Auf ein Wort mit… Gisela Steinhauer
Liebe Frau Steinhauer, das 2022 hat gerade begonnen. Wenn Sie jetzt einer Fee begegnen würden, die sagt: „Du hast einen Wunsch für das neue Jahr frei,“ was würden Sie sich wünschen?
Ich würde Sandra Bullock zustimmen, die als FBI Agentin im Film „Miss Undercover“ auf eine ähnliche Frage sagt: „Ich wünsche mir härtere Strafen für Wiederholungstäter. Und: Weltfrieden!“ Als Gisela Steinhauer würde ich die Fee darum bitten, uns die Augen dafür zu öffnen, dass die allermeisten Menschen in diesem Land klar im Kopf, hilfsbereit und freundlich sind. Diese Grundhaltung und gute Stimmung sollten wir uns von den Dauernörglern nicht kaputtmachen lassen.
Auf was freuen Sie sich in 2022 am meisten – und vor was fürchten Sie sich?
Ich freue mich darauf, so wie in den vergangenen Jahren als Journalistin Menschen begegnen zu dürfen, die etwas aus ihrem Leben machen und mit dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft nicht den Bach runtergeht. Ich habe seit 15 Jahren bei WDR 2 meine eigene Sendung „Sonntagsfragen“, in die ich jede Woche einen Gast zu einem Thema einlade. Im letzten Jahr war das z. B. die Friseurmeisterin Venda Top, die als Kind gehörloser Eltern aufwuchs. Jetzt kann sie waschen, schneiden, föhnen und außerdem in den Gesichtern ihrer Kunden lesen. Der Solarforscher Prof. Bernhard Hoffschmidt war mein Gast, der eindrucksvolle Klimaschutzprojekte anstößt. Dann Markus Vogel, ein Hobbygärtner aus Solingen, der seinen parkähnlichen Garten fürs Publikum öffnet, damit auch andere Freude an seinen Pflanzen haben. Das sind Menschen, die in ihrer Begeisterung für das, was sie tun, so ansteckend sind, dass ich nach jeder Sendung denke: Mann, was habe ich für ein Glück, solche Leute treffen zu dürfen.
Wovor ich mich fürchte? Dass ich es als zu selbstverständlich ansehe, in einem Land zu leben, das zu den entwickelsten und komfortabelsten gehört, die ich kenne.
Sie sind in Ihrem Leben vielen, vielen Menschen begegnet. Wer hat Sie so nachhaltig beeindruckt, dass sie an ihn oder sie immer wieder denken?
Schwierige Frage, weil es wirklich so viele tolle Begegnungen waren. Wenn ich eine herausgreifen muss, dann ist das eine Frau, die so viele Schicksalsschläge erlitten hat, dass schon ein einziger davon gereicht hätte, den Lebensmut zu verlieren. Sie musste ihre Kinder alleine erziehen, weil ihr Mann ins Gefängnis kam. Sie heiratete wieder, im selben Jahr starb eins ihrer Kinder. Sie bekam Krebs und wurde geheilt. Dann starb ein zweites Kind. Immer wieder hat sie sich hochgerappelt, nie hat sie aufgehört zu lachen. Und ganz sicher ist sie eins meiner größten Vorbilder.
Ich kenne den Satz „People make the difference“ – „Menschen machen den Unterschied“. Meinen Sie, dass der Satz stimmt?
Zu dem Satz fällt mir nicht so richtig was ein. Ich versuche es mal so: Ja, das ist ein Satz, den ich aus Coachings kenne – so nach dem Motto: Am Ende zählt, dass du es anders machst als die anderen. Ich weiß nicht, ob der Satz stimmt.
Natürlich machen Leute einen Unterschied: also diejenigen, die weniger Energie verbrauchen, weniger Müll produzieren und ihre Politiker in die Pflicht nehmen – also hoffentlich viele von uns.
Und wieder kommt die Fee um die Ecke und sagt: „Du darfst einen Menschen treffen, der nicht mehr unter uns ist, der oder die kürzlich oder auch schon vor vielen Jahren verstorben ist,“ wen würden Sie treffen wollen?
