Blume des Feldes und Lilie in den Tälern… (Hld 2,1) Marienpflanzen und ihre Symbolik

Der Gottesmutter zugeordnet werden zahlreiche Pflanzen und Tiere. Die nachfolgend genannten Pflanzen sind nur ein winziger Ausschnitt, stellen aber wohl die bedeutendsten Vertreter ihres Standes dar. Für alle gilt: Sie werden möglichst naturgetreu dargestellt, weil sie Teil der neuen Erkenntnisse sind, die in Medizin, Kräuterkunde und Pharmazie einfließen. Denn die Pflanzen sind nicht nur schön und symbolisch, sondern zugleich auch Heilkräuter. Aus diesem Grund wurden sie in Klostergärten kultiviert und verbreiteten sich entsprechend.
Von den acht bedeutendsten Marienpflanzen werden hier die ersten vier aufgeführt. In einem weiteren Blog-Beitrag werden außerdem die Pfingstrose, die Akelei, die Schwertlilie, die Walderdbeere sowie der Apfel thematisiert.

Die Lilie

Die Göttin Athene begegnet uns schon mit lilienumkränztem Haupt. In Ägypten wurde die Pflanze verehrt. In Israel hat sie einen besonderen Stellenwert: Im Hohelied heißt es: „Ich bin eine Blume auf den Wiesen des Scharon, eine Lilie der Täler“ (Hld 2,1) und „eine Lilie unter Disteln“ (Hlg 2,2). Das „Ich“ des Hoheliedes wurde seit Rupert von Deutz mit Maria gleichgesetzt, so dass sie zur Lilie wurde, die Pflanze dementsprechend auch „Madonnenlilie“ genannt wurde. Das hebräische Wort für Lilie „shoshan“ oder „shushan“ war Vorlage für den Mädchennamen „Susanne.“

„Lilium candidum“, die Madonnenlilie wird zum Inbegriff für Vollkommenheit und Schönheit. Seinen Ausdruck findet das im Wort Jesu: „Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen“ (Mt 6, 28f).

Die weiße Farbe der Lilie ist nicht nur ein Hinweis auf die Sündenfreiheit der Gottesmutter, sondern verweist auch auf den Heil bringenden Körpersaft: die Muttermilch Mariens, die „Liebfrauenmilch.“ Der Legende nach tropfte diese Milch auf eine Distel, die seitdem eine weißliche Maserung zeigt und als „Mariendistel“ bezeichnet wird. Ein eigener Darstellungstyp der Maria entstand: Maria lactans, die stillende Gottesmutter, aber auch Darstellungen, bei denen die Gottesmutter ihre Milch in die Münder der Gläubigen spritzt, wurden im späten Mittelalter und Barock ausgebildet, sowie die Gottesmutter, die auf ihre Brust zeigt und so als „Mutter der Barmherzigkeit“ einen eigenen Typus darstellte.

Für die Darstellung der Verkündigung an Maria wird die Lilie unerlässlich. Der Verkündigungsengel hält sie wie ein Heroldstab in Händen oder sie steht in einer Vase deutlich sichtbar.

Bild:
Barthélemy d’Eyck (+ um 1476), Verkündigungstriptychon (Mitteltafel), um 1442 – 1445, Aix-en-Provonce, Sainte Marie-Madleine

Die Rose

Die duftende Rose stammt aus dem persischen Raum und lässt sich erstmals im 24. Jahrhundert vor Christus nachweisen. Über Griechenland und Rom kommt sie mit den Römern nach Deutschland, das bis dahin nur die Hundsrose (Rosa caniona L.) kannte. In Klostergärten wird sie gehegt und gepflegt. Bis heute hat das Rot der Rose die Bedeutung der Liebe, die durch das Samtrot und den sich verschenkenden Duft, aber auch durch die Dornen ausgedrückt werden.

