Blickt auf den Schmerzensmann!
Dem Leiden entkommen wir nicht in dieser Welt. Es trägt so viele Gesichter wie das Leben selbst. Es umgibt uns von allen Seiten. Spätestens mit der letzten Pandemie wurden alle Versuche durchkreuzt, es möglichst unsichtbar zu machen. Seit zwei Jahren tobt zudem der Krieg vor unserer Haustür. Kein noch so spektakulärer Fortschritt in Medizin und Technik macht uns unverwundbar. Nicht jeder will es wahrhaben, dass wir wieder lernen müssen, mit wachsenden Gefahren zu leben: mit dem globalen Radius von Viren, mit Naturkatastrophen, mit Terror und Krieg. Aber wer schaut schon gern dem Leiden oder schwerer Krankheit ausdauernd ins Gesicht? Wenn wir nicht völlig abgestumpft sind, löst solch ein Anblick in uns tiefen Schmerz aus. Am Karfreitag wird uns genau dieser Anblick zugemutet.
Heute sollten wir genau hinschauen, wie es uns das Vierte Lied vom Gottesknecht vormacht: „Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm … Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen“ (Jes 53,2c.4). Die folgenden Verse suchen in immer neuen Anläufen nach Worten für das, was ihm alles angetan wurde. Dem Blick auf den Gekreuzigten setzen sich Christen keineswegs aus, weil sie unheilbar ins Leiden verliebt wären. Als hätten sie die „Krankheit nötig“, um den Menschen am Leben zu hindern und an seine Hinfälligkeit und Sünde zu binden, wie einst der Philosoph Friedrich Nietzsche (*1844 †1900) meinte. Vom Blick auf den Schmerzensmann und sein Kreuz geht vielmehr eine dreifache Absage aus – positiv gewendet: ein dreifacher Befreiungsschlag.
Zum einen: Eine Absage an Spaß und Konsum als letzten Lebensqualitäten – Die Orientierung am Kreuz Jesu will keineswegs „der Menschheit jedes Blut, jede Liebe und jede Lebenshoffnung aus den Adern saugen“, wie Nietzsche wetterte. Sinn aber wird erst erfahren, wo das Lernen auch das Erringen noch einschließt, wo wir die Untiefen des Alltags nicht ständig hinweg lächeln, wo Beziehungen den Wert vermitteln und nicht die Statussymbole, wo der Gottesdienst nicht bei harmloser Unterhaltung stehen bleibt, sondern uns auch läutern darf.
Zum anderen: Eine Absage an die Allmacht der Leistungsgesellschaft – Der ev. Theologe Fulbert Steffensky (*1933) weiß vom um sich greifenden ‚Gesundheitsdiktat‘ zu berichten, dem sich auch die eigene epileptische Tochter ausgeliefert fühlte. Deshalb mahnt er ‚Mut zur Endlichkeit‘ an: „Man muss aufhören, die Krankheit und den Tod unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu bezwingen. Es gibt … keine Krankheit, die [unsere] Würde als Mensch beeinträchtigt“. Über den Gottesknecht erfahren wir beim Propheten: „Der Herr hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten“ (Jes 53,10).
Und schließlich: Eine Absage an die Mentalität des Wegschauens – So lange wurden die Leiden der Missbrauchsopfer heruntergespielt oder ganz verdrängt und vertuscht. Der Gekreuzigte gibt auch diesen schrecklichen Verbrechen sein Gesicht. Er schaut eben nicht weg, sondern nimmt sie auf sich. Der Mann der Schmerzen steht am Karfreitag in unserer Mitte, damit wir es lernen, uns zu stellen und die ganze Wahrheit anzunehmen. Denn er trug wirklich alles, auch jeden von uns mit seiner oft so verborgenen Last.
Schmerzensmann | Kolumba-Museum Köln | Anfang des 16. Jahrhunderts (gemeinfrei – wikipedia)
29. März 2024 || ein Beitrag von Pfarrer Dr. Axel Hammes, geistlicher Berater der Thomas-Morus-Akademie Bensberg