Sinn machen. Bilder von Ingo Schultze-Schnabl
Die 87. Kunstbegegnung Bensberg steht unter dem Titel „Sinn machen“. Andreas Würbel sprach im Vorfeld mit dem Künstler Ingo Schultze-Schnabl.
Ihre Malerei bewegt sich an der Grenze zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Was reizt Sie daran?
Die Abstraktion setzt Potenziale und Energien frei, die in den Elementen der Gestaltung stecken. Trotzdem können wir uns selten davon lösen, auch ungegenständlich gemeinte Bilder auf unsere Wirklichkeit zu beziehen, und wenn wir nur feststellen, dass etwas räumlich wirkt oder etwas bei uns Assoziationen auslöst. In meiner Gestaltung versuche ich, dem Betrachter beide Sichtweisen, die gegenständliche wie auch die einer freien Gestaltung zu ermöglichen. Manche Bilder scheinen sich deutlicher auf unsere Wirklichkeit zu beziehen, andere wirken freier, aber es gibt immer Bereiche, in denen der Betrachter in seiner Art der Deutung nicht festgelegt ist.
Die in der Kunstbegegnung Bensberg ausgestellten Bilder sind alle dreiteilig. Haben Sie sich von mittelalterlicher Altarmalerei inspirieren lassen?
In meinen Arbeiten war die dreiteilige Bildform die erste, aus der sich später auch andere Bildformen heraus entwickelt haben. Die formale Ähnlichkeit zum Flügelaltar des Mittelalters ist begrenzt. Auch wenn drei Bildtafeln z.B. im Weltgerichtsaltar verwendet werden, gibt es dort keinen Sprung in der Darstellung, keine Lücke zwischen den Flächen, die das Auge mit einer gewissen Anstrengung überbrücken müsste. Dort geht es um andere Inhalte, vielleicht gerade um den nahtlosen Übergang vom Weltgericht zum Danach.
Drei ist eine schöne Zahl und es sind nicht alle Zahlen gleich, wie wir wissen. Die Drei, die Sieben und die Zwölf haben etwa andere Bedeutungen als die 13 oder die 537. Letztere löst wahrscheinlich bei uns keinerlei Assoziationen oder Gefühle aus.
Davon ab gibt es bei mir auch vier-, fünf-, sechs- oder auch vielteilige Bilder. Hier geht es meist darum, dass der Betrachter das Werk automatisch und für ihn merklich nacheinander sieht. Es gibt einen Impuls, sich zu bewegen, in seitlicher Richtung ein „Abschreiten“ des Bildes, aber auch näher zu kommen, um Details wahrzunehmen, die Distanz zu suchen, um einen Gesamtblick zu bekommen. Dieser funktioniert bei den dreiteiligen Bildern und den schmaleren Lücken meist leichter.
Die Kunstbegegnung Bensberg hat den Titel „Sinn machen“. Können Bilder überhaupt Sinn vermitteln oder Sinn geben bzw. auf welche Weise ist das möglich?
Ich möchte meine Arbeiten als ein Wahrnehmungsangebot bezeichnen, das beim Betrachten ein Bewusstsein dafür schaffen kann, dass Sinn etwas ist was vom Betrachter „gemacht“ wird. Der Sinn, den man beim Betrachten erfährt, also die Wirkung, der assoziierte Inhalt, ist etwas, was durch einen Prozess und durch gewisse Mühen von Seiten des Betrachters entsteht. Es ist nicht einfach im Bild enthalten und wird nur „fertig abgeholt“.
Die Bilder selbst versuchen mit den Motivsituationen, die man leicht assoziiert, keinen Sinn in der Art zu vermitteln, dass bedeutungsvolle Inhalte inszeniert würden, wie wir es in der Kunstgeschichte oft antreffen. Mein Fundus an Motiven, mit denen ich arbeite, umfasst eher das Inhaltsarme. Das Unkraut, der Wegrand, das Schilf im Teich ist einfach nur da und bietet mir visuelles Material für meine Gestaltungen. Der eigentlich angestrebte Inhalt liegt nicht im Gegenstand, sondern in der Art unserer Wahrnehmung.
Was können Bilder aus Ihrer Sicht vermitteln, was Worte nicht können?
Mit den Augen und vor allem mit dem Gehirn sind wir in der Lage, viele und komplexe Informationen gleichzeitig aufzunehmen und auszuwerten. Ich denke, dass dies schon seit der frühen Menschheitsgeschichte eine Überlebenshilfe war, und der oft zitierte Klassiker ist die Erkennung von Gesichtern und Figuren. Die reflexhafte und möglichst zutreffende Entscheidung, ob das, was ich gerade wahrnehme, für mich gefährlich, vorteilhaft oder zumindest interessant ist, ist und war immer überlebenswichtig. So wird dies wie vieles andere in unserem Leben im Stammhirn entschieden, wie wir inzwischen wissen. Die Vernunft spielt viel weniger eine Rolle, als wir uns selbst eingestehen wollen.
Es geht in Ihren Werken um Wahrnehmen und Verstehen. Geht es im weiteren Sinne um Sinn-Deutung durch Kunst?
Wenn ich in der beschriebenen Weise über Wahrnehmung nachdenke, dann kann das sicherlich nicht auf direktem Wege eine Sinndeutung der Welt oder eines Teils davon leisten. Das machen wir aber auch selbst ständig. Die Frage, ob ich dem einfach ausgeliefert bin oder ob ich Abstand einnehmen kann, hinterfragen kann, Alternativen suchen und durchspielen kann, möchte ich anstoßen oder unterstützen. Das betrifft sicher nicht jede banale Alltagsentscheidung, aber die Möglichkeit, wahrgenommene Strukturen zu hinterfragen und ggf. aufzulösen, wäre im Sinne der klassischen Aufklärung sicher eine positive Option.
Können Sie uns zum Abschluss verraten, wie Sie zur Kunst gekommen sind?
Zur Kunst bin ich ohne viel Nachdenken gekommen. Sich mit Kunst und auch mit künstlerischem Tun zu beschäftigen hat in unserer Familie immer eine Rolle gespielt. Die mehrteiligen Bildformen als Untersuchungsthema entwickelten sich in den 90er Jahren zufällig durch eine Reihe von Skizzen. Auf den Atelierfußboden gelegt schienen sie sich plötzlich fortzusetzen und zu ergänzen. Das Phänomen und seine Bedingungen interessierten mich. Das war der Beginn dieses Weges.
Vielen Dank für das Gespräch!
26. September 2022 (Mo.)
Sinn machen
Bilder von Ingo Schultze-Schnabl
20. September 2022 || ein Beitrag von Andreas Würbel, Akademiereferent