Es scheint, als haben Südafrikas Männer ihren Frauen den Krieg erklärt. – Südafrika in der Coronakrise

Während in Europa die Zahlen der Covid-19-Infizierten grundsätzlich rückläufig sind und in den meisten Regionen die Auflagen gelockert wurden, steigen in anderen Ländern die Infektionsraten. So befindet sich etwa Südafrika in einem Dilemma zwischen effektiver Pandemiebekämpfung und einem massiven ökonomischen Druck.
Zugleich wird das Problem von häuslicher Gewalt, durch Maßnahmen wie den Lockdown verstärkt, sichtbarer. Eine steigende Anzahl an Gewalttaten gegenüber Frauen und Kindern erschüttert das Land.
Über diese Situation war die Politikwissenschaftlerin Julia Steinkamp im Gespräch mit Henning Suhr, dem Leiter des Landesbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Johannesburg.


Sehr geehrter Herr Suhr, wie haben Sie persönlich die letzten Monate erlebt und wie hat sich die Situation in Südafrika seit März 2020 verändert?
Südafrika hat am 26. März eine sehr strikte und umfassende Ausgangssperre verhängt, die erst Ende Mai gelockert wurde. Während dieser Zeit musste man zuhause bleiben. Selbst Spazierengehen war verboten. Anfänglich hat Präsident Ramaphosa sehr viel Zustimmung für sein rasches und rigoroses Handeln bekommen. Mit der Zeit änderte sich jedoch die Stimmung im Land und schlug ins Negative um. Dies hat vielfältige Gründe: Die Wirtschaft litt ungemein und viele verloren ihre Anstellung. Besonders die armen Südafrikaner wohnen teilweise sehr beengt, weshalb es eine ungemeine Belastung ist, wochenlang zuhause zu weilen. Ebenso wenig können Abstandsregeln eingehalten werden. Darüber hinaus wurden viele Vorschriften erlassen, die mit Blick auf die Pandemiebekämpfung fragwürdig erschienen, z.B. das Verbot von Tabakverkauf oder des Online-Handels. Mittlerweile öffnet sich das Land wieder, da der ökonomische Druck zu groß geworden ist. Südafrika steckt in einem Dilemma, denn jetzt, wo Infektionszahlen sprunghaft ansteigen, wäre eigentlich die Verlängerung des Lockdowns ratsam. Dieser ist jedoch weder für den Staat, der weitere Hilfsmaßnahmen umsetzen müsste, noch die Privathaushalte wie auch die Wirtschaft finanzierbar. Die Folgekosten eines weiteren Lockdowns wären unlängst höher.

In Deutschland und Europa legen viele Menschen Hoffnung auf eine Besserung der Situation auch durch die Sommermonate, auf der Südhalbkugel hingehen ist Winter, wie gehen die Menschen in Südafrika mit dieser Perspektive um?
Im südafrikanischen Winter kann es mitunter sehr kalte Temperaturen geben, im Nordosten gar nachts um den Gefrierpunkt. Viele Häuser und besonders die Hütten der armen Leute sind kaum isoliert. Ähnlich wie in Deutschland geht daher mit dem Winter meist auch eine Grippewelle einher, die im Zusammenhang mit Covid-19 negative Konsequenzen haben wird. Davon abgesehen leben in Südafrika Millionen von Menschen mit Vorerkrankungen wie bspw. Tuberkulose, Diabetes oder HIV. Noch gibt es keinerlei Evidenz, dass diese Menschen besonders gefährdet sind, doch die Vermutung legt es nahe.