Die Symbolik von Lilie und Rose ist bereits dem Benediktinerabt Walahfried Strabo, der um das 9. Jahrhundert auf den Bodenseeinsel Reichenau lebte, bekannt, denn er dichtete: „Diese beiden lobwürdigen und ruhmreichen Blumenarten sind nämlich schon seit Jahrhunderten Sinnbilder der höchsten Ruhmestitel der Kirche, die im Blut der Märtyrer die Gabe der Rose pflückt und die Lilien als leuchtendes Zeichen strahlenden Glaubens trägt. Mutter und Jungfrau du, Mutter mit fruchtbarem Reise, Jungfrau mit reinem Glauben, Braut nach des Bräutigams Namen, Braut du, Taube und Hort, Königin, treue Gefährtin, pflücke Rosen im Streit, brich Lilien im glücklichen Frieden.“

Der Mythologie nach entstanden die ersten weißen Rosen aus dem Meerschaum, der bei der Geburt der Aphrodite zu Boden fiel. Die gleiche Aphrodite verwandelte in einem Mythos die Farbe. Als sie ihrem verwundeten Liebhaber Adonis zu Hilfe eilen will, verletzt sie sich an den Dornen der weißen Rose, die sich durch ihr Blut rot färben.

Die rote Rose steht für die Schönheit, die Liebe und die Vergänglichkeit, denn die Pracht der Rose hat eine eng bemessene Spanne. Bei den Römern wurden die Toten mit einem Rosenkranz bestattet; die Hinterbliebenen trauerten mit Rosenkränzen auf dem Kopf und auf der Brust – Gründe für die Christen, Rosen zunächst nicht zu nutzen. Da aber die griechische Dichtung das Paradies, das Elysion, als mit Rosen geschmückte Wiesen des Jenseits darstellte, wurde die Rose zur Paradiesblume. In Dante Alighieris (1265 – 1321) „Göttlicher Komödie“ wird das Zentrum des Paradieshimmels als Rückstrahlung des göttlichen Lichtes in Form einer riesigen weißen Rose beschrieben.

Während die dornenlose weiße Rose zum Symbol der Reinheit Mariens wurde, symbolisiert die rote Rose mit Dornen das Blut der Märtyrer, vor allem aber das Leiden Christi.

Wenn Maria zur „rosa mystica“ wird, zur Knospe, die den Reis Jesse gebar (Vgl. „Es ist ein Ros’ entsprungen“ nach Is 11,1: „ Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, / ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“) ist sie dadurch nicht gehindert, alle antik-heidnischen Attribute der Göttinnen zu übernehmen: die Titel Himmelskönigin, Gottesgebärerin oder heilige und himmlische Jungfrau, die Krone, den Halbmond, das Blau für den Himmelsmantel und das Rot für das Kleid, das auf die Schmerzen verweist.

Die weiße Rose wird ihr Erkennungszeichen, die in Kombination mit der roten Rose auftritt. Nimmt Maria eine weiße Rose aus der Hand ihres Sohnes entgegen, oder greift das Kind nach ihr? Die roten Rosen im Hintergrund zeigen die Bestimmung Jesu an. Da aber das Leiden Christi auch Leiden für Maria bedeutet, wird ihre weiße Rose auch mit roten Rosen kombiniert. Das Überreichen einer Rose zwischen Mutter und Sohn ist ein Zeichen für die Liebe zwischen Beiden.

Der Paradiesgarten wird als Rosengarten vorgestellt. Es entsteht der Typus des verkleinerten Paradiesgartens, der Rosenhaag.

Die rote Rose lieferte die Vorlage zur „Goldenen Rose“, die der Papst bis in die Gegenwart überreicht, die dem „Rosensonntag“ „Laetare“ den Namen gegeben hat, Vorbild für die Farbe des Messgewandes an diesem Tag. Säkularisiert wird die „Goldene Rose“ zum Filmpreis in Montreux.

Die Symbolik der Rose ist – in vielfältig trivialisierter Form – bis in die Gegenwart erhalten, sei es in den Märchen wie z.B. „Schneeweißchen und Rosenrot“ oder „Dornröschen“, in Schlagern wie „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ oder „Weiße Rosen aus Athen“, in der Gleichsetzung von Rose und Herz, in der Heilkraft des Rosenöls usw.

