Welchem Stern folgen Sie?
Liebe auf den zweiten Blick
Bei mir in der Nachbarschaft hat eine Filiale von „The Good Food“ aufgemacht. Dahinter steckt eine Gruppe von engagierten, klugen Menschen. Die finden, dass wir anders mit Lebensmitteln umgehen sollten. Sie sammeln essbare Waren, die es aus allen möglichen Gründen nicht in den Handel schaffen. Sei es, dass das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Sei es, dass die Möhren krumm sind oder irgendeiner doofen Norm nicht entsprechen. Sie gehen auch zu Bauern und sammeln Obst und Gemüse direkt vom Feld. Wenn ich einkaufen gehe, dann führt mich mein Weg immer an ihrer Auslage entlang. Ich blicke kurz in die Körbe, manchmal gehe ich auch rein und frage, was sie haben. Neulich: Bio-Orangen. Herrlich! Endlich kann ich den Orangenkuchen mal ausprobieren, den ich schon so lange machen will, denke ich. Denn dafür musst du nämlich Orangen mit ihrer Schale eine Stunde kochen. Habe ich noch nie gemacht, und ich bin sehr neugierig, wie das schmecken wird. Ich habe auch schon mal Knoblauch mitgenommen, Paprika, Gurken, megaleckere Birnen, aber auch Tortilla Chips und Schokolade. Knifflig ist, dass die Preise bei „The Good Food“ nicht festgelegt sind. „Bezahle, was es dir wert ist!“ sagen sie. Sie geben die Verantwortung dafür an mich zurück. Was ist mir also das Wunder wert, dass aus einer Blüte an irgendeinem Orangenbaum in Korsika eine formidable Frucht geworden ist aufgrund von biologischen und chemischen Prozessen, von denen ich keine Ahnung habe? Was mir im Discounter kaum einen Gedanken wert ist – hier muss ich mich bekennen. Eine interessante Erfahrung. Und eine wichtige Intervention gegen meine Achtlosigkeit.
Auf der Internetseite von „The Good Food“ strahlen mich über 40 Menschen an, als ich den Reiter „Team“ anklicke. Die allermeisten viel, viel jünger als ich. Zum Beispiel Joana, die „Neulings-Koordinatorin“ oder Roberto, „Verkauf und Gute-Laune-Macher“. Es sind alles Menschen, die ihre Lebenszeit herschenken, weil sie Teil eines Kulturwandels sein wollen: dass Menschen Lebensmittel nicht achtlos aus Regalen fingern und konsumieren. Sondern dass sie ihren Wert wiederentdecken. Der beim christlichen Erntedankfest einmal im Jahr ein bisschen verschämt und vielleicht auch schuldbewusst pflichtschuldig beschworen und bebetet wird. Bei „The Good Food“ hingegen ist 365 Tage Erntedank. 365 Tage im Jahr freuen sich dort Menschen über die Gaben der Natur, sind dankbar für die Menschen, die die Äcker bestellen und die Lebensmittel herstellen.
Das Motto von „The Good Food“ ist „Liebe auf den zweiten Blick“. Der fröhliche Idealismus dieser Menschen beschämt mich und gibt zugleich Anlass zur Hoffnung. Solange es noch Menschen gibt, die selbst krumme Möhren und vermeintlich altersschwache Limetten in ihr Herz schließen, gibt es keinen Grund, die Welt verloren zu geben.
Perspektiven in der Adventszeit
Welchem Stern folgen Sie?
Mit den Herzen und den Gedanken machen wir uns im Advent auf den Weg zur Krippe. Was nehmen Sie in dieser Zeit besonders wahr, worauf lenken Sie Ihren Blick? Wonach haben Sie Sehnsucht? Welche neuen Perspektiven sind in dieser Zeit verborgen? Wir fragen Menschen, die mit der Akademie verbunden sind, welchem Stern sie in der Adventszeit folgen, welche Denkanstöße und Inspirationen sie im Advent bewegen. Die Beiträge lesen Sie an den vier Adventssonntagen in unserem Blog.
Bildnachweis
Sebastian Linnerz
4. Dezember 2022 || ein Beitrag von Peter Otten, Pastoralreferent St. Agnes