Heilige Nacht. Poetische Lese über die Gottgebärerin (Analecta super Deiparam)
Es ist eine schöne Sitte, zum Geburtstag eines Kindes auch der Mutter zu gedenken. Dies empfiehlt sich umso mehr, wenn das Kind heilig und Sohn Gottes (Lk 1, 35) genannt wird. – Markus Juraschek-Eckstein liest für Sie zur Heiligen Nacht.
Es ist eine schöne Sitte, zum Geburtstag eines Kindes auch der Mutter zu gedenken. Dies empfiehlt sich umso mehr, wenn das Kind heilig und Sohn Gottes (Lk 1, 35) genannt wird. Der Erzengel Gabriel gab Maria mit diesen Worten kund, dass sie kein gewöhnliches Kind zur Erde bringen würde, sondern die ganze Welt. Die doppelte Natur dieser Menschensohn-Schwangerschaft wird sie empfunden haben, so als sie ihre Schwägerin Elisabeth aufzusuchen ging: Noch erging sie’s leicht im Anbeginne, doch im Steigen manchmal ward sie schon ihres wunderbaren Leibes inne, – und dann stand sie, atmend auf den hohen Judenbergen. Aber nicht das Land, ihre Fülle war um sie gebreitet; gehend fühlte sie: man überschreitet nie die Größe, die sie jetzt empfand (Rainer Maria Rilke, 1912). In physischer Hinsicht ging‘s Maria wohl nicht anders als allen Frauen zu Beginn des 4. Monats. „Magd bin ich Deiner Gottheit und bin doch zugleich die Mutter Deines Menschenwesens, mein Sohn und Gott!“ (Ephräm der Syrer, Mitte 4. Jh.)
Als dann die Zeit der Geburt gekommen war, legte sie das Kind in die Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war (Lk 2,7). Singend gebar sie Ihn, voll von Heiligem Geist, barg sie ihn in ihren Armen, bebend vor Innigkeit (italienisches Volksgut). Der Strahl Gottes, der aus ihr kam, muss auch sie beschienen haben. Wie von der Sonne strömt des Tages Licht, ohn‘ dass verdunkelt würd ihr Angesicht, so ward versehrt auch nicht dein reines Wesen, als, heil’ge Frau, des Kindes du genesen (Arnsteiner Mariengebet, Mitte 12. Jh.). Aber wie ist das, wenn eine Menschenfrau einen Gott gebiert? Wurde nicht dein Blick zunichte vor dem strahlenden Gesichte, da als Kind erschien der lichte Gott, im Fleisch sich zu verklären? (Jacopone da Todi, 2. Hälfte 13.Jh.) Die Götter der Antike streckten die Menschen, wenn sie sich ihnen zeigten, tödlich nieder und lebten gratis von Ambrosia. Doch dieser und seine Mutter?
Maria bewahrte alles, was geschehen war in ihrem Herzen und dachte darüber nach (Lk 2,19): „Ach, Gottessohn, mir ist so bang, dass wir so arm hier sind. Ach Königssohn, zu welcher Fron zogst du in diese Höhle ein?“ Ihr antwortete das Kind: „Wie lieb du, Fürstin Mutter, bist! Doch sieh, mir steht es frei, zu Hof zu han in kurzer Frist aus Huld der Kön’ge drei. Reich mir die Brust zu süßer Lust und sing: eja, popeia, lala!“ (englisches Volksgut) Maria: “Wie soll ich Dir den Quell der Muttermilch öffnen, da Du die Quelle bist? Wie soll ich Dir reiche Nahrung reichen, da Du alles nährst? Wie soll ich Dir mit Windeln nahen, da Du mit Strahlen gewandet bist? (Ephräm der Syrer, Mitte 4. Jh.) Mein süßes Kindlein, wüsst ich dein zu pflegen! Ich bin noch matt, doch ruh am Busen warm. Die Nacht ist dunkel, klein die Hütt‘ und arm: Wir mussten dich in diese Krippe legen“ (August Wilhelm Schlegel, 1800). Das Kind: “Saugest du mich nit, so will ich mich dir underziehen, so du mich also gernost hast.“ Maria also nam ir kint mit begirden und mit fröden uzze der wiegen und stalte es uf iren schosse. Do fiel es umb sie mit sinen armen und hiels und küsset sie. Nun legt sie es an ir blozzes herze mit grossem lust und süessiket (nach Margarethe Ebner, 1344). Die herrliche Mutter – o strahlender Stern, Mittagssonne der Sehnsucht! – gab ihm zärtlich gewährend die Brust (italienisches Volksgut).