Desmond Tutu. Den hätte ich wirklich gerne kennengelernt. Der hatte ein Strahlen und ein Lachen, das mich immer wieder fasziniert hat. Und er schien vor nichts und niemandem Angst zu haben.
„Und wem“, fragt die Fee weiter, „möchtest du gerne heute hier und jetzt in der Kneipe um die Ecke begegnen?“ Welche Fragen würden Sie stellen wollen?
Am liebsten würde ich mit der Fee selber reden und sie fragen, wie man Fee wird und wie so die Reaktionen sind, wenn sie in eine Kneipe kommt. Muss man als Fee immer gütig sein oder darf man den ganz Fiesen mal ordentlich einen mitgeben? Wie gehen Feen damit um, wenn sie jemanden nicht leiden können? Woraus wird Feenstaub hergestellt und wird eine Fee sauer, wenn die Putzkolonne kommt und staubwischen will?
Liebe Frau Steinhauer, Sie haben ein wunderbares Buch geschrieben: Der schräge Vogel fängt mehr als den Wurm! Von Menschen mit Mut zum Neuanfang. Erzählen Sie uns von dem Buch.
Jede(r) von uns kommt mal irgendwann an den Punkt im Leben, an dem sie oder er sich fragt: Ist das, was ich gerade tue, das, was ich wirklich tun möchte? Was passiert, wenn ich das verneine? Und wer taugt dann als Kompass? Influencer, die sich super finden? Aktivisten, die in der Tagesschau landen? Oder die Stillen aus der zweiten Reihe? Mich haben oft die „schrägen Vögel“ überzeugt, die nicht immer den bequemen, geraden Weg gehen, sondern die ihre Flugrichtung ändern. Und die treffen in meinem Buch aufeinander. Ein U-Boot Kommandant, der Schamane wurde. Eine Bembeltöpferin, die in den Sinai zog und Wüstenführerin wurde. Oder ein Balletttänzer, der Lebensmittel vom Acker rettet.
Ich habe sie alle interviewt und hoffe sehr, dass ihre Geschichten zu einem Neuanfang motivieren können. Denn sie sind voller Optimismus aufgebrochen – ohne das mögliche Scheitern aus den Augen zu lassen. Denn etwas nicht zu schaffen, ist nicht tragisch. Es gar nicht erst versucht zu haben, ist dagegen schade.
Damit meine ich jetzt aber nicht den Kalenderspruch „Lebe deinen Traum!“ Das klappt nämlich nicht immer. Wer Kinder hat oder Angehörige pflegt, kann nicht einfach alles hinwerfen, um sich selbst zu verwirklichen. Aber offen bleiben für Alternativen, das kann jeder.
Für wen haben Sie das Buch geschrieben?
Ich habe inzwischen auf allen Lesungen Leute getroffen, die aus den unterschiedlichsten Gründen durch Corona zu einem Neuanfang gezwungen werden. Für sie haben die „schrägen Vögel“ vielleicht den ein oder anderen klugen Gedanken parat.
Und wer keinen Neuanfang plant, hat hoffentlich Freude daran, mit ungewöhnlichen Menschen abzuheben und einfach nur darüber zu staunen, welche Lebensentwürfe es so gibt.
Viele Geschichten, die Sie in Ihrem Buch erzählen, sind lustig, manche stimmen sehr nachdenklich, manche sind traurig. Sie bilden das Leben ab. Ich danke Ihnen heute für unser Gespräch und wünsche Ihnen ein glückliches, frohes, gesegnetes Neues Jahr!
Das Interview führte Karin Dierkes, Akademiereferentin.
Einmal im Monat erscheint „Auf ein Wort mit…“ und stellt interessante und engagierte Personen vor, mit denen die Akademie auf unterschiedliche Weise verbunden ist. Gesprochen wird über Gott und die Welt, über Kunst und Kultur, über Aktuelles aus Gesellschaft und Kirche ….
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9. Januar 2022 || ein Gespräch mit Gisela Steinhauer, Moderatorin bei WDR 2 und WDR 5, Journalistin und Buchautorin
Seit 22 Jahren moderiert sie beim Deutschlandfunk Kultur.