Béla Bartók und die Schweiz – 30 Jahre Freundschaft

Eine Kindheit im ländlichen Süd-Ungarn, Unterricht am Budapester Konservatorium, frühe Kompositionen im Stil von Franz Liszt, erste Erfolge als Pianist, R. Strauss’ ‘Zarathustra’ als Erweckungserlebnis, die Erforschung der Volksmusik zusammen mit Zoltan Kodaly, ihr gemeinsames erfolgloses Projekt einer Gesellschaft für moderne Musik, der Misserfolg am Pariser Rubinstein-Klavierwettbewerb (dafür die Entdeckung des vibrierenden Pariser Lebens) – dies die wichtigsten Stationen in Bartóks Leben vor seiner ersten Reise in die Schweiz.

Béla Bartók und die Schweiz – 30 Jahre Freundschaft

Bélà Bartók mit 22 (1903 – gemeinfrei)

Auf Einladung einer Jugendfreundin trifft Bartók im Sommer 1908 im Parkhotel Vitznau ein, wo Etelka Freund mit ihrem Mann Urlaub macht. Freunds Bruder ist Klavierlehrer am Zürcher Konservatorium, und so streckt Bartók seine Fühler nach Zürich aus und bietet seine zwei Suiten op. 3 und 4 an, doch vorerst erfolglos. Erst mit seinem Opus 1, der Rhapsodie für Klavier und Orchester gelingt ihm der Durchbruch. Er spielt sie mit großem Erfolg am 28. Mai 1910 unter Volkmar Andreae.

Der Anfang mag an Tschaikowsky’s 1. Konzert erinnern: Streicher und Hörner intonieren unisono eine fanfarenhafte absteigende Figur, unterbrochen von schrillen Blech-Akkorden. Das Motiv wird oft identisch wiederkehren, auch als fugierte Holdbläser-Sequenz (Ziffer 7).

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Anfangstakte der Streicher und Hörner (die Blech-Akkorde hier nicht ersichtlich)

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Fugiert als Zwischenspiel der Holzbläser

Der Klaviereinsatz lässt das Podium erbeben: Hier gerät der Pianist gleich zu Beginn in eine liszt’sche Wallung: Oktavendonner, Arpeggien, Akkordkaskaden und halluzinierende Tremoli – das ganz Menu eines Kraftakts:

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Klaviereinsatz

Im Mittelteil werden wir in den Strudel eines synkopierten Volktanzes gerissen, bevor ein überraschend zärtlicher Dialog zwischen Horn und Klavier das Stück mit einem hauchdünnen D-Dur-Akkord abschliesst.

In der Folge hält sich Bartók oft in den Bergen auf, und vom Gornergrat (über Zermatt) aus beschreibt er seiner Mutter das umwerfende Gletscher-Panorama.

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Gorneregrat: Wanderweg zu den Gletschern (Foto J. Zemp)

Nach dem Rhapsodie-Erfolg öffnen sich für Bartok viele Türen. Deux Images op. 10, die 2. Orchestersuite und die Tanzsuite schaffen es auf die Programme von Zürich und Genf, jeweils mit guter Presse. – Nach 1929 tritt Bartók in vielen Schweizer Städten als Kammermusiker auf, doch den größten Eindruck hinterlässt er mit seinem 2. Klavierkonzert, mit dem er als Solist quer durchs Land reist. Der NZZ-Kritiker spricht von einer urtümlichen Kraft, die man heutzutage selten hört, von der Archaik des Allegros und vom diabolischen Galopp gegen Ende des Stücks.

Dazwischen trifft man den Musiker immer wieder in den Alpen beim Wandern: Davos, Montana, Arolla, Pontresina und Sils im Engadin – und abermals Zermatt.

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Bartók auf felsigen Wegen in den Schweizer Alpen (gemeinfrei)

Ein fester Anker in Bartóks Beziehung zur Schweiz ist die Freundschaft mit dem Basler Dirigenten und Mäzen Paul Sacher. 1936 bittet ihn dieser um ein Werk zum 10-jährigen Jubiläum seines Kammerorchesters. Nach 3 Monaten erklingt im Januar 1937 in Basel die Musik für Streicher, Schlagzeug und Celesta. Das eigentümliche Stück beginnt mit einem chromatisch angelegten, von den Bratschen pianissimo vorgetragenen Fugenthema, eine wie aus der Dämmerung auftauchende Melodie, spiralförmig fortgesponnen und wie von Wellen getragen.

