräch
Metaphysische Luftschlösser
Über die Verhältnisse der eigenen Vernunft leben
Man kann die Romantik als die Kunst bezeichnen, metaphysische Luftschlösser zu bauen – und zwar solche, von denen man weiß, dass es Luftschlösser, also bloße Einbildungen sind. Romantik ist die stilistische Evidenz, dass man über die Verhältnisse seiner Vernunft lebt; oder anders gesagt: Sie schafft Aufklärung über die Lebenswirksamkeit der Fantasie. Das hat mit der stilistischen Raffinesse romantischer Dichtungen zu tun, aber auch mit der Entwicklung der Lesekultur um 1800.
Prof. Dr. Stefan Matuschek, Friedrich-Schiller-Universität Jena
16.00 Uhr
Kaffee- und Teepause
16.30 Uhr I Vortrag und Gespräch
Das Fantastische
Die Erschließung der menschlichen Psyche durch die Literatur
Romantik ist keine Wiederverzauberung der Welt, kein Rückfall hinter die Aufklärung. Sie bringt vielmehr eine revolutionär neue Verwendung der alten Märchen-, Glaubens- oder Aberglaubensmotive. Sie werden zur anschaulichen Erschließung der menschlichen Psyche genutzt. Am virtuosesten und unterhaltsamsten beherrscht E.T.A. Hoffmann diese Kunst. Doch auch Goethes und Keats Vampire geben davon Zeugnis.
Prof. Dr. Stefan Matuschek
18.00 Uhr
Abendessen
19.30 Uhr I Musikalisches Abendprogramm
„Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht“
Beethovens romantischer Impuls
Wann beginnt die Romantik in der Musik? Glauben wir den Zeitgenossen, so ist die Antwort klar: mit Beethoven natürlich! So befand E.T.A. Hoffmann: „Beethovens Musik bewegt die Hebel der Furcht, des Schauers, des Entsetzens, des Schmerzes und erweckt eben jene unendliche Sehnsucht, welche das Wesen der Romantik ist.“ Und Robert Schumann stellte in seinen Schriften kurz und bündig fest, dass sämtliche Innovationen der musikalischen Romantik auf Beethoven zurückgehen.
In dem Gesprächskonzert verbinden Dr. Ulrike Kienzle und Michael Gees, ein Phi-losoph am Klavier, Reflexion und Musik zu einem ebenso spontanen wie span-nenden Diskurs aus Texten und Tönen. Im Zentrum stehen ausgewählte Klavierstücke der Romantik, die Michael Gees nicht nur vortragen, sondern auch musikalisch weiterdenken wird.
Mitwirkende:
• Michael Gees, Klavier
• Dr. Ulrike Kienzle, Reflexionen
21.00 Uhr
Ende des Veranstaltungstages
Sonntag, 26. Juni 2022
ab 7.00 Uhr
Frühstück für Übernachtungsgäste
8.00 Uhr
Gelegenheit zur Teilnahme am katholischen Gottesdienst in der Edith-Stein-Kapelle
9.15 Uhr I Vortrag und Gespräch
Zwischen Emanzipation und Nationalismus
Die politische Janusköpfigkeit der Romantik
In der Romantik wird die Literatur zum ersten Mal als nationale Größe verstanden. Darin liegt einerseits ein einheitsstiftender, emanzipatorischer Impuls gegen die feudale Kleinstaaterei, andererseits aber die Tendenz zu ideologischem, feindbildgestütztem Nationalismus. Die Gründung der Germanistik zeugt von dieser Janusköpfigkeit, die sich deutlich auch im Werk der Brüder Grimm, selbst in deren Märchensammlung findet.
Prof. Dr. Stefan Matuschek
10.45 Uhr
Kaffee- und Teepause
11.15 Uhr I Vortrag und Gespräch
„Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf…“
Versuch über das Romantische in der Musik
Dem 19. Jahrhundert galt die Musik als „romantischste“ aller Künste, weil sie an kein sichtbares Objekt gebunden ist und die Seele in transzendente Höhen zu versetzen vermag. Die Gesetze der Musik fand man in der Natur, vor allem aber in der Seele des Menschen, die von der Musik sympathetisch zum Schwingen gebracht wird. Die Komponisten der Romantik – von Franz Schubert bis hin zu Richard Wagner – ließen sich von der Literatur inspirieren und übertrugen das Prinzip der „Progressiven Universalpoesie“ auf die Tonkunst. Charakterstücke, „Lieder ohne Worte“ oder Sinfonische Dichtungen sind neue, wegweisende Gattungen. Klang-farben werden auf neuartige Weise in den kompositorischen Prozess integriert, die Harmonik erweitert sich. Die Begeisterung für das deutsche Mittelalter, politische Visionen und die Suche nach der Darstellung psychischer Grenzzustände inspirieren Carl Maria von Weber und Richard Wagner zu innovativen Entwicklungen auf dem Gebiet der Oper.
Dr. Ulrike Kienzle, Musikwissenschaftlerin und Kuratorin
12.45 Uhr
Mittagessen
13.45 Uhr I Vortrag und Gespräch
„… und sein Erbarmen ist kein Spott!“
Richard Wagners Oper Tannhäuser zwischen romantischer Verklärung und revolutionärem Aufbegehren
Richard Wagners Oper Tannhäuser trägt den Untertitel „Romantische Oper“. Doch was ist wirklich „romantisch“ an diesem revolutionären Werk? Die Hinwendung der Romantiker zum katholischen Mittelalter wird hier jedenfalls gründlich in Frage gestellt. Tannhäuser ist ein Werk des Aufbegehrens: Die Oper thematisiert den schroffen Gegensatz zwischen freier Selbstentfaltung und gesellschaftlichen Repressionen. Sie betont den Konflikt zwi-schen der freien Liebe und dem Zwang zur gesellschaftlich verordneten Askese. Dazu kommt das spannungsvolle Verhältnis zwischen Heidentum und Christentum. Venus, Maria und Elisabeth repräsentieren diese Gegensätze und die Möglichkeit ihrer Überwindung in einer „Liebes-Religion der Zukunft“. Der Vortrag beleuchtet diese Zusammenhänge vor dem Hintergrund von Wagners Quellen (Heine, Bechstein, Jacob Grimm u. a.), der mittelalterlichen Marienmystik sowie der Analyse ausgewählter musikalischer Passagen.
Dr. Ulrike Kienzle
15.15 Uhr
Kaffee- und Teepause
(mit Stärkung für den Opernbesuch)
16.30 Uhr
Fahrt zur Oper Wuppertal
18.00 Uhr I Oper Wuppertal
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Romantische Oper in drei Akten
Gekleidet in den mittelalterlichen Stoff des Sängerkriegs erzählt Richard Wagner in seiner Oper Tannhäuser vom gescheiterten Versuch der Wiedereingliederung eines rebellischen Außenseiters in die Gesellschaft. Hinter der Suche nach Ganzheit jenseits bürgerlicher Moralvorstellungen verbirgt sich die Sehnsucht nach persönlicher Erlösung. Doch am Ende bleiben die Hauptfiguren alleine, verhallt auch jedes göttliche Machtwort unerhört.
Mit Wagners Tannhäuser gibt Patrick Hahn seinen Einstand als jüngster Generalmusikdirektor im deutschsprachigen Raum.
23.00 Uhr
Rückfahrt nach Bensberg
Montag, 27. Juni 2022
ab 7.00 Uhr
Frühstück für Übernachtungsgäste
10.00 Uhr I Gesprächrunde
Ein Blick zurück
Die Wuppertaler Operninszenierung im Gespräch
Das moderne Regietheater hat die Aufgabe, Werke der Vergangenheit der musealen Verklärung zu entreißen und sie für die Gegenwart neu zu erschließen. Oftmals entstehen dabei spannende Verfremdungseffekte, die aber auch irritieren können. Jede Inszenierung will wie ein zusätzlicher Subtext gelesen und auf das Werk bezogen werden. In der Gesprächsrunde zum Besuch der „Tannhäuser“-Aufführung in Wuppertal am Vortag werden Eindrücke des Abends reflektiert und diskutiert.
Dr. Ulrike Kienzle
11.00 Uhr
Kaffee- und Teepause
11.30 Uhr I Vortrag und Gespräch
Still und statisch – doch beredet, bewegt und voller Klänge
Bildwelten der Frühromantik
Die Spannweite der romantischen Strömung im Blick, wollen wir in die Tiefe gehen: Anhand berühmter Werke und weniger bekannter Preziosen von Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich werden die thematisch-ikonographischen und stilistisch-formalen Mittel sowie deren synästhetische Ausdrucksqualitäten ausgelotet, mit denen die deutsche Frühromantik maßgeblichen Kunstrichtungen des 19. Jahrhunderts den Weg ebnen und bis in die Moderne hinein spürbar bleiben sollte. Entsprechende Spielräume eröffnen gerade die Diskrepanzen, etwa zwischen Runges Bildnis „Die Eltern des Künstlers” (1806) und Friedrichs „Lebensstufen” (1834/35), ein Landschaftsgemälde, in dem die menschlichen Gestalten als Staffagefiguren von symbolischem Wert fungieren.
