Bleiben oder Gehen
So viele Menschen wie nie zuvor verlassen zurzeit unsere Kirche. Meistens ging dem eine lange Geschichte der Entfremdung voraus. Das Verhalten der Amtsträger bietet dann oft den Anlass, der das Fass zum Überlaufen bringt. Doch die tieferen Gründe sind sehr vielfältig. Besonders schmerzt es mich persönlich, wenn Menschen fortgehen, weil sie bei uns vergeblich nach Gott gesucht haben – weil sie den Platz für ihn zugestellt fanden von einer Kirche, die sich am liebsten mit sich selbst beschäftigt. Vielleicht ging ihrem Auszug aus der Gemeinschaft etwas innerhalb unserer Gemeinschaft voraus. Vielleicht hat sich Christus zurückgezogen in einen hinteren Winkel seiner Kirche, fort von den öffentlichen Bühnen, sozusagen „backstage“, in den Ölgarten von heute. Vielleicht ist er selbst dorthin gegangen, wo es einsam wird um ihn, wohin ihm nur noch wenige – ganze drei an der Zahl – folgen können.
Darum ist mir mit den Jahren die „Ölbergstunde“ am Gründonnerstag auch immer wichtiger geworden. Nach der großen Liturgie vom letzten Abendmahl geht es erst richtig los. Erst im Aushalten eines Herrn, der selbst ringen muss, der nicht sofort Antwort erhält und Gewissheit findet, der für uns in eine übermenschliche Zerreißprobe geht, erst dann geht mir die Kommunion in Fleisch und Blut über. Erst dann fange ich an, bei ihm zu sein in den zahllosen Ölbergstunden unseres Lebens. Es wird mir kaum anders ergehen, als den erst drei Jüngern, die „vor Kummer erschöpft“ sind (Lk 22,45). Aber eine Kirche, die vom Herrn auf ihre Grenzen gestoßen wird, wird sich nie mit ihm verwechseln und ihm gerade so wieder ganz nahekommen.
Vor kurzen stieß ich auf eine Betrachtung zu dem an Mk 14,34.38 angelehnten Liedruf aus Taizé: „Bleibet hier und wachet mit mir. Wachet und betet!“ Daraus möchte ich zum Schluss einen Ausschnitt wiedergeben.
Bleib hier bei mir
Bleib, weil ich es bin
Bleib, ja was brauchst du sonst für Gründe
Bleib, ich bin es
Bleib, ich brauche deine Nähe
Bleib, ich brauche deine Gegenwart
Bleib, ich brauche Zeugen
Bleib, ich brauche Zeugen für den unerhörten Vorgang
Bleib, sonst wird man es uns nicht glauben
Bleib, steh ein für der Liebe Sinn
Bleibet hier und wachet mit mir,
wachet und betet, wachet und betet.
Bleib, so sagen es die Augen der Kranken
Bleib, so sagt es uns das Kind
Bleib, fleht ein Einsamer
Bleib nah am Saum des Elends
Bleib solidarisch mit der Gottverlassenheit
Bleib am Rande des Scheiterns
Bleib, den Opfergang zu beherzigen
Bleib und trotze dem blinden Schicksal
Bleib dort, wo sich der Abgrund aufgetan hat
Bleib, den ewigen Gott in diesem Abgrund zu beschwören
Bleibet hier und wachet mit mir,
wachet und betet, wachet und betet.
Bild:
Paul Gauguin, „Christus im Ölgarten“, 1889, Norton Museum of Art, Palm Beach
Osterfreude
Texte & Gedanken an den Kar- und Ostertagen
Pfarrer Dr. Axel Hammes, Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach, wird die Kar- und Ostertage mit Texten in unserem Blog „Akademie in den Häusern“ gestalten. Ein regelmäßiger Blick in unseren Blog lohnt sich!
14. April 2022 || ein Beitrag von Pfarrer Dr. Axel Hammes, Lehrbeauftragter für Neues Testament und Homiletik in Köln, Bonn und Lantershofen; Geistlicher Begleiter; bis 2021 Spiritual am Collegium Albertinum in Bonn, seit Anfang 2022 Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach