Zwischen Schreibtisch und Spielecke

Meine Arbeitswoche hatte immer die gleichen Abläufe: Der Wecker klingelt immer zur gleichen Zeit, ich gehe ins Bad, nacheinander werden die Kinder geweckt und angezogen, es wird gefrühstückt und dann verlassen wir gemeinsam das Haus, um auf dem Weg zur Arbeit die Kinder bei der Tagesmutter und im Kindergarten abzugeben. Diese Struktur und Rituale haben unseren Alltag bestimmt, sie haben uns geleitet, wir konnten uns auf darauf verlassen, ohne immer wieder neu organisieren und planen zu müssen.

Seit Freitag, dem 13. März, als die Landesregierung die Schließung von Kindergärten ab dem darauffolgenden Montag angekündigt hatte, ist alles anders. Jegliche Strukturen sind mit einem Mal gestrichen: der Kindergarten ist geschlossen, die Tagesmutter hat ihren Dienst eingestellt und mein Mann und ich arbeiten beide im Homeoffice. Es hat ein paar Tage gedauert, bis wir einen neuen Ablauf in unserem Alltag gefunden haben, wobei dieser keineswegs geregelt strukturiert werden kann, denn immer wieder neu müssen wir uns im Homeoffice mit Telefonkonferenzen abstimmen: wer kümmert sich wann um die Kinder, wer sitzt wann am Laptop, wann wird „das bisschen Haushalt“ erledigt…? Mein Wecker klingelt seitdem zwei Stunden früher, oft schiebe ich noch eine Spätschicht ein, mein Mann übernimmt glücklicherweise das Kochen – völlig ungewohnt, mittags nun für vier Personen Essen auf den Tisch zu bringen. Wir haben uns an die Kontakteinschränkungen zu den Großeltern und zu den Freund*innen gehalten und haben unserer großen Tochter viel über Abstand halten, Hygiene und Viren erklärt.

In stressigen Situationen habe ich mir mantra-artig gesagt: „Es ist nicht für immer, nur noch ein paar Wochen. Einatmen, ausatmen, weiter geht’s.“ Doch diese paar Wochen sind schon lange vorbei. Inzwischen befinden wir uns in Woche 11.

Nun wurden Lockerungen beschlossen. Von einer ’schrittweisen Öffnung‘ zurück in den Alltag kann eigentlich keine Rede sein. Die zweite Lockerungswelle ist an den meisten Eltern vorbei geschwappt, das bedeutet für uns weiterhin keinen Kindergarten und keine Betreuung durch die Tagesmutter. Gleichzeitig fährt die Wirtschaft wieder hoch. Wir fragen uns: Wo sollen die Kinder nun hin, deren Eltern die Wirtschaft wieder in Schwung bringen? Mein Mann arbeitet nun wieder mehr und außer Haus. Für mich heißt das: jede Sekunde noch effektiver nutzen.

Über die Biergarten- und Fußballer-Witze (der gängigste: „Setz ich meine Kinder eben zum Fußball- gucken in den Biergarten.“) kann ich nicht (mehr) lachen. Doch macht es deutlich, wie die Prioritäten in unserem Land gesetzt sind: Die Fußballbundesliga ist wieder gestartet, es gibt unzählige Berichte über Friseurgeschäfte, die jetzt von Kund*innen überrannt werden. Verdächtig still bleibt es bei der Situation für Familien. Wir Eltern müssen also weitermachen wie bisher: unseren Urlaub aufbrauchen (die sechs Wochen Sommerferien stehen ja auch noch bevor), alternative Betreuungskonzepte überlegen, …

Was ich mir von der Politik wünsche: wir brauchen eine verbindliche Perspektive mindestens bis September. Außerdem: bitte, denkt auch an die Kinder, die seit so vielen Wochen auf so viel verzichten.

PS: Beim Erstellen dieses Textes lagen diese Informationen noch nicht vor: Nun ist bekannt, dass ab dem 8. Juni alle Kinder in NRW wieder einen Anspruch auf den Besuch des Kindergartens mit reduziertem Stundenumfang haben. Für unsere kleine Tochter, die zuvor bei einer Tagesmutter in Betreuung war, trifft dies leider nicht zu.

Bild: Markus Winkler auf Unsplash, gemeinfrei

26. Mai 2020 || Beitrag von Anne Pesch, Akademiereferentin und Mutter von zwei Kindern (1 und 5 Jahre alt)