Künstlerinnen auf Hiddensee – Eine Erinnerung

„Ob die Möwen in Vitte manchmal an mich denken?“

Das fragt sich die dänische Schauspielerin Asta Nielsen in ihren autobiographischen Aufzeichnungen. Seit 1928 lebt sie mehrere Monate im Jahr in ihrem Sommerhaus in Vitte auf Hiddensee. Mit großer Sorge beobachtet sie den zunehmenden Antisemitismus, 1934 verlässt sie die Insel und kehrt in ihre Heimat zurück.

Die Blaue Scheune in Vitte

Und wie ergeht es den anderen Künstlerinnen, besonders den Malerinnen des Hiddensoer Künstlerinnenbundes? Ihre Geschichte beginnt mit großem Enthusiasmus und hohem Maltalent. Im November 1919, so steht es im Amtsblatt der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft, gründen die Malerinnen Henni Lehmann, Elisabeth Büchsel und Clara Arnheim den Hiddensoer Künstlerinnenbund. Hier präsentieren die Malerinnen ihre vielfältigen Kunstwerke, gehen mit Staffelei und Palette in die Natur, zeichnen, malen – unter kritischer Beobachtung von Gerhart Hauptmann, der im benachbarten Kloster regelmäßig die Sommer verbringt.

Henni Lehmann, die neben der Malerei auch schriftstellerisch tätig ist, engagiert sich auf der Insel im Naturschutz und gehört der Genossenschaftsreederei als Gründungsmitglied an. Sie entstammt einer jüdischen Familie und kommt 1863 in Berlin zur Welt. Nach der Ausbildung an der Königlichen Kunstschule heiratet sie Karl Lehmann und konvertiert zum Protestantismus. Seit 1907 verbringt Henni Lehmann mit ihrem Mann Karl und den beiden Kindern in ihrem Landhaus in Vitte die Sommer, kauft die gegenüberliegende alte Scheune der Bäckerei Schwartz und lässt sie als Ausstellungs- und Verkaufsräume für den Künstlerinnenbund umbauen. Damit erhalten die Malerinnen eine Perspektive für ihre Arbeit.

Aber wer sind die anderen Künstlerinnen? Was verbindet sie? Was sind ihre Motive?

Elisabeth Büchsel, 1867 in Stralsund geboren, verlässt schon mit der Volljährigkeit das Elternhaus, geht für kurze Zeit nach Berlin, belegt Kurse an der Zeichenschule des Vereins Berliner Künstlerinnen und erhält Privatunterricht u. a. bei Walter Leistikow, einem Mitbegründer der Berliner Sezession. Studienreisen führen sie nach Italien und Paris. Ihre Arbeiten zeigen nach dem Aufenthalt an der Seine impressionistische Züge. 1904 ist sie erstmalig auf Hiddensee und bestreitet aus dem Verkauf ihrer Bilder die Sommeraufenthalte. Nach dem Tod des Vaters, der ihr ein kleines Vermögen hinterlässt, zieht sie 1915 in das Haus der Familie Gau in Vitte und erhält dort ein zwanzigjähriges Wohnrecht. Ihre Gemälde zeigen die arbeitenden Menschen auf der Insel und erzählen damit ihre Geschichte. In ihren Landschaftsbildern fängt sie das unvergleichliche Licht ein. Während sich der größere Teil ihres Werkes verstreut in Privatbesitz befindet, sind im Museum in Stralsund einige Werke von Elisabeth Büchsel zu sehen. Nach 1945 ist sie in der „DDR“ eine respektierte Künstlerin und wird Mitglied des Verbands Bildender Künstler Deutschlands. Das Museum Stralsund präsentiert 1957, in ihrem Todesjahr, aus Anlass ihres 90. Geburtstages eine Ausstellung.

Clara Arnheim, die als Co-Vorsitzende und Schriftführerin seit Gründung dem Künstlerinnenbund angehört, kommt 1865 in Berlin zur Welt. Schon früh entwickelt sie Begeisterung für das Zeichnen und Malen und beweist künstlerisches Talent. Sie nimmt in Berlin Privatunterricht und zieht nach Paris. Mit vielen Anregungen, auch durch die Impressionisten, kehrt sie in ihre Heimatstadt zurück und richtet sich ein Atelier ein. Schon um 1904 ist sie engagiertes Mitglied mehrerer Künstlerinnen-Vereinigungen und verbringt die Sommermonate auf Hiddensee. Sie zieht mit der Staffelei und den Malutensilien in die Natur, entdeckt die Steilküste der Insel, den Strand, die Heidelandschaft und den Dornbusch (Leuchtturm) als ihre Motive. Meistens wohnt sie im Haus des Mühlen- und Bäckermeisters Schwartz in Vitte.

