Zu Nutzen und Frommen. Die Gründung der Alten Universität zu Köln im Jahr 1388

Die Kölner wussten sich in der Vergangenheit immer wieder politische Großwetterlagen zunutze zu machen. Im Zuge des Kriegs zwischen König Heinrich IV. gegen seinen Vater Kaiser Heinrich III. erlangten sie 1106 partielle Wehrhoheit über die Stadt, die nicht einmal die ihre war. Denn regiert wurde Köln seit 150 Jahren von seinen Erzbischöfen. Nun aber waren die Einwohner Kölns die ersten Vertreter des Dritten Stands, die im mittelalterlichen Europa auch im juristischen Sinne als gemeinschaftlich handelndes Subjekt in Erscheinung traten.

Die Blockadepolitik Friedrich I. Barbarossas gegen den Kölner Englandhandel wussten sie geschickt gegen den Kaiser zu umgehen, indem sie mit König Heinrich II. von England einen bilateralen Freihandelsvertrag aushandelten und so – wiederum als erste Bürgerschaft Europas – den Boden internationaler Politik betraten. Am Ende dieser Aktion stand ab 1188 die faktisch vollständige Wehrhoheit der Kölner, letztlich auch gegen den in dieser Angelegenheit noch in einem Zweckbündnis mit ihnen stehenden Stadtherrn, Erzbischof Philipp von Heinsberg.

Not last and not least erkämpfte sich die Kölner Bürgerschaft 1288 im Verlauf des Limburger Erbfolgestreits in der Schlacht von Worringen als Hilfstruppen des Brabanter Herzogs Johann die völlige Autonomie über die Stadt. Jetzt war sie die ihre! Fehlten noch solche Dinge wie die Münzhoheit, welche ihnen dann aber eher nebenbei durch Kaiser Friedrich III. 1475 gegeben wurde.

Genau 100 Jahre nach der historischen Zeitenwende von Worringen wurde die Alte Universität zu Köln gegründet. Dies war nun die erste städtisch-bürgerliche Universitätsgründung überhaupt und sie war nichts Geringerem zu verdanken als dem Abendländischen Schisma von 1378-1417. Seit 1309, nachdem mit Clemens V. erstmals ein Franzose die Westkirche regierte, hatten die Päpste in Avignon residiert und von dort aus vor allem französische Interessen vertreten. Nach der 1376 erfolgten Rom-Rückkehr Gregors XI. suchte der 1378 unter starkem Druck der römischen Bevölkerung zu Papst Urban VI. erhobene Neapolitaner Bartolomeo Prignano das Papsttum wieder dauerhaft im Vatikanstaat zu installieren. Zu diesem Zweck erweiterte Urban VI. das seinerzeit vor allem aus Franzosen bestehende Kardinalskollegium um nahezu die doppelte Personenzahl und besetzte es mit 29 neuen, vornehmlich italienischen Bischöfen.

Die französischen Kardinäle spalteten sich daraufhin vom römischen Kollegium ab und wählten in Avignon Robert Comte de Genevois zum Gegenpapst Clemens VII. In der Folge schlugen sich die europäischen Mächte entweder auf die eine oder die andere Seite: Frankreich, Kastilien, Aragon, das Königreich Neapel und Schottland hielten zu Clemens VII. in Avignon – Flandern, England, Dänemark, Schweden, Polen, Ungarn, König Wenzel und mit ihm die Mehrheit der Fürsten und Städte im Heiligen Römischen Reich waren Parteigänger Urbans VI. in Rom – und mit dem Römer hielten es, seit dieser ein 1376 gegen die Stadt verhängtes Interdikt aufgehoben hatte, auch die Kölner. Papst und Gegenpapst suchten natürlich durch verschiedenste Privilegien ihre Anhängerschaften zu halten beziehungsweise neue Parteigänger zu gewinnen.

Das Abendländische Schisma hatte eine bildungspolitische Lücke von europäischer Tragweite bewirkt, in welche nun die Kölner Bürgerschaft drängte. Die Pariser Universität an der Sorbonne – das war die vornehmste unter den europäischen Studienorten, da mit einer Theologischen Fakultät und dem Promotionsrecht ausgestattet – war von den französischen Kardinälen gezwungen worden, sich Clemens in Avignon anzuschließen. Damit war der Pariser Lehrkörper aber faktisch ausgeschaltet, da er sich vornehmlich aus Mitgliedern der romtreuen europäischen Bettelorden zusammensetzte. Diese schickten nun keine Studenten mehr nach Paris, durften selber aber in den von ihnen unterhaltenen Generalstudien in Städten wie Köln keine akademischen Grade verleihen, denn diese Hochschulen waren streng genommen nur Propädeutika für das eigentliche Universitätsstudium in Paris.