Des himeles hêriu chunegîn, geborn von Iesses stamme, des gots sunes amme! Maria, Maria, dîn munt ist alsô ein honecseim; under dîner zungen dâ ist gewisse vunden honec und milch genûc; dû bist inneclîchen gût (Vorauer Marienlob, Ende 12. Jh.). Maria wieget ihren lieben Sohn. Sie nahm ihn auf ihr Schoße, das Kindlein nackend und bloße. Das Wasser, das aus unsern Auge gaht, daraus macht Maria ihrem Kind ein Bad. Unser Herz soll das Krippelein sein, darein legt Maria ihr Kindelein. Nu wieget! Nun wiegen wir Jesum den aller Höchsten, wir wiegen Jesum (Mariae Wiegenlied, Augsburg 1590). „Mein himmlischer Knabe im Kämmerlein, wie muss er müde sein! O schützet ihn vor Leide sein Herze klein, rührt nicht an die Zweige: mein Kind schläft ein!“ (Lope de Vega um 1600) Wir wigeten das kintgin zemlich die hillige tag und sungen (Hermann von Weinsberg 1560): „Schlummre, Kindlein, schlummre! Lass mich Dir das Bettchen machen, schlummre, schönes Kind, und ruh‘!“ (schwedisches Volksgut) Und nun sieh Dir diesen Engel an!
Maria, du bist uber engil al, du besuontest den Even val, Sancta Maria. Du bist das ander wib, diu uns brahte den lib. der tiufel geriet daz mort, Gabrihel chunte dir das gotes wort (Melker Marienlied, zwischen 1130 und 1160). „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt“ (Lk 1,35). Maria voll der Gnaden: „Magd bin ich Deiner Gottheit und bin doch zugleich die Mutter Deines Menschenwesens, mein Sohn und Gott!“ (Ephräm der Syrer, Mitte 4. Jh.)
Als dann die Zeit der Geburt gekommen war, legte sie das Kind in die Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. (Lk 2, 7) Da schrie das Weib und weinte in den Wind und litt in Schmerzen, die an allen Enden für alle Mütter noch dieselben sind (Rudolf Hagelstange, 1959). Sie stöhnte, schrie und zerbiss den Schrei. Ein Ächzen ging durch die Finsternis. Das Kind lag hilflos auf seinem Stroh. Der Tod war seines Sieges gewiss. Aber das blieb nicht so, (Manfred Hausmann, 1938) – damals, als gott im schrei der geburt die gottesbilder zerschlug und zwischen marias schenkeln runzelig rot das kind lag (Kurt Marti, 1968). In späteren Jahren vergaß sie gänzlich den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu. Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte. Der Wind, der sehr kalt war, wurde zum Engelsgesang (Bertolt Brecht, 1922). Sie hielt in ihren leidensblassen Händen das Licht, das All, das Leben – hielt ihr Kind (Rudolf Hagelstange, 1959) – wiegte den neuen Menschen, Adam, Eva: „Selig bist du und heilig, die du den Messias gebarest, einen Gerechten, ach einen unschuldigen teuren Messias! Zärtlich seh‘ und mit irrendem Blick ich hinab zu der Erde – dich, Paradies, dich seh‘ ich nicht mehr! – Bethlehem, wo ihn Maria gebar und ihn brünstig umarmte, sei du mir mein Eden, du Hütte, wo er weinete, sei mir die Laube der ersten Unschuld!“ (Friedrich Gottlieb Klopstock, 1748) – er wägt den neuen Menschen, Adam, Eva: Ave Maria, due edler Sarg des Herrn, darin sich Gott, Drei und Einer, verbarg! Ave Maria, du Wiederbringerin, Gott sandte dir das Wort und barg sich selbst darin. Eva hat die ganze Welt verführt, zurückgebracht hat uns Ave, die Reine (Albrecht Lesch, um 1500).
Maria, du bist uber engil al, du besuontest den Even val, Sancta Maria. Du bist das ander wib, diu uns brahte den lib. der tiufel geriet daz mort, Gabrihel chunte dir das gotes wort (Melker Marienlied, zwischen 1130 und 1160). „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt.“ (Lk 1, 35) Maria voll der Gnaden.
Die kursiv stehenden Texte sind Marienpoemen der genannten Autor*innen entnommen.
24. Dezember 2020 || ein Beitrag des Kunsthistorikers und Germanisten Markus Juraschek-Eckstein