1933 kommt es durch die Nationalsozialisten zur Auflösung der Künstlerinnenvereinigung. Clara Arnheim erhält mit anderen jüdischen Kolleginnen Reise-, Arbeits- und Ausstellungsverbot. Sie sieht sich gezwungen, ihr Atelier aufzulösen, lebt beengt in einem Dachraum ihres einstigen Elternhauses. Vermutlich malt sie dort heimlich weiter und tauscht ihre Bilder gegen Lebensmittel ein. In einem Brief an ihre ehemaligen Vermieter (Familie Schwartz) auf Hiddensee im Juni 1942 bedankt sie sich für die Unterstützung und hofft, dass sie aufgrund eines ärztlichen Attests nicht deportiert wird. Doch diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Wenige Wochen später wird Clara Arnheim in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht und stirbt dort am 28. August 1942. Unklar bleibt, ob die 77jährige Künstlerin ermordet wurde oder durch die unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto zu Tode kam. Danach gerät die Künstlerin in Vergessenheit.

Auch die anderen Künstlerinnen der Vereinigung (Elisabeth Andrae, Gertud Körner, Käthe Loewenthal, Julie Wolfthorn, Augusta von Zitzewitz…) werden durch die Forschung nach 1945 wenig oder kaum beachtet.

Und Henni Lehmann? Verzweifelt und schwer erkrankt scheidet sie im Februar 1937 in Berlin freiwillig aus dem Leben.

In den 1950er Jahren erwirbt der in Dresden geborene Maler Günter Fink die „Blaue Scheune“ auf Hiddensee, renoviert und bewohnt sie bis zu seinem Tod im Jahr 2000. Das Gebäude wird neben seinem Atelier und einem Ausstellungsraum wieder zum Mittelpunkt für Kunstinteressierte.

Mit der Frauenbewegung in den 1970er Jahren kommt es zwar zu einem neuen Interesse an „weiblicher Kunst“, doch die Wiederentdeckung des Hiddensoer Künstlerinnenbundes lässt noch auf sich warten. Inzwischen widmen sich jedoch einige Museen in Ausstellungen den selbstbewussten und talentierten Malerinnen des Künstlerinnenbundes. Master- und Doktorarbeiten erscheinen, die Künstlerinnen werden in Veröffentlichungen genannt und die Preise für ihre Bilder steigen.

Was hat Hiddensee für die Malerinnen des Künstlerinnenbundes bedeutet? Die Freiheit ihr Maltalent in einer gewissen Abgeschiedenheit auszuführen? Motive des Malens aufzuspüren? Unter sich zu sein? ….

Wie schrieb Asta Nielsen über Hiddensee:

„Die kräftige, einfache Natur, die imstande ist, alles aufzunehmen und alle Gegensätze in wunderbarer Weise zu vereinen.“

Vielleicht ist es das!

Hiddensee erkunden, eröffnet neue Einsichten und verändert!

Begleiten Sie Edith Dietzler-Isenberg auf der Ferienakademie Glückliche Idyllen!? Künstlerkolonien. Hiddensee, Ahrenshoop, Schwaan vom 19. bis 25. September 2021 (So.-Sa.).

Mehr Informationen zur Reise finden Sie hier.

Empfohlene Links:

Vor 75 Jahren starb Clara Arnheim. Die Frau am Meer (Deutschlandfunk, August 2017)

Eine Lange Nacht über die Malerin Clara Arnheim. Die Frau am Meer (Deutschlandfunk Kultur, Februar 2015)

Die „Malweiber“ von Hiddensee (Galerie & Kunsthandel „DER PANTHER“ – fine art)

Hiddensee – Insel der Malweiber (Reisezeit von Flora Jädicke, September 2016)

Empfohlene Literatur:

Kristine von Soden: „Ob die Möwen manchmal an mich denken?“ – Die Vertreibung jüdischer Badegäste an der Ostsee, Berlin 2018

Katja Behling/Anke Mangold: Die Malweiber. Unerschrockene Künstlerinnen um 1900, Berlin 2013

Marion Magas: Wie sich die Malweiber die Ostseeküste eroberten, Eigen-Verlag 2010

Bildnachweise:

Die Blaue Scheune in Vitte, Chin tin tin, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons

Henni Lehmann: Bäuerin auf der Straße in Kloster (Hiddensee), 1918, Wikipedia, gemeinfrei

Clara Arnheim: Alter Fischereihafen in Vitte (Hiddensee), www.galerie-der-panther.de

4. März 2021 || ein Beitrag von Edith Dietzler-Isenberg, Konrektorin i. R. an einer Grundschule