Neben steigenden Covid-19-Fällen hat Südafrika mit zunehmenden Gewalttaten an Frauen und Kindern zu kämpfen, wie nehmen Sie und Ihre Mitarbeitenden die Stimmung in der Bevölkerung wahr?
„Es scheint, als haben Südafrikas Männer ihren Frauen den Krieg erklärt.“ Mit diesen treffenden, wie auch dramatischen Worten umschrieb Präsident Ramaphosa die bedrückende Lage im Land. Bereits seit vielen Jahren hat Südafrika ein endemisches Problem mit Gewalt an Frauen. Wie auch in anderen Ländern passieren diese meist im häuslichen Umfeld und sind nur sehr schwer zu bekämpfen. Gleichwohl ist es ein Armutszeugnis der Regierung, dass sie nicht in der Lage ist, die Gewalttaten an Frauen einzudämmen. Es müssen sowohl die Hilfsangebote für betroffene Frauen ausgeweitet werden als auch die Bemühungen der Polizei, Straftaten dieser Art aufzuklären und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Das wichtigste wird jedoch ein kultureller Sinneswandel sein, der endlich von Staat und Gesellschaft initiiert werden muss.

Welche Perspektiven sehen Sie, auch in Bezug auf die Arbeit der Stiftung in den kommenden Wochen und Monaten? Finden Veranstaltungen, Seminare und Workshops nun vermehrt online statt und wie wird dieses Angebot angenommen?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat relativ schnell neue Formate und Projekte entwickelt. Mit dem Johannesburger Radiosender KayaFM produziert die Stiftung eine Podcastreihe. Die Tageszeitung Daily Maverick wird bei der Umsetzung einer Webinarreihe unterstützt. Gemeinsam mit der University of Cape Town wird eine App entwickelt, mittels derer sich Parlamentarier, Wissenschaftliche Mitarbeiter und Juristen die südafrikanische Verfassung samt Gerichtsentscheidungen, Gesetzesänderungen und -kommentaren einsehen können.
In Südafrika werden diverse Onlineformate sehr gut angenommen. Die KAS hat sogar die Reichweite deutlich erweitern können. Diese positiven Effekte werden auch nach der Überwindung der Pandemie fortbestehen. Alle Aktivitäten wird die Stiftung jedoch nicht in den Onlinebereich schieben können. Hierzu zählen besonders Gespräche und Seminare im kleinen Kreise zwischen Politikern, Diplomaten sowie ranghohen Vertretern aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und von den Kirchen. Der menschliche Austausch bleibt für das Schaffen von gegenseitigem Vertrauen unerlässlich.

Welchen Einfluss sehen Sie bedingt durch die Covid-19-Pandemie auf Fragen der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Südafrika?
Grundsätzlich ist Südafrika eine stabile Demokratie. Allerdings hat die Rigorosität, mit der der Staat den Lockdown umsetzte, viele Fragen aufgeworfen. Als Beispiel kann das überharte Eingreifen von Polizei und Militär dienen, die bei einigen Einsätzen in Armenvierteln teilweise Schusswaffen einsetzten und insgesamt mehr als ein Dutzend Menschen erschossen. Der Einsatz des Militärs im Innern ist zwar möglich, doch informierte der Präsident das Parlament erst viel zu spät. Viele Südafrikaner waren zudem über das Gebaren der zuständigen Minister verärgert, die an ihrer autoritären Rolle geradezu Gefallen gefunden zu haben scheinen.

Ein Abdriften Südafrikas in Autoritarismus wird es unter dem derzeitigen Präsidenten Ramaphosa nicht geben. Nichtsdestotrotz müssen Medien und Zivilgesellschaft wachsam bleiben.

Herzlichen Dank für das Interview!

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bei einem Besuch der Covid-19 Einrichtungen in Kwazulu-Natal.

Im Bild: Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bei einem Besuch der Covid-19 Einrichtungen in Kwazulu-Natal.

Bildnachweise:

  • Passengers going through the screening as part of Coronavirus Covid-19 safety measures; GCIS;Flickr, GovenrmentZA;CC BY-ND 2.0; 
  • Titelbild: Präsident Cyril Ramaphosa; Flickr; CC BY-ND 2.0; 
  • President Cyril Ramaphosa is visiting sites identified as COVID-19 facilities in Kwazulu-Natal.; Flickr, GovenrmentZA;CC BY-ND 2.0;

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