„Die Wahlverwandtschaften“
Kontexte und Wirkungen
1809 erstmals bei Cotta erschienen, zieht Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“ bis heute Leserinnen und Leser in den Bann. Bis in die Gegenwart gibt das Werk jedoch Rätsel auf: Die einen lesen es als Roman, in dem die Institution Ehe auf den Prüfstand gestellt wird, andere entdecken die Brüchigkeit der beginnenden Moderne, wieder andere nehmen Anstoß an der vermeintlichen Unsittlichkeit des dargestellten Geschehens.
Der Autor selbst war sich bewusst, dass er hier ein künstlerisches Wagnis eingegangen war: Ihn inspirierten nicht zuletzt Erkenntnisse der damaligen Chemie zu diesem Roman. Als Schauplatz wählte er eine kunstvoll komponierte Gartenlandschaft und nahm als Vorbild auch den Park an der Ilm.
So wird Weimars „Gartenreich“, das sich in einem literarischen Spaziergang erschließt, bei dieser Goethe Akademie eine besondere Rolle spielen. Aufschlüsse über die Entstehung des Romans gewähren Goethes Tagebucheinträge, die im Goethe- und Schiller-Archiv vorgestellt werden, interessante Bezüge bieten auch ‚zeichnerische Vorlagen‘ von Goethes „Wahlverwandtschaften“ und die ‚Begegnung‘ mit Goethe als Naturwissenschaftler.
Ihre Reiseleiter/innen
Donnerstag, 10. September 2020
Individuelle Anreise zum Hotel Dorint Am Goethepark****s in Weimar
15.30 Uhr
Willkommen zur Goethe Akademie!
Begegnungen und Gespräche bei Kaffee, Tee und Gebäck
- Prof. Dr. Jochen Golz, Weimar
- Dr. Robert Steegers, Bonn
16.15 Uhr I Vortrag und Gespräch
„Wahlverwandtschaften“
Über die Transformation naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Sphäre der Kunst
Auf den ersten Blick verwirrt der Titel des Romans, für den die zeitgenössische Chemie Pate gestanden hat. Verwandtschaft in der Natur wie unter Menschen beruht auf gesetzlichen Bindungen, scheint also Wahl, verstanden als Freiheit der Entscheidung, auszuschließen. Indem Goethe beide Begriffe koppelt, liefert er ein Plädoyer sowohl für das Anerkennen natürlich-gesellschaftlicher Bindungen als auch für den Spielraum menschlicher Entscheidungen vor dem Hintergrund einer gesetzlich organisierten Naturordnung. Wie Goethe im Roman eine ästhetische Balance gelingt, zählt zu den „offenbaren Geheimnissen“ seiner Kunst und regt zu immer neuen Fragen an.
- Prof. Dr. Jochen Golz, Weimar
18.30 Uhr
Abendessen im Hotelrestaurant
20.00 Uhr I Literatur-Gespräch
„Das Reich der heitern Vernunft-Freiheit“ und „Spuren trüber leidenschaftlicher Notwendigkeit“
Gemeinsame Lektüre ausgewählter Kapitel
- Prof. Dr. Jochen Golz, Weimar
- Dr. Robert Steegers, Bonn
Freitag, 11. September 2020
Frühstück
9.30 Uhr I Vortrag und Gespräch
Das „ungeheure Recht“ der Gegenwart
Sozialer und psychischer Wandel in den „Wahlverwandtschaften“
Goethes Roman spielt in seiner Gegenwart, am Beginn der Moderne. Feudale Eigentumsverhältnisse geraten ins Wanken, bürgerliche treten an ihre Stelle, soziale und psychische Profile verschieben sich. Das Miteinander der Romanfiguren bleibt davon nicht unberührt. Zu fragen ist, wie sich Änderungen im psychischen Verhalten in der symbolischen Ordnung des Romans spiegeln, in extremen Situationen diese Ordnung auch in Frage stellen.
- Prof. Dr. Jochen Golz, Weimar
11.30 Uhr I Präsentation im Goethe- und Schiller-Archiv
Ein verschlüsseltes Meisterwerk
Die Entstehung des Romans im Spiegel von Goethes Tagebuch
Ein Schleier des Geheimnisses liegt über der Entstehung des Romans. Im Nachlass des Dichters – kostbarster Besitz des Goethe- und Schiller-Archivs – ist von handschriftlichen Vorarbeiten nur ein Schema überliefert. Interpreten hat dies zur These geleitet, Goethe habe absichtlich die Genese des Buches im Verborgenen gehalten. Gleichwohl lässt sich dessen Entstehung anhand von Goethes Tagebucheintragungen und des einzig überlieferten Schemas nachvollziehen.
- Dr. Ariane Ludwig, Weimar
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Editionen, Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar
Gelegenheit zur Mittagspause
14.00 Uhr I Präsentation in den NaturwissenschaftlichenSammlungen
Nicht nur der „rote Faden“
Goethe als Naturwissenschaftler
Nur wenig bekannt ist, dass das Sprachbild vom „roten Faden“ aus Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“ stammt. Ein englischer Verehrer hat ihm später sogar das historische Urbild geschenkt: ein Stück englisches Marinetau, in das ein roter Faden eingewebt ist. Sie werden diesen ebenso – wenn möglich – im Original betrachten können, wie Sie anhand weiterer Sammlungsstücke dem Naturwissenschaftler Goethe ‚begegnen‘. Außerdem werden Werke aus seiner Bibliothek präsentiert, die zum theoretischen Fundament seines Romans gehören. (Falls ein Besuch in den Sammlungen aus aktuellen Gründen nicht möglich ist, wird „Goethe als Naturwissenschaftler“ in einem Vortrag vorgestellt.)