• Dr. Karoline Künkler, Kunstwissenschaftlerin und Autorin
13.00 Uhr
Mittagessen
14.15 Uhr I Vortrag und Gespräch
Von der Kunstreligion zum bürgerlich gestimmten Realismus
Nazarener und Düsseldorfer Malerschule
Wie Runge und Friedrich huldigen die Nazarener, mit denen die Spätromantik beginnt, dem Gefühl, ihnen jedoch ist die Religion wichtigste Inspirationsquelle. Zudem sehnen sie nichts Neues herbei, sondern orientieren sich an der Vergangenheit. Zwar hatte sich die Lukasbruderschaft in Rom als erste Künstlergruppe schlechthin aus dem Geist des Anti-Akademismus formiert, aber gemeinsame Freskenzyklen wie individuelle Œuvres lassen eine Reakademisierung erkennen, aus der schließlich das Direktorat Wilhelm von Schadows an der Düsseldorfer Kunstakademie resultiert. Die realistische Landschaftsmalerei, die sich hier herausbildet, gelangt um 1835 unter dem Namen „Düsseldorfer Malerschule” zu internationalem Erfolg und lässt den Einzelgänger Friedrich ins Abseits geraten. Nach 1906 erfährt sein Werk als Inbegriff romantischer Malerei ungeahnte Popularität im Zeichen der Moderne.
• Dr. Karoline Künkler
16.00 Uhr
Kaffee- und Teepause
16.30 Uhr I Gesprächsrunde
Kein Eskapismus!
Romantik als Epochenphänomen und Geisteshaltung
Abschließendes Gespräch mit
• Dr. Ulrike Kienzle
• Dr. Karoline Künkler
18.00 Uhr
Abendessen
Abend zur freien Verfügung
Dienstag, 28. Juni 2022
ab 7.00 Uhr
Frühstück für Übernachtungsgäste
9.00 Uhr
Fahrt mit einem Reisebus nach Köln
10.00 Uhr I Museumsbesuch
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
Hinweis: Im Museum wird die Gruppe geteilt. Die erste Teilgruppe wird am Vor-, die zweite am Nachmittag geführt. Die jeweils andere Teilgruppe besucht die Ausstellungen ohne Führung.
Museumsführung
Auge in Auge mit Friedrich und seinen (entfernten) Verwandten
Romantiker im kunsthistorischen Kontext
Was der Vortrag nicht leisten kann, erbringt die Führung im Museum: die Begegnung mit dem Original. Saal für Saal durchschreitend, werden wir uns die Kunstgeschichte rund um die Romantik erwandern, das Davor (Hackert und J. A. Koch) und das Danach (Bendemann, die Realisten Courbet und Leibl, Impressionisten wie Signac, Monet, Cézanne). Friedrichs „Flussufer im Nebel” (um 1821) gehört zu den ausgewählten Exponaten, bei denen wir länger Station machen und die Nah- und Fernwirkung des Gemäldes erproben, sein Format in der realen Größe erfahren, die Materialität von Öl auf Leinwand erspüren, die Qualität des Duktus erkennen. Daneben gilt es, vor den Plastiken von Rudolf von Schadow, Hildebrand und Rodin – Spiegel unseres körperlichen Selbst – zu ergründen, warum die Romantik keine bildhauerischen Werke hervorgebracht hat
Führung mit Bildanalysen ausgewählter Werke aus der Dauerausstellung
• Dr. Karoline Künkler
12.00 Uhr
Mittagessen
Gilden im Zims, Köln
13.30 Uhr I Museumsbesuch, Teil 2
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
15.30 Uhr
Rückfahrt mit dem Bus nach Bensberg
16.15 Uhr I Verabschiedung
Auf Wiedersehen!
Mitwirkende
• Michael Gees, Pianist, Improvisator, Komponist, und Gründer des Consol Theaters in Gelsenkirchen
• PD Dr. Ulrike Kienzle, Musikwissenschaftlerin, Kuratorin für Musik des Deutschen Romantik-Museums Frankfurt am Main, Dramaturgin der Brentano-Akademie Aschaffenburg und Leiterin des Projekts „Musikstadt Frankfurt“ der Frankfurter Bürgerstiftung
• Dr. Karoline Künkler, Dozentin und Autorin für Kunstwissenschaften sowie Freihandzeichnerin (Absolventin der Kunstakademie Düsseldorf); die Romantik gehört zu ihren Forschungsschwerpunkten.
Prof. Dr. Stefan Matuschek, Inhaber des Lehrstuhls für „Neuere deutsche Literatur, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft“, Friedrich-Schiller-Universität Jena und Präsident der Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V.
Leitung
• Dr. Matthias Lehnert, Referent, Thomas-Morus-Akademie Bensberg
Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.