Zum Tag der (Kurz-)Arbeit

Die Kundgebungen der Gewerkschaften sind abgesagt und in den virtuellen Raum des Internets verlegt. Das noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie gewählte Motto „Solidarisch ist man nicht alleine“ erhält in Zeiten von Kontaktsperre und „social distancing“ einen neuen Klang. Und dominierte in den letzten Jahren angesichts rekordniedriger Arbeitslosigkeit und gefüllter Staatskassen eine fröhlich-kämpferische Atmosphäre, so dürfte in diesem Jahr die Stimmung bedrückt sein.

Höchststände bei der Kurzarbeit
„Alle Räder stehen still“, aber nicht weil es der starke Arm der Arbeiterbewegung will. Für die Beschäftigten ist es alles andere als ein Erfolg: Viele bangen um ihren Arbeitsplatz oder haben ihn bereits verloren, andere fürchten um den Fortbestand „ihres“ Unternehmens, um die Ausbildung der Kinder oder die eigene Rente. Die Zahl der Arbeitslosen ist im vergangenen Monat deutlich gestiegen – erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik im Monat April, wenn üblicherweise der Frühling für Belebung am Arbeitsmarkt sorgt. Für mehr als zehn Millionen Beschäftigte haben die Unternehmen Kurzarbeit angemeldet. Zum Vergleich: Selbst im Finanzkrisenjahr 2009 wurden bei der Bundesagentur 3,3 Millionen Anträge gestellt. So wird der 1. Mai in diesem Jahr zum „Tag der Kurzarbeit“.

Übernehmen jetzt die Roboter?
Während Bund und Länder Hilfsprogramme auflegen, um die unmittelbaren Folgen der pandemiebedingten Rezession abzufedern, geht mancher Blick schon weiter in die Zukunft. Die Pandemie könne einen Digitalisierungsschub auslösen, der unsere Wirtschaftsweise weit über den aktuellen „Shutdown“ hinaus prägen werde. Schon in den letzten Jahren sagten Wissenschaftler für die nicht allzu ferne Zukunft einen von Robotern und Algorithmen verursachten massenweisen Jobverlust voraus. Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze in den USA sahen etwa die Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne von der Universität Oxford durch die Automatisierung gefährdet. Andere Forscherinnen und Forscher zeigen sich optimistischer. Dennoch bleibt die bange Frage, ob nicht die Corona-Pandemie sehr deutlich vor Augen führe, wie segensreich eine vollautomatisierte Produktion wäre. Roboter sind ganz sicher immun gegen Viren, müssen nicht auf Abstand gehen und werden nicht in Quarantäne geschickt. In einer menschenleeren Fabrik könnten sie munter weiter Autos und Kühlschränke fertigen, während die Menschen auf dem Sofa das Ende der Kontaktsperre abwarten. Auch in anderen Bereichen mag sich mancher eine automatisierte Belegschaft wünschen: In der Pflege ginge von spezialisierten Robotern keine Ansteckungsgefahr aus, und an der Supermarktkasse wären die „Spuckwände“ überflüssig …

Ist das Grundeinkommen die Lösung?
Aber was würde dann aus den Menschen? Wovon sollten sie leben, wenn sie niemand mehr für eine bezahlte Arbeit einstellen würde? Auch hierauf scheint die aktuelle Situation eine Antwort bereitzuhalten: das bedingungslose Grundeinkommen. Mehrere Petitionen werben derzeit für ein befristetes Grundeinkommen von monatlich 800 bis 1.000 Euro pro Person. Die überzeugten Grundeinkommen-Befürworter nutzen die Gelegenheit nun, um ihren Thesen neuen Nachdruck zu verleihen. So meint etwa der Philosoph und Ökonom Philip Kovce im Deutschlandfunk, dass uns der „coroneske Ausnahmezustand […] klarer sehen lässt, was an der Zeit ist: […] Der Bismarcksche Sozialstaat von anno dazumal hat ausgedient! Er gehört ins Industriemuseum! Die Zeit ist reif für eine neue freiheitlich-demokratische Grundordnung, die Zeit ist reif für das bedingungslose Grundeinkommen!“

Wirklich? Wären wir tatsächlich gut beraten, in der aktuellen Zwangslage, die unser Sozialsystem trotz gut gefüllter Kassen einem schweren Belastungstest aussetzt, einen solchen Systemwechsel mit ungewissem Ausgang einzuleiten? Selbst wenn man eine Finanzierung des Grundeinkommens grundsätzlich für möglich hält, muss man sich fragen, wie dies angesichts einer massiv eingeschränkten Wertschöpfung zu realisieren wäre.

Wem gehören die Roboter?
Noch werden (viele) Menschen gebraucht, um das Bruttoinlandsprodukt zu erwirtschaften. Sollte dies aber eines Tages tatsächlich ein von wenigen Spezialisten dirigierter gigantischer Maschinenpark übernehmen, würde ein Grundeinkommen wohl keine neue freiheitlich-demokratische Grundordnung garantieren, sondern ganz im Gegenteil neue Abhängigkeiten schaffen. Denn nicht die Roboter würden die Steuern zahlen, um das Grundeinkommen zu finanzieren. Vielmehr müssten die Eigentümer der Roboter Steuern auf ihre Kapitaleinkünfte zahlen. Eine Gesellschaft, in der die übergroße Mehrheit von den Steuern einer kleinen Minderheit abhinge, entspricht aber wohl kaum dem strahlenden Zukunftsbild, das die Gewerkschaften am Tag der Arbeit gerne zeichnen. Die eigentliche Zukunftsfrage am heutigen 1. Mai lautet daher nicht, wer uns das Grundeinkommen bringen wird, sondern wem die Roboter gehören werden.

Bilder:
Menschenleere Fabrik. Bild von Lenny Kuhne auf unsplash, gemeinfrei
Menschlicher Roboter? Bild von Franck V auf unsplash, gemeinfrei

1. Mai 2020 || empfohlen von Dr. Matthias Lehnert, Referent Forum: PGR