Traditionell waren es die Dominikaner, die den Lehrkörper an der Sorbonne dominierten. Sie besetzten statt des üblichen einen immer zwei Lehrstühle. Köln hatte sich nun mit dem Dominikaner Albertus Magnus, der von 1245 bis 1248 an der Sorbonne gelehrt und dann vom Orden zur Gründung des ersten Studium Generale nach Köln berufen wurde – Albert kam gemeinsam mit seinem Schüler und Assistenten Thomas von Aquin an den Rhein – auf einen Schlag zu einem Zentrum des europäischen Geisteslebens entwickelt. Es ist nicht klar, von wem in dieser Situation die Erstinitiative ausging, beim römischen Papst Urban VI. um Gründung einer „echten“ Kölner Universität mit Promotionsrecht zu ersuchen. Waren es der weltliche Rat, die Schöffen, Bürger und die Gemeinde („consulus, scabinori, cives et commune“), die Urban VI. in der Gründungsbulle vom 21. Mai 1388 ausschließlich nennt? Oder waren es die Vertreter der Kölner Generalstudien, der Dominikaner Alexander von Kempen oder die Augustinereremiten Gyso von Köln und Nikolaus von Neuss etwa, die neben zwei weiteren Gelehrten aus Köln persönlich bei Papst Urban in der Angelegenheit vorstellig wurden? Die Ordensvertreter hätten auch dadurch, dass sie sich als die eigentlichen Initiatoren hinter der Kölner Bürgerschaft versteckten, eine weitere innerkirchliche Verwerfung vermeiden wollen können.

Wie es auch immer war: Beide Seiten gewannen außerordentlich. Am 21. Mai 1388 stellte Papst Urban VI. in Perugia das Gründungsprivileg für die „Universitas Studii Coloniensis“ nach dem Vorbild des Pariser Studiums („ad instar studii Parisiensis“) aus. Zu Nutz und Frommen der Stadt und der Einwohner des umliegenden Landes („non solum ad ipsius civitatis sed etiam regionum circumadiacentium incolarum commodum et profectum“) sollte dies geschehen. Am 3. Dezember des Jahres beglaubigte Johann de Ceruo, Doktor der Rechte und Offizial der Kölner Kurie im Auftrag des Erzbischofs Friedrich III. von Saarwerden die Echtheit des Dokuments. Am 22. Dezember wurde es im Stadtrat verlesen, welcher daraufhin versprach, das Privileg schnellstmöglich umzusetzen.

Die Professorenstellen finanzierte die Stadt, die Fakultäten wurden in den Räumlichkeiten der bisherigen Ordenshochschulen und der Kölner Domkurie eingerichtet. Bereits am 6. Januar 1389 eröffnete Gerhart Kikpot von Kalkar, Magister der Theologie, den Lehrbetrieb mit einer Vorlesung über Jesaja 60,1 („Auf, werde Licht, Jerusalem! Siehe, es kommt dein Licht: die Herrlichkeit des Herrn ging strahlend auf über dir!“) im Kapitelhaus des Kölner Doms, der nachmaligen Aula Theologica. Am 7. Januar 1388 schließlich fand der Gründungsgottesdienst in den unvollendeten Südseitenschiffen des Kölner Doms statt. Von den 19 Hochschullehrern, die zwei Tage darauf den aus Heidelberg berufenen Magister Hartlevus de Marca zum ersten Rektor der Universität wählten, waren allein zwölf, also zwei Drittel „Überläufer“ aus Paris. Für die ersten beiden Studienjahre ist eine Gesamtzahl von 842 Immatrikulationen belegt. Damit war jeder zwanzigste Bewohner Kölns, darunter viele aus dem europäischen Ausland, Studierender an der ersten bürgerlichen Universität der Geschichte!

 

Titelbild: Albertus Magnus, Wikipedia, gemeinfrei

Beitragsbilder: (alle gemeinfrei)

Abb. 1 : Typar des Universitätssiegels, um 1390

Abb. 2: Papst Urban VI., Kupferstich 17. Jahrhundert

Abb. 3: Treffen von Doktoren an der Universität Paris, Paris, 16. Jahrhundert

Abb. 4: Gründungsurkunde der „Universitas Studii Coloniensis“ vom 21. April 1388

 

1.  Oktober 2020 || ein Beitrag von Markus Juraschek-Eckstein, Kunsthistoriker und Germanist