Der heilige Nikolaus. Leben – Traditionen – Brauchtum
Nikolaus von Myra ist seit dem 16. Jahrhundert als Gabenbringer für Kinder bekannt. Der Nikolaustag am 6. Dezember wird zum Andenken an Bischof Nikolaus gefeiert und kündigt als Vorbote das Weihnachtsfest an. Doch das christliche Fest des heiligen Nikolaus von Myra gerät mehr und mehr in den Hintergrund. Als eines der Zeichen dafür gilt, dass in Nikolaus-Darstellungen weitgehend auf die bischöflichen Symbole Mitra und Stab verzichtet wird. Der „amerikanische“ Weihnachtsmann hält einen immer größeren Einzug in das gesellschaftliche Leben. Als Gegenreaktion sind Initiativen entstanden, die das traditionelle Brauchtum bewahren wollen. Die Nikolaus-Legende erzählt, dass er unschuldig zum Tode Verurteilte gerettet, Kinder vor dem Tod bewahrt oder Ernten vervielfacht hat und neben vielen anderen Taten Seeleuten in Not half.
Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti gibt heute vielfältige Einblicke in das Brauchtum des Nikolausfestes.
Wer ist das genau, den wir am 6. Dezember feiern?
Hinter den Legenden über den hl. Nikolaus stehen zwei historische Personen aus Kleinasien (heute Türkei), deren Legenden unentwirrbar verknüpft sind: Nikolaus, Bischof von Myra, der von 270 bis zum 6. Dezember 343 gelebt hat und ein weiterer Nikolaus, der am 10. Dezember 564 gestorben ist und zunächst Abt von Sion und dann Bischof von Pinora war. Nikolaus feierte in allen Jahrhunderten am 6. Dezember seinen Gedenktag. In diesem Jahr 2020 begeht er seinen 1750. Geburtstag!
Warum ist der heilige Nikolaus seit der Antike bis heute ein so besonderer Heiliger?
Bis zur Reformation im 16. Jahrhundert war Nikolaus ein Superheiliger, Held der Kinder, der Schiffer, der Kaufleute und vieler anderer. Die Kinder liebten ihn, weil sie an seinem Gedenktag in seinem Namen beschenkt wurden. Diese Bedeutung des Heiligen gefiel dem Reformator Martin Luther nicht. Da alle Verbote der Verehrung des Nikolaus nichts nutzten, nahm Luther ihm das Schenken und übertrug es auf Weihnachten, das bis dahin ausschließlich in der Kirche gefeiert wurde. Es entstand die Familienweihnacht, für die Luther eine Schenkfigur kreierte: das Christkind. Wer genau hinsieht, erkennt: Das Christkind schenkt wie der Nikolaus ursprünglich: Im Dunkeln und unerkannt.
Die reformatorische Abwertung des heiligen Nikolaus führte seit dem 17. Jahrhundert zur Verspottung des Heiligen. Karikaturen entstanden; die bekannteste ist sicher der Niklaus aus dem „Struwwelpeter“ – ohne bischöfliche Kleider taucht er drei böse Knaben in ein Fass mit schwarzer Tinte. Er tötet, während der gute Nikolaus drei ermordete Knaben wieder zum Leben erweckte.
Durch die Niederländer, die sich auch als Protestanten von Luther den Nikolaus nicht hatten nehmen lassen, war Nikolaus nach Amerika gelangt. Als das Land in die Hände der Engländer fiel, wussten die Engländer mit dem „Saint“ nicht viel anzufangen. Er wurde auf die Rolle eines Geschenkelieferanten reduziert. Ursprünglich braun-grün gekleidet, wechselt er in der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865) die Farben in rot-weiß. Der Limonadenhersteller Coca Cola entdeckte dies und weil rot-weiß auch die Signalfarben von Coca Cola waren, setzte Coca Cola diese Figur – neutralisiert zum „Weihnachtsmann“ – in ihrer Werbung ein: ein rundlich-gemütlicher alter Herr, der freundlich grient. Als ab 1929 Cola auch in Deutschland vertrieben wurde, tauchte dieser Weihnachtsmann auch in der deutschen Werbung mit dem Erfolg auf, dass er bei Nichtreligiösen den heiligen Nikolaus ablöste und in weiten Teilen der evangelischen Bevölkerung das Christkind ersetzte. Die Katholiken haben um 1900 die evangelische Familienweihnacht und das Christkind übernommen, aber den Weihnachtsmann als nichtsagenden „Koofmich“ mehrheitlich abgelehnt.
