Welchen Pfarrer hätten S’ denn gern?

Während immer mehr Menschen den beiden großen christlichen Kirchen den Rücken kehren und es an Nachwuchs für die geistlichen Berufe mangelt, erfreuen sich Filme und Fernsehserien über katholische wie protestantische Geistliche großer Beliebtheit.

Launige filmische Darstellungen von Pfarrern haben eine lange Tradition. Wer kennt nicht den schlitzohrigen Dorfpfarrer Don Camillo, der im kommunistischen Bürgermeister Peppone einen ebenbürtigen Widerpart hatte? Etwa zur gleichen Zeit ging Heinz Rühmann als Pater Brown in Filmadaptionen von G.K. Chestertons berühmten Geschichten auf Verbrecherjagd. In die Rolle eines evangelischen Pfarrers schlüpfte Robert Atzorn dann 1988 in der deutschen Familienserie „Oh Gott, Herr Pfarrer“, während Günter Strack als katholischer Kollege „Mit Leib und Seele“ im Hessischen seine Schäfchen hütete. Diese Gottesmänner fochten keine politischen Kämpfe mehr aus und auch kriminalistische Neigungen gingen ihnen ab. Sie schlugen sich auf die für das deutsche Vorabendfernsehen charakteristische betuliche Weise mit den Alltagsproblemen der Menschen herum. Als (bislang) letzter Exponent dieser harmlos-handzahmen Gottesleute grummelte der junge Dorfpfarrer Tonio Niederegger über die deutschen Mattscheiben. Dem stets entweder traurig oder gereizt wirkenden Oberbayern hatte das ZDF die zupackende Familientherapeutin Julia Schindel zur Seite gestellt, bevor es die Serie „Tonio & Julia“ in diesem Monat überraschend einstellte. Man kann nicht sagen, dass diese Entscheidung großes Bedauern hervorrief – zu vorhersehbar waren die Geschichten gestrickt, zu bieder und eindimensional die Figuren gezeichnet.

Dass es auch anders geht, zeigen einige neuere Filme und Fernsehserien aus dem Ausland, von denen drei hier vorgestellt werden sollen. In diesen italienischen, dänischen und französischen Produktionen begegnen uns Geistliche, die alle Höhen und Tiefen menschlicher Existenz durchleben. Ihre Figuren sind facettenreich, manchmal sogar geheimnisvoll, und entziehen sich so einer einfachen schematischen Einordnung. Das macht sie interessant und sehenswert.

In der italienisch-französischen Mystery-Fernsehserie „Ein Wunder“ (italienisch Il Miracolo) aus dem Jahr 2018 ist der Priester Marcello zwar nur eine Randfigur. Aber dieser tabletten-, spiel- und sexsüchtige Gottesmann fasziniert mit seiner ganzen abstoßenden Monstrosität. Man traut ihm nach wenigen Szenen alles zu und wird dann doch von der Wandlung dieser Figur überrascht. Längst vom Glauben abgefallen, glaubt Marcello, mit einer unablässig Blut weinenden Madonnenfigur die Welt retten zu können und begibt sich auf einen skurrilen Ein-Mann-Kreuzzug.

Deutlich gefestigter erscheint auf den ersten Blick der Pfarrer Johannes Krogh in der dänischen Fernsehserie „Die Wege des Herrn“ (dänisch Herrens Veje). Aus einer altehrwürdigen lutherischen Pfarrersfamilie stammend, hat der Vater zweier Söhne nun beste Aussichten, Bischof von Kopenhagen zu werden. Allein schon wegen seiner improvisierten Bewerbungsrede, die ganz am Anfang der ersten Folge steht, lohnt es sich, die Serie anzuschauen. Wenn Krogh dem ebenso begeisterten wie verblüfften Publikum zuruft „Ja, ich glaube an Gott – und ich lebe mein Leben danach“ dann bestimmt er selbst die Höhe, aus der er in den anschließenden Folgen fallen wird. Lars Mikkelsen spielt den Geistlichen, der gleichermaßen herrischer Patriarch, sensibler Künstler, einfühlsamer Seelsorger und unbeherrschter, larmoyanter Quartalstrinker ist, mit großer Intensität. Er kostet die Sternstunden aus, erspart sich und uns aber auch die peinlichen Schwächen des Johannes Krogh nicht. So fragt man sich bis zur letzten Folge immer wieder aufs Neue, ob man diesen Pfarrer mit den vielen Talenten und ebenso zahlreichen Schattenseiten nun lieben oder hassen soll.

Gleich eine ganze Schar von Priestern und jungen Männern, die es werden wollen, bietet die französische Serie „Dein Wille geschehe“ (französisch Ainsi soient-ils) auf, deren drei Staffeln zwischen 2012 und 2015 entstanden, aber aktuell wieder in der arte-Mediathek zu sehen sind (bis 14. Juni 2021). In einem fiktiven Pariser Priesterseminar begegnen wir fünf Seminaristen, deren Lebenshintergründe unterschiedlicher nicht sein könnten. Aus dieser Gruppe sticht der junge Bretone Yann heraus. Vom katholischen Mainstream seiner kleinen Heimatstadt geprägt, stürzt er sich mit Begeisterung und kindlicher Naivität in die Priesterausbildung. Im Laufe der drei Staffeln lernen wir andere Seiten an ihm kennen und folgen ihm in das schwierige Verhältnis zu seiner Jugendfreundin Fabienne ebenso wie in die Tiefen eines Missbrauchsskandals. Während der Regens des Seminars, Etienne Fromenger, als begnadeter Prediger und Homme de lettres beeindruckt, ist der schüchtern-verdruckste Pater Bosco die eigentliche Glanzfigur des Ensembles. Man fühlt sich bisweilen an den zwielichtigen Severus Snape aus Harry Potters Hogwarts erinnert, so undurchsichtig ist dieser schmächtige Mann. Bis zuletzt entzieht sich Dominique Bosco einer billigen Einsortierung in ein unterkomplexes Gut-Böse-Schema. Und genau damit macht er die drei Staffeln der zu Recht hochgelobten Serie zu einer sehenswerten Unterhaltung an trüben Herbstnachmittagen.

Bilder
Z I auf Unsplash, gemeinfrei
Jacob Bentzinger auf Unsplash, gemeinfrei
Father James auf Unsplash, gemeinfrei

25. Oktober 2020 || von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent