Die Enttäuschung des Kreuzes-Mehr im Blog der Akademie-Impuls von Axel Hammes

Die Enttäuschung des Kreuzes

Diese Gelegenheit konnte sich der Statthalter der Supermacht nicht entgehen lassen. Wo die stolze Stadt voller Pilger steckt, will er dieses störrische Volk einmal ordentlich vorführen. Im Blick auf das Elend den politischen Leichtmatrosen namens Jesus hält Pontius Pilatus den Juden seinen höhnischen Spiegel vor: So erbärmlich und so lächerlich wie dieser Möchte-Gern-Messias aus Galiläa seid ihr selbst! „Ecce homo – Seht den Menschen!“ (Joh 19,5).

Wer noch die Unterhaltung im Ohr hatte, die Pilatus kurz zuvor mit dem Angeklagten führte, nimmt noch ganz andere Töne war (vgl. Joh 18,29-38). Wie so oft im Johannesevangelium sagt hier jemand unfreiwillig sehr viel mehr, als er eigentlich beabsichtigt hat. Denn was vom Menschen bekommen wir zu sehen, wenn wir auf den gefolterten Christus schauen? Der Machthaber präsentiert uns den Menschen, wie er wirklich ist, und zugleich was er von Gott her sein könnte.

Diese doppelte Perspektive lotet auch die Kölner Dichterin Hilde Domin (*1909 †2006) in ebenso knappen wie präzisen Worten aus:

Ecce Homo

Weniger als die Hoffnung auf ihn

das ist der Mensch
einarmig
immer

Nur der gekreuzigte
beide Arme
weit offen
der Hier-Bin-Ich

Der Mensch enttäuscht – sich selbst, die Erwartungen anderer, die Ansprüche und Ideale. Ohne sie würde er verkümmern. Mit ihnen macht er die Erfahrung, sich ein ums andere Mal zu verfehlen. „Weniger als die Hoffnung auf ihn“. Zum echten Menschsein gehören unausweichlich Mangel, Stückwerk und Scheitern dazu. Alles, was wir zu Wege bringen, wird nie ganz fertig, bleibt Fragment. „Einarmig“ ist der Mensch, verkrüppelt, weil dauerhaft unfähig, über eine Erste Hilfe zum Leben hinauszukommen. Antonio Sauras „Crucifixión“ aus dem Jahr 1959 führt uns solch fragmentiertes und demontiertes Menschsein in brutaler Eindringlichkeit vor.

Doch es gibt einen Grund, die Hoffnung nicht zu verlieren: den „gekreuzigten“. Bewusst schreibt die Dichterin das Wort klein. Denn alle von seinem Kreuz in welcher Weise auch immer gezeichneten sind eingeschrieben in dieses kleine Wort. Wo der Mensch für gewöhnlich einarmig bleibt, behindert und gehindert – da macht der Gekreuzigte das Menschsein komplett – „zweiarmig“. Er spannt die Arme aus am Holz des Kreuzes. Seine bedingungslose Offenheit geht aufs Ganze, verliert jeglichen Schutz, riskiert die tödliche Verwundung. Nur so kann sich sein Weg vollenden (Joh 19,30), der Mensch vollständig werden.

„Hier-Bin-Ich“ – der Gott, der sich einst dem Mose als die pure Gegenwart, das absolute Dasein für uns offenbart hat (Ex 3,14), ist angekommen am äußersten Punkt des Menschlichen. Im Gekreuzigten zeigt er sich neu. Und in jedem von uns „Einarmigen“ wird er sichtbar, wo wir eintreten in die Offenheit des Gekreuzigten.

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Bild:
Antonio SAURA, Crucifixión
Kolumba, Köln © VG BILD-Kunst 2005

Osterfreude

Texte & Gedanken an den Kar- und Ostertagen

Pfarrer Dr. Axel Hammes, Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach, wird die Kar- und Ostertage mit Texten in unserem Blog „Akademie in den Häusern“ gestalten. Ein regelmäßiger Blick in unseren Blog lohnt sich!

15. April 2022 || ein Beitrag von Pfarrer Dr. Axel Hammes, Lehrbeauftragter für Neues Testament und Homiletik in Köln, Bonn und Lantershofen; Geistlicher Begleiter; bis 2021 Spiritual am Collegium Albertinum in Bonn, seit Anfang 2022 Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach