Ursachen und Hintergründe des 11. September 2001
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurden Koranübersetzungen zu Bestsellern. Viele glaubten, im heiligen Text der Muslime den Grund für den Hass auf den Westen zu finden. Doch die Erklärungskraft der Religion für die Anschläge ist gering.
Die Ursachenforschung fängt besser bei der Großmachtpolitik des Kalten Krieges an. Damals gingen die USA fragwürdige Bündnisse mit despotischen Regimen in der islamischen Welt ein, um die Verbreitung des Kommunismus einzudämmen. Dem Westen wurde deshalb von vielen Arabern eine Mitschuld an der politischen Stagnation in ihren Ländern gegeben, zumal der Sozialismus in der arabisch-islamischen Welt sehr populär war.
Als der Sozialismus nach 1989 keine Rolle mehr spielte, war der politische Islam für viele Menschen die einzige Ideologie, die eine Verbesserung der Lebensverhältnisse und Widerstand gegen die als ungerecht erlebten Regime versprach. Dazu zählten auch die mit dem Westen verbündeten Monarchien und Emirate auf der arabischen Halbinsel. Fünfzehn der neunzehn Attentäter von 9/11 stammten aus Saudi-Arabien.
1989 endete auch der Afghanistankrieg. Der Westen hatte dort die radikalislamischen Mudjaheddin in ihrem Kampf gegen die Sowjetunion unterstützt. Nach dem Sieg gegen die Sowjets sahen sie in der letzten verbliebenen Großmacht, den USA, ihren neuen Feind. Aus dem Milieu der Afghanistankämpfer stammte auch der saudische Bauunternehmersohn Osama Bin Laden, der Drahtzieher der Anschläge von 9/11. Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan legte er sich mit dem saudischen Regime an. Er wurde ausgewiesen und ging nach Afghanistan zurück, wo jetzt die Taliban an der Macht waren. Von dort plante er seinen Terrorkrieg.
Nach dem Fall der Berliner Mauer herrschte im Westen die Überzeugung, den Rest der Welt nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Wer sich sträubte, wie Kuba, Iran oder Nordkorea, wurde isoliert. Die islamische Welt galt zwar als rückständig und unterentwickelt; in wirtschaftlicher Hinsicht war sie jedoch gut in die westliche Ordnung integriert, vor allem dank ihres Ölreichtums. Nach 9/11 schien der politische Islam als vergleichsweise leichter Gegner, gegen den sich das militärische Abenteuer lohnte.
Osama Bin Laden wurde 2011 getötet und die Djihadisten in Irak und Afghanistan auf dem Schlachtfeld besiegt. Aber sie kehrten wieder. Die letzten zwanzig Jahre haben gezeigt, dass sich die Probleme in der islamischen Welt nicht mit militärischen Mitteln lösen lassen. Auch unsere Sicherheit ist durch den „Krieg gegen den Terror“ nicht gewachsen, vielmehr nahmen Terror und Fluchtbewegungen zu.
Bei der Ursachenforschung muss auch der Kolonialismus in Betracht gezogen werden. Von Napoleons Ägyptenfeldzug 1798 bis zum Zweiten Weltkrieg beherrschten die europäischen Großmächte weite Teile der islamischen Welt und beuteten sie aus. Die europäische Politik war von Überlegenheitsdenken und Rassismus geprägt, und der Widerstand dagegen wurde in Europa als Widerstand gegen Zivilisation und Moderne diskreditiert.
Um diesem Vorwurf entgegenzutreten, versuchten die Muslime, den Islam zu reformieren. Zugleich machten sie ihn dadurch zu einer modernen politischen Ideologie, deren Ziel es war, den ideologischen und schließlich auch bewaffneten Kampf gegen die europäischen Mächte aufzunehmen. Mit dem traditionellen Islam hat dieser modernisierte, politisch-ideologische Islam nur oberflächliche Gemeinsamkeiten. Daher kann der Koran den Terror nicht wirklich erklären, auch wenn die Terroristen ihn zitieren.
Die Auseinandersetzung von Westen und Islam seit 9/11 beruht auf einer problematischen und zugleich geteilten Vergangenheit. Sie muss von beiden Seiten als gemeinsame verstanden, aufgearbeitet und bewältigt werden. Wenn wir die aktuellen Debatten über Rassismus und Kolonialismus in diesem Sinn verstehen lernen, sind wir auf dem richtigen Weg. Der Rückblick auf 9/11 hilft dabei.
© Ged Lawson, unsplash, gemeinfrei
20. Juli 2020 || ein Beitrag von Stefan Weidner, Autor und Islamwissenschaftler
Buchveröffentlichung: „Ground Zero. 9/11 und die Geburt der Gegenwart“, Hanser Verlag, München 2021.
Stefan Weidner wird im September auf der Akademietagung „Globaler Kampf der Kulturen?“ einen Vortrag halten.
4. bis 5. September 2021 (Sa.-So.)
Globaler Kampf der Kulturen?
20 Jahre nach dem 11. September
Einladung: Tagung der Thomas-Morus-Akademie
Zwanzig Jahre nach dem 11. September und ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen von Samuel Huntingtons Buch „The Clash of Civilizations“ stellt sich die Frage, ob die Geschichte die These vom „Kampf der Kulturen“ bestätigt hat. Lassen sich die Entwicklungen des 21. Jahrhunderts tatsächlich als ein Zusammenprall zwischen Zivilisationen verstehen? Und was folgt daraus für die Zukunft? Wie kann ein friedliches Zusammenleben in einer unübersichtlichen Welt gesichert werden? Diesen Fragen geht eine Tagung der Thomas-Morus-Akademie nach, die am 4. und 5. September 2021 in Bensberg stattfinden wird. Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden sich auf der Internetseite der Thomas-Morus-Akademie.