Hoheitszeichen – Architektur aus acht Jahrhunderten in Bensberg
Mit dem 1967 eröffneten Bensberger Rathaus – einer der markantesten deutschen Béton brut-Bauten – wurde nicht nur seinem Architekten Gottfried Böhm zum wiederholten Male internationale Aufmerksamkeit zuteil, auch Bensberg bekam weit überregionale Beachtung. Verdient hätte es dies schon zuvor, denn in Geschichte und Architektur der Ortschaft am Rande des Bergischen Landes lassen sich deutsche und gar europäische Geschichte der vergangenen 300 Jahre und mehr darstellen:
Die zu Bergisch Gladbach-Moitzfeld gelegene Erdenburg soll aufgrund ihrer „Vorgeschichtlichkeit“ als einziges außerhalb des Ortes Bensberg gelegenes Objekt betrachtet werden. Die als Zufluchtsstätte oder als Kult- und Versammlungsort errichtete Ringwallanlage geht vielleicht auf eine Zeit um 300 vor Christus zurück. Politische und gesellschaftliche Signifikanzen des Bauens in Bensberg treten demgegenüber erstmals mit dem Bau der alten Burg hervor. Sicherungsarbeiten im Zuge des Rathausneubaus brachten unter Landeskonservator Rudolf Wesenberg den Nachweis eines anspruchsvollen stauferzeitlichen Palas der Burganlage zutage, der deren Bedeutung für die nach territorialer Überlegenheit im Rheinland strebenden Bergischen Grafen gerecht werden konnte. Allein die Vermählung Graf Wilhelms II. von Berg, des späteren ersten Bergischen Herzogs, mit Anna von der Pfalz 1363 auf Burg Bensberg verdeutlicht die überregionalen strategischen Absichten, die mit dieser eigentlich als Amtssitz und damit nur als Nebensitz eingerichteten Anlage verbunden waren.
Bis heute ist nicht völlig geklärt, ob die alte Burg vielleicht nur Vorburg zu einer größeren Anlage war. Die Mercatorkarte von 1604 zeigt jedenfalls zwei feste Burgplätze für Bensberg. Der bedeutendere dürfte sicher höher als die Vorburg gelegen haben. Das aber wäre die Stelle des heutigen Schlosses, bei dessen Bau und Terrassierung des Geländes dann jeglicher Rest eines Vorgängerbaus in der Erde verschwunden sein dürfte. Wie auch immer! Allein an Bau und Nutzung des Bensberger Schlosses lassen sich in Stichworten 300 Jahre europäischer und deutscher Zeitläufte darstellen: Erbaut wurde es unter dem Erzschatzmeister und zeitweiligem Aspiranten auf den Thron des Heiligen Römischen Reichs, Johann Wilhelm von der Pfalz („Jan Wellem“). Seine gleichermaßen italienische wie französische Bauart kann als Loyalitätsbekundung des Bauherrn gegenüber dem Kaiser und als Kampfansage gegen die französisierenden Kölner Kurfürsten im Spanischen Erbfolgekrieg sowie als Alleinherrschaftsanspruch Jan Wellems in den niederen Rheinlanden verstanden werden. Im ersten Koalitionskrieg war das Schloss Lazarett für Tausende kaiserliche Soldaten, zur Zeit der sogenannten Befreiungskriege Militärlazarett der Franzosen, wieder für Tausende Versehrte. Bis Ende des 1. Weltkrieges war es preußische Kadettenanstalt, in der Weimarer Zeit Kaserne für Besatzungstruppen, mit Beginn der Weltwirtschaftskrise Obdachlosenheim. Bereits 1935 wurde darin eine nationalpolitische Erziehungsanstalt („NAPOLA“), also ein Internat und Kaderschmiede des Regimes eingerichtet. Nach 1945 wurde der Schlossbau von den alliierten Siegermächten genutzt, zuletzt lange Zeit als Gymnasium von den Belgiern.
Nicht nur die historische Bedeutung Bensbergs, sondern auch seine topographische Lage kommt einem signifizierenden, hoheitliche Ansprüche formulierenden Bauen entgegen. Bensbergs Hanglage am Rande des Bergischen Landes mit weit in die Breite reichendem Ausblick in die Rheinische Bucht könnte man als „baustrategischen Standortvorteil“ bezeichnen. Im Bereich des Profanbaus nutzten ortsansässige Unternehmen diese Hanglage für ihre Projekte. Die ab 1919 von Wilhelm Riphahn für den Lederwarenfabrikanten Offermann angelegten Baugruppen sind in der nahen Folge von Fabrikantenvilla, Werk und Werksiedlungen Ideen der vormaligen Gründerzeit verbunden; Villa Offermann, Hundsiefen 5, ist des Weiteren in der Kubatur am feudalistischen Schlossbau orientiert. Die solcherart mehrfach betriebene Aufwertung des bürgerlichen Fabrikanten und Bauherrn wird durch die Positionierung der Gebäude im Gelände denkbar einfach unterstrichen: die Villa oben, die Arbeitersiedlungen weiter unten im Hang!
Die um 1850 vermutlich für Ritter Stucker von Weyer erbaute Villa Weyerburg, Overather Straße 8, mit klassizistischem Uhrenturm erinnert an Bahnhofsgebäude ihrer Zeit. Kein Wunder! Steht das Gebäude doch an der unmittelbar zuvor als Fernverbindung ausgebauten Overather Straße und kann damit als Affirmativ gegenüber einer fortschrittlichen Verkehrsinfrastrukturbildung, zu der die völlig neuartige Architekturaufgabe des Baus von Bahnhöfen als „Kathedralen des Fortschritts“ im 19. Jahrhundert gehörte, gelten.
Kirchlicherseits ist im gewählten Zusammenhang die St. Nikolauskirche zu erwähnen. Der 1877-83 erfolgte Bau nach Plänen Carl August Langes ist Nachfolger der von Herzog Wilhelm V. („Wilhelm der Reiche“) im 16. Jahrhundert gestifteten katholischen Kirche an dieser Stelle. Deutlich als Landmarke ausgebildet erhebt sich der Kirchturm an der Spitze eines leicht unterhalb des Schlosses gelegenen Sporns über die Rheinische Ebene. Der 1926-29 erfolgte Bau des gewaltigen Komplexes des ehemaligen Priesterseminars auf dem Bockenberg (Kardinal-Schulte-Haus), der in optischer Konkurrenz mit dem in gleicher Höhe gelegenen Schloss steht, wurde vom Bauherrn Erzbischof Karl Joseph Kardinal Schulte unter anderem damit begründet, dass die in Bensberg angestammte Bevölkerung zu Zeiten der konfessionellen Auseinandersetzungen im 16. und 17. Jahrhundert im Unterschied zu weiten Regionen des Bergischen Landes „dem Glauben ihrer Väter treu“, also katholisch geblieben sei. Hier wurde der Standort also indirekt mit dem Primatsanspruch der Katholischen Kirche gegenüber dem Protestantismus verknüpft.
Neben Schloss und Priesterseminar ist der Klein-Manhattan genannte Wohnpark in unterer Hanglage des Bockenbergs die dritte weithin sichtbare und in die Rheinische Ebene hell strahlende Bensberger Landmarke. Die 1970-74 zu Zeiten der städtischen Selbständigkeit entstandene „Trabantenstadt“ steht kennzeichnend für den in den ersten Nachkriegsjahrzehnten vorherrschenden Optimismus in Wirtschaft und Gesellschaft. Das Bauen von großen, mehrere hundert, in diesem Fall 1.500 Menschen zusammenfassenden und sich quasi selbstversorgenden Wohneinheiten galt in den 1960er und 70er Jahren als Modell und Musterprodukt einer sich frei assoziierenden und organisierenden Zivilgesellschaft. Es ist mit Sicherheit kein städtebaulicher Zufall, dass sich diese Anlage aus Richtung Köln betrachtet zwar leicht unterhalb, aber dennoch vor dem Kardinal-Schulte-Haus und neben dem Schlossbau als die gewichtigste der weißen Baumassen zeigt.
Bilder:
Pingsjong, wikicommons;
Jochen teufel CC BY SA 3.0;
J. Wellem CC BY SA 3.0;
A. Savin CC BY SA 3.0
9. Mai 2020 || ein Beitrag von Markus Jurascheck-Eckstein, Kunsthistoriker und Germanist