- Dr. Thomas Schmuck, Weimar
Kustos Naturwissenschaftliche Sammlungen/Goethe-Nationalmuseum, Klassik Stiftung Weimar
18.00 Uhr I Vortrag und Gespräch
Goethe in Gesellschaft
Zum Wirken der Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V.
Nach dem Tod des letzten Goethe-Enkels Walther Wolfgang von Goethe wurde auf Anregung der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach 1885 die Goethe-Gesellschaft gegründet. Sie ist heute die größte literarische Gesellschaft Deutschlands mit 2 400 Mitgliedern in 40 Ländern der Welt und kann auf eine beeindruckende Geschichte zurück-blicken.
- Prof. Dr. Jochen Golz, Weimar
Vizepräsident der Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V.
19.00 Uhr
Abendessen im Hotelrestaurant
20.30 Uhr I Film-Zeit und Gespräch
„Mitte Ende August“ (2009)
Film, inspiriert durch Goethes Werk, mit Marie Bäumer und Milan Peschel in den Hauptrollen.
Drehbuch und Regie: Sebastian Schipper
Samstag, 12. September 2020
Frühstück
9.30 Uhr I Vortrag und Gespräch im Sonderlesesaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek
„Gedichte zu den Kupfern und Zeichnungen“
Goethes ‚zeichnerische‘ Vorlagen für die „Wahlverwandtschaften“. Eine Spurensuche.
Die ‚lebenden Bilder‘ in den „Wahlverwandtschaften“ wurden hinsichtlich ihrer druckgraphischen Vorlagen von Goethe selbst entschlüsselt. Als Anregungen dienten ihm Stiche nach Kompositionen von Van Dyck, Terborch oder Poussin. Im Verborgenen blieb aber bislang, dass Goethe für die „Wahlverwandtschaften“ wie für sein gesamtes literarisches Spätwerk auch aus dem Fundus seiner Zeichnungssammlung geschöpft hat. Im Rahmen der Erschließung der niederländischen Zeichnungen aus dem Besitz Goethes konnten diese zeichnerischen Vorlagen erstmals identifiziert werden. Im Zentrum des Vortrags steht die Übersetzung der Zeichnungen in das sprachliche Gefüge der „Wahlverwandtschaften“ – der mediale Wechsel vom Bild zum „Wortbild“ (Goethe).
- Dr. Thomas Ketelsen, Weimar
Leiter des Forschungsprojektes „Kennerschaft heute. Die niederländischen Zeichnungen“, Klassik Stiftung Weimar
11.30 Uhr I Spaziergang durch den Ilmpark
Schauplatz: Englischer Garten
Auch wenn mehrere historische Parks um die Palme streiten, alleiniger Schauplatz von Goethes „Wahlverwandtschaften“ zu sein: Eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Parklandschaft lässt sich nicht vornehmen. Goethe war ein Kenner historischer Parks, wie er sie in Dessau, in Drakendorf bei Jena und in den böhmischen Bädern vorfand, und er hat den Park an der Ilm mitgestaltet. Der gemeinsame Parkspaziergang erläutert die symbolische Ordnung, die Goethes Roman strukturiert.
- Prof. Dr. Jochen Golz, Weimar
Gelegenheit zur individuellen Mittagspause
16.00 Uhr I Vortrag und Gespräch
„Aus Ottiliens Tagebuche“
Die Stimme der Frau in Goethes Roman
Nicht nur Ottiliens Stimme erklingt im Roman. Im Grunde vernehmen wir einen Extrachor weiblicher Stimmen, die Stimme maßvoller Vernunft von Charlotte, das exaltierte Reden Lucianes, verstohlen auch die Stimmen des Dienstpersonals. Aus alledem formt sich das Bild einer sozialen Welt, in der Goethe, der Zeit vorauseilend, seinen Protagonistinnen einerseits einen aus natürlicher Klugheit geborenen aktiven Part zuweist, andererseits ihr rational schwer aufzulösendes Handeln geheimnisvoll verhüllt. Eine immerwährende Diskussion ist eröffnet.
- Prof. Dr. Jochen Golz, Weimar
19.30 Uhr
Abendessen im Hotelrestaurant
Sonntag, 13. September 2020
Frühstück
10.00 Uhr I Vortrag und Gespräch
Eine „Himmelfahrt der bösen Lust“?
Fragen an den Schluss des Romans
Das Diktum des frommen Friedrich Heinrich Jacobi, Goethes einstigem Jugendfreund, ist symptomatisch für das zeitgenössische Echo auf den Roman. Ist es aber zutreffend? Ist nicht jenen Interpretationen Recht zu geben, die im Roman – insbesondere an dessen Ende – das schwebende Licht der Ironie wirken sehen? Anhand solcher Fragen bietet sich abschließend Gelegenheit, historische Urteile über den Roman Revue passieren zu lassen und eigene Positionen zu bestimmen.
- Prof. Dr. Jochen Golz, Weimar
12.00 Uhr
Mittagsimbiss
12.30 Uhr
Bis zur nächsten Goethe Akademie!
Verabschiedung
Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.
Leitung und Moderation
- Dr. Robert Steegers, Bonn
Germanist, veröffentlichte mit Norbert Oellers „Weimar. Literatur und Leben zur Zeit Goethes“, Geschäftsführer des Zentrums für Lehrerbildung an der Universität Bonn
Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.