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Anfang des Werks, hier noch zweistimmige Fuge, später dann mehrschichtig

Gegen Ende prescht dann das Zigeunerhafte hervor: rasende Rhythmen und viel synkopisch geschlagene Akkorde in den Streichern. Stürmischer Applaus. Die Presse schreibt vom kleinen weisshaarigen Mann, der sich fast schüchtern vor dem Publikum verbeugt und von dem man nie geahnt hätte, was für ein Teufel in seinem Leib sitzt. Bitte den letzten Satz nochmals als Zugabe!

Bartók zählt nun zu den TopTen des Basler Publikums. Sacher erwünscht sich ein Werk für kleines Ensemble, für die Internationale Gesellschaft für zeitgenössische Musik. Den Schlageffekt der 4 Klaviere in Strawinskis «Noces» noch im Ohr liefert Bartók eine Sonate für 2 Klaviere und Schlagzeug, die er mit seiner Frau Ditta in Basel im Januar 1938 aufführt.

Die beiden kehren nochmals nach Budapest zurück, um die Ausreise nach Amerika vorzubereiten. Da erreicht ihn wiederum eine Anfrage aus Basel, und Paul Sacher stellt seinem Freund sein Chalet in Saanen zur Verfügung, wo Bartók in völliger Abgeschiedenheit in den Tagen vor Kriegsausbruch sein Divertimento für Streicher schreibt. Seinem Sohn schreibt er: «Die Sachers kümmern sich von weitem um uns. Sie haben mir sogar ein Klavier aus Bern schicken lassen.»

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Saanen unten im Tal (in der Kirche finden jeweils die Konzerte des Menuhin-Festival Saanen-Gstaad statt) gemeinfrei

Kriegsbedingt kann das Divertimento erst im Mai 1940 aufgeführt werden, allerdings ohne Bartóks Anwesenheit.

Im Gegensatz zu Strawinskis ‘Sacre’, wo die Streicher zu Beginn mit brutaler Gestik auf ihre Saiten einhämmern unterlegt hier Bartók der Tanzmelodie der ersten Geige ein sanfteres Streicher-Schlagwerk, doch nicht minder pulsierend.

Tanzmelodie – Wiederholung ab Takt 13

Ähnlich wie im vorangehenden Stück schleicht sich im 2. Satz eine chromatische Linie im Pianissimo durch die Partitur, weiter hinten sogar über exzessive Tremoli: ein ‘Furcht und Zittern’ geht durch den Saal!

Chromatische Oberstimme mit chromatischer Untermalung im 2. Satz

In diese Jahre gehören auch die 6 Streichquartette – sein Opus Magnum – die zu einem guten Teil in der Schweiz entstanden und uraufgeführt wurden. – Europa zu verlassen ist für ihn mit großem Schmerz verbunden. In Genf, seiner letzten Station vor der Busreise nach Lissabon, schreibt er am 14. Oktober 1940 an Frau Müller-Widmann (eine Freundin aus dem Paul- Sacher- Kreis): «Und nun sind wir traurigen Herzens hier und sagen Ihnen und den Ihrigen unser Adieu (…) Schwer, unendlich schwer ist der Abschied. Und dieses wunderschöne Land, Ihr Land, vielleicht zum letzten Mal zu sehen…!»

Am 26. September 1945 stirbt er in New York, 63-jährig, an Leukämie.

Basel wird ihm 1958 ein groß angelegtes Festival ausrichten, mit einer Festschrift und unzähligen Konzerten. Die Festrede hält Sandor Veress.

Q U E L L E N :

Everett Helm, Bélà Bartók, Rowohlt, Hamburg 1965

Bartók und die Schweiz, Sammelband der schweizerischen Unesco-Kommission, St-Paul, Fribourg (ohne Datum)

Werner Fuchss, Béla Bartók und die Schweiz, Hallwag, Bern 1973

Ferenc Bónis, Bélà Bartók, sein Leben in Bilddokumenten, Universal-Edition, Wien 1973

T O N A U F N A H M E N :

Alle diese Werke sind auf youtube zugänglich, entweder als Konzert-Film oder als Audio mit Partitur zum Mitlesen, natürlich auch auf Schallplatten oder CD’s

(legendär die Aufnahme des 2. Klavierkonzertes mit Géza Anda und Ferenc Fricsay – bei DGG)

29. Juni 2024 || ein Beitrag von Josef Zemp, Studium der Romanistik und Musikologie in der Westschweiz und in Frankreich (Doktorat). Parallel dazu Berufsausbildung am Konservatorium (Cello und Klavier) – Cello-Diplom.

Geboren in einer Familie von Amateur-Musikern. Volksmusikforschung in Madagaskar, danach Unterricht am Gymnasium (französische Sprache und Literatur, Musik). Leitung von Weiterbildungskursen für Gymnasiallehrer. Publikationen in Feuilletons und Zeitschriften zur französischen Literatur. Vortragsreihen an Volkshochschulen zu Literatur und Musikgeschichte.