Bilder:
Oberreinischer Meister, Madonna in den Erdbeeren, um 1425
Mischtechnik auf Fichtenholz, 144,5 x 87,5 cm, Kunstmuseum Solothurn

Kölner Meister (Lochner-Schule), Triptychon (Mitteltafel, Ausschnitt), um 1445, Wallraf-Richartz-Museum, Köln

Oberrheinischer Meister (tätig um 1410/20), Paradiesgärtlein, Mischtechnik auf Eichenholz, 26,3 x 33,4 cm, Historisches Museum Frankfurt

Das Gänseblümchen

Das Gänseblümchen (Bellis perennis L.) drückt sich auf den Boden. Die Blüte schließt sich bei Regen und in der Nacht. Die weißen Blütenblätter scheinen das mittige Symbol der Sonne zu schützen, so wie Maria das Jesuskind schützt. Die Pflanze ist einer der ersten Frühlingsboten, blüht aber bis in den Winter, ist also sensibel und stark zugleich. Das Gänseblümchen steht für die Mütterlichkeit und Fürsorge, entstand der Legende nach aus den Tränen, die Maria auf der Flucht nach Ägypten weinte. „Maßliebchen“, „Marienblume“ oder – in der gefüllten Variante – „Tausendschön“ sind einige der weiteren Namen.

Durch sein gelbes Körbchen und seine weißen Blütenblätter ist das Gänseblümchen ein miniaturisiertes Abbild der Sonne, wird – wenn die Sonne mit Gold assoziiert wird – zum „summum golde“ und Frühlingsboten. In seinem englischen Namen, „daisy“, ist das Licht der Sonne noch durch den Begriff Tag (engl. day) enthalten. In den germanischen Mythen bildet das Gänseblümchen die Augen des Sonnengottes Baldur, der uns durch seine Blüten anblickt.

In erster Linie ist das Gänseblümchen ein Bild der Demut und kommt so in fast allen Paradieswiesen vor. In der Gegenüberstellung mit der „alten“ Eva wird das Gänseblümchen neben Maria zur Pflanze des neuen Paradieses, stellt Christus als Lichtbringer und Sonne dar. Und natürlich stellt das Gänseblümchen nicht nur das Heil dar, sondern lässt sich auch zum Heilen einsetzen, innerlich und äußerlich.

Bild:
Stephan Lochner (* um 1400/1410 in Meersburg am Bodensee, + 1451 in Köln), Madonna im Rosenhag , 51 x 40 cm, Wallraf-Richartz-Museum, Köln

Das Veilchen

Das Veilchen, die „viola odorata L.,“ wurde bereits in der Antike kultiviert. Homer kritisiert, dass die Olivenhaine vernachlässigt würden, weil duftendes Unkraut wie die Veilchen zwischen die Bäume gepflanzt worden seien. Der Name „Märzveilchen“ verweist auf seine Funktion als Frühlingsbote, als Herold einer neuen, besseren Zeit. Seine Beziehung zur Gottesmutter erscheint im Namen „Marienstängel.“

Violett ist die Farbe der Demut und Buße; als liturgische Farbe wird sie im Messgewand zur Fasten- und Adventzeit verwendet. Die Tugend der Demut wird der Gottesmutter zugeordnet.

Weil in Griechenland die Persephone, Gattin des Unterweltherrschers Hades, aus der Totenwelt wieder zum Licht fand, stand dort das Veilchen für die Wiederkehr des Lebens im Frühling. Seine Entsprechung hat dies bei Maria: Als Königin des Himmels steht sie den Verstorbenen bei, ist Fürbitterin beim Gericht, steht den Sterbenden bei, begleitet die Seelen beim Übergang vom Leben zum Tod.

Veilchen sind Teil der paradiesischen Blumenwiese. Stefan Lochner hat dem Veilchen aber ein besonderes Denkmal gesetzt: die „Muttergottes mit dem Veilchen“.

Bild:
Stephan Lochner (* um 1400/1410 in Meersburg am Bodensee, + 1451 in Köln), Madonna mit dem Veilchen (Ausschnitt und Vergrößerung), vor 1450, Kolumba, Köln

Titelbild:
© unsplash.com, gemeinfrei

4. August 2020 || ein Beitrag von Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti

Der Theologe Manfred Becker-Huberti war von 1991 bis 2006 Pressesprecher des Erzbistums Köln. Seit 2007 ist er Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Er forscht zu religiösem Brauchtum, Heiligen und der Heiligenverehrung speziell im Rheinland.