Die „Weihnachtsmannfreie Zone“, eine Aktion des katholischen Bonifatiuswerkes bemüht sich, den heiligen Nikolaus gegen den Weihnachtsmann zu profilieren und zu verteidigen. Statt Schoko-Weihnachtsmänner gibt es den echten Nikolaus in Schokolade. Die Idee zu dieser Aktion kommt aus den Niederlanden, wo unsere Nachbarn ihren Heiligen gegen den beliebigen Typen ohne Botschaft namens Weihnachtsmann in Schutz nahmen.
Warum begehen wir eigentlich am 6. Dezember den Nikolaustag?
Der 6. Dezember als Gedenktag des heiligen Nikolaus ehrt einen Menschen, der selbstlos Bedürftigen aller Art geholfen hat. Er hat in den Bedürftigen Jesus Christus gesehen. Weil im Christentum nach alter orientalischer Art der Tag mit dem Sonnenuntergang des Vortages beginnt, koppelt sich das fromme Brauchtum immer an den Vorabend – was bei Nikolaus gut passt, denn er hat ja in der Nacht beschenkt, um nicht erkannt zu werden. Diese Art des heimlichen Schenkens haben die Menschen übernommen und in mehreren Formen entwickelt. Zunächst warfen die Eltern abends im Namen des Nikolaus die Geschenke durch ein offenes Fenster in das Haus der Kinder. Weil das zum Zank über die Frage führte, wem nun was gehört, suchte man nach Empfangsbehältnissen, die sich den einzelnen Kindern zuordnen ließen. Dafür kam im Mittelalter nicht viel in Frage. Abends hingen aber die Strumpfhosen der Kinder zum Trocknen am Kamin und konnten dem Nikolaus angeboten werden. Auch die Holzschuhe kamen dafür in Frage. Erst viel später bastelte man Empfangsbehältnisse wie z.B. Schiffchen aus Holz, denn der Heilige hat ja Seefahrer und Flussschiffer besonders geschützt. Schüssel und Teller zu diesem Zweck kommen erst im 19. Jahrhundert in Mode.
Kann man heute den Nikolaustag so feiern, dass der ursprüngliche Sinn des Festtages erhalten bleibt?
Nikolaus kann ungesehen über Nacht auftauchen und kleine Geschenke bringen. Seine Gaben sollten überschaubar sein: Obst, Nüsse, Süßigkeiten, Plätzchen und eine zusätzliche Gabe, die auf den Beschenkten zugeschnitten ist … Wenn ein persönliches Auftreten des Heiligen gewünscht wird, soll er würdig und gütig dargestellt werden und nicht als pädagogischer Zeigefinger missbraucht werden.
Nikolaus hat unerkannt geschenkt. Wäre Schenken in dieser Form auch für uns sinnvoll?
Nikolaus schenkt nicht, um sich als Spender feiern zu lassen. Er tritt hinter sein Geschenk zurück, das er in der Legende den drei Mädchen bringt, damit sie nicht sündig leben müssen und sich dadurch den Weg in den Himmel versperren. Eltern, die heute wie der Nikolaus Kinder beschenken, wollen deutlich machen: gut sein und Gutes tun lohnt sich. Am Nikolaustag berührt so der Himmel die Erde, damit die Kinder genau das erfahren. Unerkannt zu schenken befreite Eltern von dem Druck, immer mehr und immer Teureres zu schenken. Es geht nicht um die Steigerung des Besitzstandes.
Das Nikolausbrauchtum lässt den Heiligen auch in eigener Person auftreten. Er entnimmt die Missetaten der besuchten Kinder einem besonderen Buch. Was ist von dieser Brauchvariante zu halten?
