Ein Bild von einem Bischof

Seit einigen Wochen befindet sich in den Räumlichkeiten des Referates Ferienakademien eine Nikolaus-Ikone. Vielleicht haben Sie sie schon im Video-Interview mit der Reiseleiterin Dr. Konstantina Liwieratos erspäht.

Entstanden ist diese Ikone erst vor wenigen Wochen in einem vom Herbstlicht durchfluteten Raum des Klosters Lehnin, südwestlich von Potsdam. Ende Oktober nahm ich dort an einem Ikonen-Malkurs teil, den ich im Internet ausfindig gemacht hatte. Ich wollte einmal erfahren, was es mit den Ikonen auf sich hat und warum sie sich in letzter Zeit einer erstaunlichen Beliebtheit erfreuen.

Geleitet wurde der Kurs von Dr. Harmjan Dam, einem aus den Niederlanden stammenden protestantischen Pfarrer der Evangelischen Landeskirche Hessen und Nassau. Harmjan ist zugleich Calvinist, weil er „Gott nicht kleiner denken möchte, als er ist“, und Ikonenfreund, weil er ein visuell veranlagter Mensch ist. Er schätzt Bilder, um sich Glaubenserfahrungen zu erschließen.

Eine Ikone entsteht
Ikonen werden bei Tageslicht gemalt, was im Oktober nicht so einfach ist. Den Tag begann unsere kleine Gruppe von acht Ikonenmalerinnen und -malern mit einer kleinen Andacht in der romanischen Klosterkirche vor dem spätgotischen Hochaltar. Danach machten sich alle an ihre Ikonen.

Ich hatte mich für das Nikolausmotiv entschieden, weil der heilige Nikolaus von Myra eine der prägenden Heiligengestalten meiner Kindheit am Niederrhein war. Sein Namenstag gab schon einen Vorgeschmack auf das nahende Weihnachtsfest und stellte einen ersten Höhepunkt der Adventszeit dar. Außerdem ist Nikolaus auch der Schutzheilige der Seefahrer, Pilger und Reisenden, so dass die Anwesenheit eines Nikolausbildes in diesen bewegten Pandemiezeiten für die reisefreudige Akademie und ihre Gäste sicherlich nicht schaden kann.

In vielen Stunden entsteht die Ikone auf einem Holzbrett mit mehrlagiger Kreidegrundierung. Zunächst werden die Hauptlinien aufgezeichnet und eingeritzt. Dann wird das Blattgold für den Heiligenschein aufgebracht, wobei einem zugleich der Atem stockt und die Hände zittern. Gemalt wird sodann mit Eitempera, die wir auch selbst aus Eigelb, Wasser, Ouzo und Nelkenöl herstellten, und Farbpigmenten. Die Farben mischten wir selbst, was gar nicht so einfach war: Vor allem das schwarze Pigment ist so intensiv, dass man es nur äußerst vorsichtig dosieren darf.

Vom Dunkel ins Licht
Entscheidend – und auch theologisch interessant – ist dabei, dass die Ikone vom Dunkel ins Helle gemalt wird. Man trägt also zunächst immer die dunkelste Farbe auf. Die jeweils nächsthellere Farbe wird dann auf die getrocknete dunklere Fläche aufgetragen. Anders als bei Ölfarben, kann man die Töne hier kaum auf der Bildfläche vermischen. Den Faltenwurf des Gewandes malt man also eher als ein Nebeneinander von unterschiedlichen Farbflächen, was der Ikone ihre typische Anmutung gibt. Schwieriger wird es bei Hautflächen und vor allem bei Gesichtsflächen. Hier sehen streng abgegrenzte Farbtöne schnell wie Kriegsbemalung aus, so dass man die Übergänge mit einem leicht feuchten Pinsel bearbeiten muss, um ein natürlicheres Aussehen zu erhalten.

Augen-Blicke
Am schwierigsten ist die Augenpartie. Hier ist größte Sorgfalt geboten, weil selbst kleine Fehler die Ikone ruinieren können. Daher übernahm Harmjan in dieser Phase selbst den Pinsel, schuf die Iris mit einem kleinen Dreher aus dem Handgelenk, tupfte die Pupille hinein und setzte kleine Punkte Augenweiß – fertig. Der Blick des Nikolaus geht leicht nach links am Betrachter vorbei aus dem Bild heraus. Wohin schaut er? Wen oder was hat er im Blick? Vielleicht will er mir sagen: Nimm dich nicht so wichtig. Schau‘ auf die Menschen um dich herum.

Ein Bild von einem Bischof
Ganz zum Schluss wird jede Ikone mit dem Namen des Heiligen beschriftet, den sie zeigt. Der Schöpfer der Ikone unterzeichnet diese nicht. Es handelt sich nicht um ein Kunstwerkt, eine im eigentlichen Sinne kreative Neuschöpfung, sondern um eine Annäherung an ein bereits bestehendes Bildnis. Damit erübrigt sich die Signatur.

So steht er nun also vor uns, der Bischof von Myra: Ohne Krummstab und Mitra, aber mit Bischofsmantel und Pallium, hält er die Bibel im linken Arm. Die umgekehrte Perspektive des geschlossenen Buches soll dabei auf die größere Wirklichkeit Gottes verweisen.

Glauben mit Herz, Hand und Verstand
Die rechte Hand ist zum Segensgestus geformt. Nicht immer soll der heilige Nikolaus so friedlich und zugewandt gewesen sein: Beim Ersten Konzil von Nicäa, so ist sogar bildhaft festgehalten worden, soll Nikolaus den alexandrinischen Presbyter Arius, der dort die nach ihm benannten und später als Irrlehren verdammten arianischen Überzeugungen vertrat, geohrfeigt haben.

Davon war in meiner Kindheit nie die Rede. Aber es fügt sich in das Bild eines leidenschaftlich glaubenden Mannes, der seine Überzeugungen mit Herz, Hand und Verstand vertrat. Sein Blick, die buschigen Augenbrauen und die gerunzelte Stirn geben dem Nikolaus eine heilige Ernsthaftigkeit und setzen ihn ab von der etwas betulichen Ho-Ho-Ho-Onkelhaftigkeit, die ihm heute angedichtet wird.

So ist mir der heilige Nikolaus, dessen Namenstag wir heute feiern, über das Ikonenmalen noch einmal auf neue Weise nähergekommen.

Bildnachweis

Kloster Lehnin und Nikolaus-Ikone: Matthias Lehnert, Thomas-Morus-Akademie
Bischof Nikolaus von Myra ohrfeigt Arius auf dem Konzil in Nicäa
, spätmittelalterliche griechisch-orthodoxe Ikonenmalerei, Wikimedia commons, gemeinfrei

6. Dezember 2021 || ein Beitrag von Akademiereferent Dr. Matthias Lehnert