Am Rand der Gesellschaft ist mitten unter uns.

Ein Interview mit Bärbel Ackerschott, Leiterin der Notschlafstelle Notel

Wie geht es Ihnen und Ihrem Team in dieser besonderen Zeit? Wie geht es Ihren Besuchern? Welche Hilfen können Sie zurzeit anbieten?

Auf Grund eines sehr guten Hygienekonzeptes sind wir sehr froh, dass wir unser Angebot uneingeschränkt aufrechterhalten können. Selbstverständlich halten wir alle erforderlichen Corona-Schutzmaßnahmen ein. Bevor die Gäste unser Haus betreten, wird Fieber gemessen, die Hände desinfiziert. Das Notel wird nur einzeln betreten; Maske tragen und Abstand halten gehören natürlich auch zu unseren Corona-Regeln, an die sich die Gäste und wir halten. Es ist ein wenig ungemütlicher geworden, überall stehen Plexiglasscheiben, das gemeinsame Abendessen fällt weg, stattdessen können sich unsere Gäste wie in einer Kantine ihr Essen holen. Wir sind glücklich darüber, dass wir zusätzlich zu den 10 Betten und 6 Krankenbetten, außerdem auch Isomatten und Schlafsäcke austeilen können, denn nicht jeder hält es in geschlossenen Räumen aus. Auch unser Angebot, an Sonn- und Feiertagen, einen Kaffee gemeinsam zu trinken und eine stärkende Suppe zu essen, können wir aufrechthalten.

Für unsere Gäste, die obdachlos und suchtkrank sind, ist die aktuelle Corona-Situation sehr schwer. Ihre Einnahmequellen fallen weg: keine Touristen, die beim Betteln Geld geben, kaum Pfandflaschen in den Mülleimern… für Suchtkranke ist das Leben auf der Straße gerade sehr angespannt. Denn Geld zu beschaffen, um die Sucht zu finanzieren, ist für sie existenziell.

In Ihrem Notel gilt die absichtslose Gastfreundschaft. Wie leben Sie diese?

Wir bieten ein niedrigschwelliges Angebot, wir arbeiten suchbegleitend und suchtakzeptierend. Jeder ist bei uns willkommen, so wie er ist. Wir motivieren unsere Gäste nicht, ein drogenfreies Leben zu führen. Jeder unserer Gäste weiß, wie zerstörerisch seine Sucht ist. Wenn sich jedoch jemand meldet und selbst aktiv werden möchte, dann unterstützen wir und bieten viele Hilfestellungen an. Wir sorgen dafür, dass die Menschen, in der Wüste ihres Lebens überleben und für ein Leben danach noch genügend Ressourcen haben. Der Weg durch die Wüste kann lang sein, denn so oft machen unsere Gäste zwei Schritte vor und fünf zurück. In gewisser Weise sind unsere Gäste wie das Volk in der Wüste, das 40 Jahre gebraucht hat, um ins gelobte Land zu finden. Wir begleiten Sie durch die Wüste ihres Lebens und hoffen für jeden, dass er das gelobte Land erreicht.

Auch Jesus hat die Menschen immer erst gefragt: Was willst Du? So halten wir es auch und begegnen unseren Gästen auf Augenhöhe. Denn jemanden sein Leben zu erklären, ist eine Form der Übergriffigkeit. Erreichen würden wir damit nichts, auch wenn wir manchmal kopfschüttelnd daneben stehen. Wir sind da, wenn wir gebraucht werden, und wollen die Lebensverhältnisse erträglicher machen, aber wir retten niemanden gegen seinen Willen.

Was brauchen die Menschen, die auf der Straße leben, am meisten? Wie können auch Außenstehende ihnen helfen?

Neben Geld, um ihre Suchtmittel zu beschaffen, benötigen sie natürlich warme Winterkleidung wie Jacken, Unterwäsche und Schuhe. Glücklicherweise können wir durch unseren engagierten Förderverein einmal im Jahr neue Winterkleidung kaufen und müssen nicht auf Altkleider zurückgreifen. Natürlich wünschen sich die meisten auch eine Wohnung, um die Möglichkeit zu bekommen, wieder ein geordnetes Leben führen zu können. Ihre Sucht wirkt wie eine Bremse. Daher befürworte ich auch das Konzept „housing first“. Dabei wird eine obdachlose Person bedingungslos – also auch ohne Annahme einer Mietfähigkeit – in eine Wohnung vermittelt. Aus der Sicherheit und Struktur heraus, die eine Wohnung bietet, organisieren die Träger der Wohnungslosenhilfe dann persönliche, soziale und gesundheitliche Hilfen. In einer Art Wohntraining werden die Menschen angeleitet, wieder ein eigenständiges Leben zu gestalten.

Das sind die materiellen Dinge. Was viel wichtiger ist, das fasse ich unter dem Wort „Ansehen“ zusammen: nicht weggucken, hinsehen, ansehen, Blickkontakt aufnehmen,…

Wie können wir Ihre Arbeit unterstützen?

Glücklicherweise können wir auf viele Ehrenamtliche zurückgreifen: Engagierte backen für uns Kuchen und kochen Gemüse. Bei einem Spender können wir jederzeit Schlafsäcke und Isomatten bestellen. Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend und seit Beginn der Corona-Pandemie gestiegen.

Dennoch freuen wir uns immer über engagierte Mitarbeiter. Auch Sachspenden werden gerne entgegen genommen. Aktuell freuen wir uns über: Wurst, gerne Salami, Käse, Obst- und Gemüsekonserven, Nutella, Schokomüsli, Deospray, Zahnbürsten und Süßigkeiten jeder Art. Die Spenden können nach telefonischer Vereinbarung im Notel abgegeben werden.

Liebe Frau Ackerschott, herzlichen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen, Ihrem Team und Ihren Gästen alles Gute!

Das Gespräch führte Anne Pesch, Akademiereferentin.

Bildnachweis: Peter Weidemann, Pfarrbriefservice.de

Bild von Bärbel Ackerschott: A. C. Wagner (vielen Dank)

7. Februar 2021 || ein Gespräch mit Bärbel Ackerschott

Sie ist Leiterin des Notels.

Das Notel ist eine Notschlafstelle und Krankenwohnung für obdachlose Drogenabhängige, getragen von der Spiritaner Stiftung. Wer hierherkommt, findet ein Bett für die Nacht, bekommt etwas zu Essen, medizinische erste Hilfe, neue Spritzen und saubere Wäsche. Zum Notel gehören eine Notschlafstelle mit 10 Betten und eine Krankenwohnung mit 6 Betten.