Dass der Heilige in eigener Person auftaucht, stellt eine Reaktion der Katholiken auf die Reformation dar. Luther hatte dem Nikolaus das Schenken abgenommen und auf Weihnachten übertragen. Dagegen gingen die Katholiken in die Offensive und ließen nun den Nikolaus im Brauch leibhaft als Bischof auftreten. Dieser Nikolaus fordert Rechenschaft über die Erfüllung religiöser und bürgerlicher Pflichten. Wie in der biblischen Erzählung vom Weltgericht sind die Taten der Kinder in einem Buch aufgezeichnet. Leider haben die Erwachsenen diesen Brauch überzogen, in dem sie dem Heiligen ein Teufelchen beigesellt haben, der den Sack mit den Geschenken tragen muss, aber auch wütend werden kann und Kinder bedroht. Eigentlich soll dieser gemeinsame Auftritt zeigen, dass der gute Nikolaus das Böse und den Bösen fest im Griff hat und nur das tun darf, was ihn Nikolaus zu tun erlaubt. Weil sich Knecht Ruprecht – so wird der Teufel genannt – im Brauchtum so entwickelt hat, wird er von vielen heute einfach gestrichen. Dieses Pädagogisieren hat sich – Gott sei Dank – überlebt.
Welche Legende des Heiligen sollte man unbedingt noch kennen?
Es gibt mehrere Legenden aus dem Leben des heiligen Nikolaus. Eine gefällt mir besonders gut, weil sie den Heiligen als einen gerechten Mann zeigt, dessen Gerechtigkeit nicht an Religionsgrenzen halt macht. Es ist die Legende von der Bestrafung und Begnadigung eines christlichen Betrügers.
Ein Christ in Not lieh sich von einem Juden Geld und schwor bei einem Bild des hl. Nikolaus, das entliehene Geld pünktlich zurück zu zahlen. Am festgesetzten Tag, als der Jude sein Geld verlangte, schwor der Christ, dass er ihm nichts schulde. Der Gläubiger ging zu Gericht. Der Christ, ein hinterlistiger Bursche, verbarg das geschuldete Geld in einem hohlen Stock. Als er seine Angabe beschwören sollte, ließ er den Juden den Stock halten. So schwur er, dass er dem Juden sein Eigentum zurückgegeben habe. Der Jude ging leer aus und verließ, auf den hl. Nikolaus schimpfend, das Gerichtsgebäude. Den Betrüger überfiel auf seinem Heimweg eine plötzliche Schlafsucht, so dass er sich mitten auf einer Straße zum Schlaf hinlegte. Ein heranjagendes Pferdegespann überfuhr ihn, brachte ihn zum Tode und zerbrach den mit Gold gefüllten Stock. Der herbeigeholte Jude erkannte zwar das Gold als das seinige, weigerte sich aber, es zu nehmen, wenn St. Nikolaus nicht den Christen wieder zum Leben erwecken würde. Kaum war das Wort gesprochen, so erhob sich jener; der Jude aber, durch dieses Wunder bekehrt, ließ sich mit seinem ganzen Hause taufen.
Nikolaus tritt auch für das Recht von Nichtchristen ein. Er kann mit Gottes Hilfe Tote zum Leben erwecken und überzeugt so von seinem christlichen Glauben.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Becker-Huberti, herzlichen Dank für die interessanten Einblicke zum Nikolaustag.
Bildnachweis:
Dom zu Worms, Südportal zur Nikolauskapelle, © Friedbert Simon, In: Pfarrbriefservice.de
Schokoladen-Nikolaus, © Anuja Mary Tilj auf Unsplash
Logo Weihnachtsmannfreie Zone, © Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken e.V.
7. Dezember 2024 || ein Beitrag von Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti
Der Theologe Manfred Becker-Huberti war von 1991 bis 2006 Pressesprecher des Erzbistums Köln. Seit 2007 ist er Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Er forscht zu religiösem Brauchtum, Heiligen und der Heiligenverehrung speziell im Rheinland.