An Dorothe Sölle erinnern
Heute vor 20 Jahren ist Dorothee Sölle mit 73 Jahren überraschend an einem Herzinfarkt gestorben. In vielen Beiträgen wird die weltweit bekannte Theologin und Schriftstellerin gewürdigt. Ich habe sie aus der Entfernung in Messehallen auf Kirchentagen und in Kirchen beim Politischen Nachtgebet erlebt. Sie hat das religiöse und politische Denken und Suchen miteinander verbunden, sie hat klare Sätze gefunden, sie hat sich in der Friedensbewegung engagiert, sie hat sich für Gerechtigkeit und gegen die Unterdrückung in der Welt eingesetzt, sie war auf der Seite der Armen und hat ihnen eine theologische, religiöse und politische Stimme gegeben. Für mich war sie eine streitbare, sichtbare Theologin und Kämpferin, die mutig ihren Glauben vertreten hat, sie hat mich berührt mit ihrer klaren und zärtlichen, aber auch klaren und unmissverständlich aufrüttelnden Sprache. In ihren Reden, Texten und Gedichten wird immer klar, dass Glauben mit dem Hier und Jetzt zu tun hat, dass er sich der Gegenwart stellen muss, dass er in diesem Sinn immer politisch ist.
Dorothee Sölle hat wie viele Menschen ein persönliches Glaubensbekenntnis geschrieben, das für lange Zeit an meiner Pinnwand in Münster hing. Es hat mich zum einen „Politische Theologie“ gelehrt und zum anderen hat es mich ermutigt, mir selbst immer wieder die Frage zu stellen, woran ich glaube, was mein Credo ist. Sölle hat eine lange und eine gekürzte Version veröffentlicht, an meiner Pinnwand hing das ungekürzte Glaubensbekenntnis:
Glaubensbekenntnis von Dorothee Sölle
Ich glaube an Gott,
der die Welt nicht fertig geschaffen hat wie ein Ding, das immer so bleiben muss; der nicht nach ewigen Gesetzen regiert, die unabänderlich gelten; nicht nach natürlichen Ordnungen von Armen und Reichen, Sachverständigen und Uninformierten, Herrschenden und Ausgelieferten.
Ich glaube an Gott,
der den Widerspruch des Lebendigen will und die Veränderung aller Zustände durch unsere Arbeit, durch unsere Politik.
Ich glaube an Jesus Christus,
der Recht hatte, als er, „ein Einzelner, der nichts machen kann“, genau wie wir an der Veränderung aller Zustände arbeitete und darüber zugrunde ging.
An ihm messend erkenne ich, wie unsere Intelligenz verkrüppelt, unsere Fantasie erstickt, unsere Anstrengung vertan ist, weil wir nicht leben, wie er lebte.
Jeden Tag habe ich Angst, dass er umsonst gestorben ist, weil er in unseren Kirchen verscharrt ist, weil wir seine Revolution verraten haben in Gehorsam und Angst vor den Behörden.
Ich glaube an Jesus Christus,
der aufersteht in unser Leben, dass wir frei werden von Vorurteilen und Anmaßung, von Angst und Hass und seine Revolution weitertreiben auf sein Reich hin.
Ich glaube an den Geist,
der mit Jesus in die Welt gekommen ist, an die Gemeinschaft aller Völker und unsere Verantwortung für das, was aus unserer Erde wird, ein Tal voll Jammer, Hunger und Gewalt oder die Stadt Gottes.
Ich glaube an den gerechten Frieden, der herstellbar ist, an die Möglichkeit eines sinnvollen Lebens für alle Menschen, an die Zukunft dieser Welt Gottes.
Amen.
Mein „An Dorothee Sölle erinnern“ hat mich zum Stöbern gebracht. In dem Sonderheft über Dorothee Sölle „Eine feurige Wolke in der Nacht…“ habe ich diesen wunderbaren, kurzen, göttlichen Text wiedergefunden, der mich als Mutter von drei wunderbaren Kindern und als gläubige Frau in unserer oft ungläubigen Welt berührt und mir wie aus der Seele spricht :
Was zählt – Brief an meine Kinder
Vergesst das Beste nicht!
„Meine Schätze kann ich euch nicht einfach vermachen. Gott lieben von ganzem Herzen, mit aller Kraft, aus ganzem Gemüte – in einer Welt voller Traditionsbrüche -, das kann man nicht wie ein Erbe weitergeben. … Aber – organisierte Religion hin, organisierte Religion her – ich wünsche mir, dass ihr alle ein bisschen fromm werdet. Vergesst das Beste nicht! Ich meine damit, dass ihr Gott manchmal lobt, nicht immer – das tun nur Schwätzer und Höflinge Gottes -, aber doch manchmal, wenn ihr glücklich seid, so dass das Glück ganz von selbst in die Dankbarkeit fließt und ihr „Halleluja“ oder das große Om der indischen Religion singt.
Eins von euch, ich glaube, es war Caroline, hat mal beim Besuch einer scheußlichen Kirche, in die wir euch bei Reisen schleppten, trocken gesagt: ‚Ist kein Gott drin.‘
Genau das soll in eurem Leben nicht so sein,
es soll ‚Gott drin sein‘, am Meer und in den Wolken,
in der Kerze, in der Musik und natürlich in der Liebe.“
Heute und in den kommenden Wochen und Monaten wird es zahlreiche Gottesdienste und Lesungen zum Gedenken an Dorothee Sölle geben. Diese sind hier übersichtlich zusammengestellt: Veranstaltungen über Dorothee Sölle.
Das weitere Stöbern auf dieser Seite lohnt sich sehr! Hinrich Kley-Olsen hat viele Texte von und über Dorothee Sölle zusammengestellt, Fotos und Audiobeiträge sind zu finden.
Mir bleibt ein Dank an Dorothe Sölle für das, was ich bei ihr gefunden habe: Worte und Taten der Ermunterung, die politische Theologie des Einmischens und der Parteinahme, die lyrische Theologie der Spiritualität und Mystik, ein Gottesbild ohne das Bild des Herrschers aber mit der Zumutung, dass Gottes Hände unsere Hände sind.
Bild: Sabine Bulling
In: Pfarrbriefservice.de
27. April 2023 || ein Beitrag von Karin Dierkes, Referentin für Theologie und Philosophie
Quelle: Sonderheft über Dorothee Sölle
„Eine feurige Wolke in der Nacht…“
(Redaktion Britta Baas und Johanna Jäger-Sommer),
Oberursel 2004, ISBN 3-88095-132-2, Publik-Forum- Bestellnummer 2727