Winterreisen: Eine deutsche Angelegenheit

Fahrten in den Schnee mit Heine, Schubert, Mann ...

Mit der Schilderung von Reisen oder auch Wanderungen durch unwirtliche Landschaften und eine leblose Natur verbinden sich seit der Aufklärung zumeist krisenhafte Situationen. Diese können durch ein Gefühl der Einsamkeit hervorgerufen sein, das der von seinen Mitmenschen isolierte Wanderer verspürt, aber auch aus dem Verlust verbindlicher Wertmaßstäbe resultieren. Von Anfang an sind in den winterlichen Reisen der Dichter zwei Aspekte gegenwärtig: Zum einen drückt sich in den verschiedenen Formationen der öden Winterlandschaft die historische Situation aus, in der die Werke jeweils entstanden sind; zum andern findet ein Nachsinnen über die dichterische Tätigkeit und die jeweilige Verfassung des Textes statt, in dem sie vermittelt wird. Das gilt u. a. für Reflexionen über symbolisches Sprechen bei Goethes Harzreise im Winter (1777) ebenso wie für die Fragen nach dem Verhältnis von Wort und Tat in Heines Deutschland, Ein Wintermärchen (1844). Und auch der auktoriale Erzähler in Thomas Manns Roman Der Zauberberg (1924) ergeht sich in Betrachtungen über die Darstellung einer allgemeinen „Neigung zum Tode“, während Günter Grass den trüben Zustand Deutschlands nach der Wende ganz bewusst in der lyrischen Gattung des Sonetts wiedergibt, in der einst Andreas Gryphius seine Klage über die Nichtigkeit der irdischen Dinge vorbrachte. Allerdings erscheint der Winter mit all seinen Phänomenen, dem der einzelne auf seiner Reise ausgesetzt ist, bisweilen auch als Bewährungsraum sowie Zeit der Selbstfindung und verhilft damit zur Rettung aus persönlicher oder sozialer Ausweglosigkeit.

Samstag, 7. Dezember 2019

14.00 Uhr
Begrüßung und Einführung
Ein „Wintermärchen“ namens Deutschland Literarische Reisen durch ein unwirtliches Land bei Heine, Biermann und Grass In der deutschen Literatur ist der Darstellung winterlicher Reisen seit Ende des 18. Jahrhunderts oft ein historisch-politischer Diskurs eingeschrieben. Das lässt sich beispielhaft an Heines „humoristischem Reisebild“ Deutschland, Ein Wintermärchen (1844), dessen gleichnamiger Adaption durch Wolf Biermann während des Kalten Kriegs (1964) und an Günter Grass‘ Sonett-Zyklus über das wiedervereinte Novemberland (1993) verfolgen.

  • Prof. em. Dr. Rudolf Drux, Institut für deutsche Sprache und Literatur I, Universität zu Köln

15.30 Uhr
Kaffee- und Teepause

15.45 Uhr
„Barfuß auf dem Eise“ Schuberts Winterreise „Drüben hinterm Dorfe, steht ein Leiermann,/ und mit seinen Fingern dreht er was er kann,/ barfuß auf dem Eise schwankt er hin und her, / und sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer“. Damit beginnt das Schlusslied der Winterreise von Franz Schubert. Wovon handelt der Zyklus, warum sind diese Lieder so berühmt geworden, was ist das Besondere und Neue daran, das uns auch heute immer noch zutiefst berührt?

  • Prof. em. Dr. Wolfram Steinbeck, Musikwissenschaftliches Institut, Universität zu Köln

18.00 Uhr
Abendessen

19.00 Uhr
Erscheinungsformen der Liebe Goethes „Harzreise im Winter“ und die Rhapsodie des Johannes Brahms Die Besteigung des Brocken im Dezember 1777 hat Goethe als eine Art Selbsterprobung angesehen und in seiner Hymne „Harzreise im Winter“ als ein göttliches Zeichen für die Meisterung neuer politischer Aufgaben gestaltet. Brahms hebt mit der Vertonung von drei Strophen des Poems (1869) hingegen auf die Erlösung aus „Mißbehagen und selbstischer Qual“ durch die Liebe ab. JJ Prof. em. Dr. Rudolf Drux, Köln

21.15 Uhr
Ende des Veranstaltungstages

Sonntag, 8. Dezember 2019

Frühstück für Übernachtungsgäste ab 7.00 Uhr

8.00 Uhr
Gelegenheit zur Mitfeier der Eucharistie in der Edith-Stein-Kapelle

9.30 Uhr
Ein Ski-Ausflug mit Folgen Das „Schnee“-Kapitel in Thomas Manns Roman Der Zauberberg (1924)
Bei einem Ski-Ausflug gerät Hans Castorp in einen Schneesturm und an den Rand des Erfrierungstodes. Eingeschlummert träumt er von althellenischen Landschaften mit schönen Idealgestalten, aber auch von archaischen kannibalischen Exzessen. Als er aufwacht, sinnt er über seinen Traum nach: Weder Idealisierung noch Leugnung des Todes werden dem Menschsein gerecht. Allein die Liebe ist stärker als der Tod.

  • Dr. Thomas Amos, Dozent für Literaturwissenschaften, Romanist und Germanist, Goethe-Universität Frankfurt/Main

11.00 Uhr
Kaffee- und Teepause

11.15 Uhr
Von der Bewahrung und Rettung des Seelenheils Barockgedichte über eine Reise in eisiger Zeit und das Wunder einer Winternacht In der Maske des Hirten Coridon schildert der schlesische Dichtungsreformer Martin Opitz in seiner ersten „Ode“ (1619) seine Flucht vor dem anrückenden spanischen Heer aus dem reformierten Heidelberg. Im winterlichen Jütland findet er in der christlich-stoischen Philosophie Trost, weil sie die moralische Standhaftigkeit des Weisen propagiert und dem Seelenheil zugute kommt; ein Seelenheil, das allerdings ohne die „Geburt Jesu“ in „lichter“ Winternacht, die Andreas Gryphius in seinem gleichnamigen Sonett (1637) feiert, gar nicht zu erlangen wäre.

  • Prof. em. Dr. Rudolf Drux, Köln

13.00 Uhr
Mittagessen

14.00 Uhr
Ende der Akademietagung

Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.

.