Licht in der Stille
Die Liturgie des heutigen dritten Adventssonntags besingt mit dem freudigen Gaudete-Ruf des Introitus: Die Hälfte der Adventszeit ist geschafft, das Warten auf Weihnachten neigt sich dem Ende zu. Das dunkle Violett der Paramente wird heute von einem zarten Rosa aufgehellt – auch die liturgische Farbe ruft uns zu: Freuet euch! Morgen kehrt jedoch bereits wieder das dunkle Violett des Advents zurück, das uns in den verbleibenden Tagen bis Weihnachten begleiten wird.
„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern!“
Die Dunkelheit des Wartens greift auch Jochen Kleppers eindringlicher Zuruf aus seinem 1938 erschienenen Weihnachtslied auf. In seinem Text ist der freudige Gaudete-Ruf jedoch nicht zu vernehmen. Eine süßliche – man könnte sagen rosa-rote – Weihnachtsromantik sucht man hier vergebens. Stattdessen wird die bittere Realität adventlicher Erwartung deutlich spürbar. Wie kaum ein anderes Lied im Gotteslob beschreibt Kleppers Lied die existentielle Dimension von Dunkelheit und stellt sie in ein stilles Licht adventlicher Hoffnung.
„Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“
Jochen Kleppers gesamtes Leben war geprägt von Dunkelheit, Zurückgezogenheit und Ausgrenzung: Nach dem Abschluss seines Theologiestudiums in Erlangen verhinderte seine fragile Gesundheit den Weg ins evangelische Pfarramt. Seine Ehe mit der jüdischen Witwe Johanna Stein stieß auf Ablehnung – zunächst in seiner Familie, dann in aller Brutalität und Grausamkeit durch das NS-Regime, das die Eheleute drangsalierte und verfolgte. Jochen verlor zahlreiche Jobs, Johanna drohte die Deportation und damit der sichere Tod.
„Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
Die dunklen, krisenhaften Momente seiner Biographie hat Jochen Klepper in zahlreichen Lieddichtungen verarbeitet. Sie alle sind von einer tiefen existentiellen Dimension und aussagekräftiger Symbolik geprägt: Licht und Dunkel – Sünde und Heil – Rettung und Not – Tag und Nacht. Für Klepper war das stille Schreiben von Liedern und Gedichten ein Ort der Hoffnung, ein adventlicher Ort, an dem Weihnachten – seine persönliche Begegnung mit dem ihn liebenden Gott – real erfahrbar wurde.
„Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf!“
Trotz der krisenhaften Abzweigungen und Wendungen in seiner Biographie war sich Jochen Klepper der rettenden Ankunft Gottes gewiss. Dunkelheiten im Leben sind auch in der heutigen Zeit keine Seltenheit: Angst vor Krieg, Einsamkeit im Alter, Entfremdung von Freunden oder Familie. Kleppers Weihnachtslied zeigt uns, dass Gott gerade an diesen Orten der Dunkelheit in kleinen Momenten der Hoffnung, als Licht in der Stille erfahrbar wird. Kurz vor seinem Tod notierte Jochen Klepper in seinem Tagebuch: „Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt.“ Seine Gewissheit, dass das Kind in der Krippe selbst das Licht ist, das die Dunkelheit der Welt erhellt, kann uns in den verbleibenden Tagen der Adventszeit dazu einladen, uns auf einen inneren Weg nach Bethlehem zu begeben. Noch begleitet uns auf diesem Weg das dunkle Violett – ein Sinnbild für unsere eigenen Dunkelheiten und die Geduld des Wartens. Doch wie die liturgische Farbe an Weihnachten in strahlendes Weiß wechselt, so vermag auch das stille Licht Gottes unsere Herzen und unser Leben zu erhellen.
1) Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.
2) Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.
3) Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.
4) Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.
5) Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.
Florian Kluba, Theologe, Mitarbeiter am Liturgiewissenschaftliches Seminar, Universität Bonn



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