Da sein ist alles

Einfach da sein

Einfach ganz da sein – das ist Ziel und Wunsch zahlreicher Ratgeber, die in den Buchhandlungen ganze Regale füllen. In der Hektik eines durchgetakteten Alltags, inmitten von meetings und calls, blinkenden und piependen Kommunikationsgeräten erscheint ein achtsames Leben als gleichermaßen erstrebenswertes wie schwer erreichbares Ideal.

Die neue Jahresausstellung des Kunstmuseums Kolumba greift dieses Phänomen auf und stellt das Da-Sein des Menschen, seine Beziehung zu Orten und Räumen in den Mittelpunkt. Das Leitwort „Making being here enough“ – zu Deutsch etwa „Dafür sorgen, dass hier zu sein genügt“, geht auf eine recht unscheinbare Arbeit der amerikanischen Künstlerin Roni Horn zurück, die im Treppenhaus hängend den eigentlichen Auftakt der Ausstellung bildet.

Subjekt und Ort

„Wie nehmen wir uns – bewusst oder unbewusst – an Orten wahr und was machen Orte aus uns? Wie erinnern wir uns an Orte? Wie gehen wir mit Orten um, die wir nicht erreichen können? Spielen diese Orte für unsere Vorstellungskraft eine Rolle? Sind Orte, wenn wir sie verlassen, vergangen? Was geschieht mit ihnen, wenn sie nach ihrem Untergang von neuen Geschichten überschrieben werden?“ – diese Leitfragen gibt das Team um Stefan Kraus der Ausstellung mit auf den Weg.

Zur Beschäftigung mit diesen Fragen bietet das Museum auch im 15. Jahr seines Bestehens im markanten Zumthor-Bau die Mischung aus alter und neuer Kunst, für die es bekannt ist. Der Reiz dieser Kombination und Konfrontation ist auch nach anderthalb Jahrzehnten nicht verbraucht. Nicht alles erschließt sich beim flüchtigen Draufschauen, nicht alles zieht derart in den Bann, dass man verweilt und über die Kunstwerke einen Zugang zu den großen Fragen gewinnt. Aber das ist in Ordnung, gerade im Kontext dieser Ausstellung: Orte wirken eben nicht in gleicher Weise auf alle Menschen. Was der eine befremdlich findet, mag den anderen faszinieren.

Liebe die Stadt – und die Welt

Unübersehbares Herzstück der Ausstellung ist der „Liebe Deine Stadt“-Schriftzug des Künstlers Merlin Bauer, der sonst über der Kölner Nord-Süd-Fahrt zu sehen ist. Raumfüllend stehen die roten Lettern nun in der großen Piazza im ersten Stock des Hauses, die geschaffen ist für solche großformatigen Werke. Konfrontiert werden sie mit einem barocken Gemälde der Kölner Stadtheiligen – einer Leihgabe aus der Kirche Sankt Gereon – und mit einem der wenigen Fixpunkte, dem phänomenalen Elfenbeinkruzifix aus dem 12. Jahrhundert: Erlöst und ungerührt erscheint der Gesichtsausdruck des Gekreuzigten. Sein Hiersein genügt. Der laute Ruf, die eigene Stadt zu lieben, geht an ihm vorbei, gelten doch seine Liebe und sein Segen längst urbi et orbi, der Stadt und dem ganzen Weltkreis.

Seine Anwesenheit genügt

Dass die Jahresausstellung vor dieser Kulisse eröffnet wird, ist folgerichtig. Gerade stellt Stefan Kraus die neue Inszenierung in den Kontext von Joseph Beuys‘ Konzept der „Sozialen Plastik“, als eine Bewegung durch die dicht gedrängte Gästeschar geht. Der Kardinal rauscht herein. Er ist da! Etwas verloren erscheint er vor Bauers Aufforderung, die Stadt zu lieben. Das Leitwort der Ausstellung, „dafür zu sorgen, dass hier sein genügt“, erhält durch die Anwesenheit des Erzbischofs eine ironische Note. Woelkis Hiersein genügt, um für Unruhe zu sorgen.

Im Turm

Wie wohltuend ist da die dichte Atmosphäre, die das Kolumba-Team in einem der hohen Turmräume geschaffen hat: Vor einem monochromen Gemälde von Phil Sims blickt das Erper Kreuz aus dem 12. Jahrhundert auf die etwa gleichaltrige Pingsdorfer Madonnenskulptur, die auf Rudolf Botts „Tisch“ aus dem Jahr 1987 steht. Das genügt, um die Besucherinnen und Besucher in eine nahezu meditative Geistesverfassung zu versetzen.

Ein Jahr lang, bis zum 14. August 2023, bietet Kolumba nun Gelegenheit, sich mit der Beziehung von Ort und Subjekt auseinanderzusetzen. Es lohnt sich!

Weitere Informationen

Weiterführende Informationen zur Ausstellung und zum Besuch bietet die Internetseite von Kolumba: https://www.kolumba.de/

Bildnachweise

Innenhof des Kunstmuseums Kolumba. Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Treppe im Diozesanmuseum des Erzbistum Köln St. Kolumba von Peter Zumthor. Bild: Denkmaldoktor via Wikimedia commons (CC BY-SA 4.0)

Merlin Bauers „Liebe deine Stadt“. Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

19. September 2022 || ein Beitrag von Akademiereferent Dr. Matthias Lehnert