Wilhelm Werner und die Wiederentdeckung der Künstlerin Anita Rée

Von Anita Rée – The Bridgeman Art Library, Objekt 155109, gemeinfrei

Selbstbildnis, 1930, Hamburger Kunsthalle

Im Sommer 1937 verpackt Wilhelm Werner, Hausmeister der Hamburger Kunsthalle, sieben Gemälde in Papier, trägt sie aus dem Magazin des Museums in seine Souterrainwohnung und versteckt sie dort.
Im Juli des gleichen Jahres ordnet eine Kommission an, Moderne Kunst aus den Sammlungsräumen zu entfernen, um sie in einer öffentlichen Ausstellung (Entartete Kunst) zu diffamieren. Die Werke der Malerin Anita Rée sind da bereits in Sicherheit.

Es wird einige Jahre dauern, bis Wilhelm Werner nach Ende der NS-Diktatur im Dezember 1946 die Bilder wieder unbemerkt in das Magazin der Kunsthalle zurückstellen kann. Erst nach Werners Tod, er stirbt 1975 in Hamburg, erzählt seine Frau Anna die Hintergründe der Aktion. Wilhelm Werner hat durch seine mutige Tat wichtige Werke von Anita Rée gerettet und sie so für ein interessiertes Publikum erhalten.

Anita Rée, die aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg stammt, beginnt mit 20 Jahren eine künstlerische Ausbildung in Freilichtmalerei bei Artur Siebelist. Max Liebermann, den sie bei einem Vorstellungsbesuch in Berlin 1906 kennenlernt, sieht ihre Begabung und ermutigt sie, weiter zu malen. Im Atelier von Friedrich Ahlers-Hestermann und Franz Nölken setzt Anita Rée ihre künstlerische Laufbahn fort. Beide Künstler berichten nach Aufenthalten in Paris begeistert von aktuellen Strömungen in der Malerei. Daraufhin versucht sich Anita Rée u.a. mit kubistisch-expressiven geprägten Bildern.
Nach Kriegsende 1919 gehört sie zu den Mitbegründern der Hamburgischen Sezession, die in jährlichen Ausstellungen ihre neuesten Arbeiten präsentieren.
In diese Zeit fällt auch die Entstehung des Gemäldes „Blaue Frau“, eine sensible Mutter-Kinder-Darstellung.

Von 1922 bis 1925 lebt sie im Fischerdorf Positano an der Amalfiküste. Künstlerinnen und Künstler haben sich hier, auch auf Grund der bedrohlichen Stimmung in Europa, niedergelassen. Anita Rée findet dort neue Ansprechpartner, knüpft Verbindung zu Carlo Mense und Richard Seewald und hat durch ihre italienischen Sprachkenntnisse Kontakt zu den Dorfbewohnern.
Es entstehen Bilder, die das Fischerdorf mit seiner Hanglage, steilen Treppen, engen Gassen und Bäumen zeigen. Dabei verzichtet die Künstlerin auf eine intensive Farbigkeit und taucht das Dorf mehr in ein fahles Licht. Das Gemälde „Weiße Bäume in Positano“ von 1925 gilt als das wichtigste Werk während ihrer Jahre in Italien. Außerdem zeichnet und malt sie zahlreiche Dorfbewohner. Klare Farben, scharfe Konturen und präzise Details kennzeichnen diese Porträts.

Nach ihrer Rückkehr stellt sie 1926 in der Hamburger Galerie Commeter aus und erwirbt sich einen hohen Bekanntheitsgrad. Zahlreiche Porträtaufträge folgen und zeigen ihre Wertschätzung in der Gesellschaft. Sie erhält zwei Aufträge für Wandbilder in Hamburger Schulneubauten. Das von ihr geschaffene Wandbild „Orpheus mit den Tieren“ (1930) im Gymnastiksaal der ehemaligen Höheren Mädchenschule in Hamburg-Hamm, heute Ballettzentrum – John Neumeier, gilt mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten als „entartet“. Nach der Übermalung 1937 wird es 1954 freigelegt, notdürftig restauriert und mit Holzpaneelen überdeckt. Mit dem Umbau zum Ballettzentrum kommt es dann Ende der 80iger Jahre wieder zu einer Freilegung und umfassenden Restaurierung.
Anita Rée fühlt sich trotz der Anerkennung in ihrer Heimatstadt zunehmend unwohl. Private Enttäuschungen und die antisemitische Stimmung bereiten ihr Schwierigkeiten. In dieser Zeit entsteht das wohl bekannteste Selbstbildnis, in dem sich ihre Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit spiegeln. Sie verlässt im Sommer 1932 Hamburg und siedelt nach Sylt über. Hier lebt Anita Rée in beengten Verhältnissen, einsam und mit großer Angst. Sie malt nur noch wenige Porträts und wendet sich mehr der Darstellung der Insellandschaft zu.
Im Dezember 1933 nimmt sie sich in Kampen auf das Sylt das Leben.

Jt wob – Eigenes Werk, Copyrighted free use

Stolperstein Anita Rée, Wattweg 10, Kampen, Sylt

Es wird einige Jahrzehnte dauern, bis das bemerkenswerte Œuvre der Künstlerin Anita Rée in einer großen Retrospektive der Hamburger Kunsthalle 2017/2018 gezeigt wird. Ihre bekanntesten Werke, u.a. das Selbstbildnis von 1930, „Weiße Bäume in Positano“ (1925) und die „Blaue Frau“ (1919), stehen neben anderen Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen im Mittelpunkt der Ausstellung.

Und Wilhelm Werner, der durch seine Zivilcourage Gemälde von Anita Rée gerettet hat, erhält bereits 2011/2012 eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Als Hausmeister steht er immer im direkten Kontakt mit den Künstlerinnen und Künstlern, ist mitverantwortlich für die Hängung der Kunstwerke und fertigt auch auf Wunsch die Rahmen an.
Aus seiner Privatsammlung von über 500 Werken, aus der Werner auch nach seiner Pensionierung kein Werk verkauft hat, werden ca. 130 Gemälde und Zeichnungen präsentiert. Sie gelten als besonderes Dokument der Kunst in Hamburg und würdigen damit seine Verdienste für die Kunsthalle.

Ein Besuch der Hamburger Kunsthalle lohnt sich: In der Sammlung der Klassischen Moderne sind einige der Werke Anita Rées zu sehen, darunter das Selbstbildnis von 1930. Solange das Museum noch nicht in Präsenz besucht werden kann empfiehlt sich ein Blick in den Online-Katalog des Museums. Eine Besprechung des Selbstbildnisses finden Sie hier.

Informationen zu den vergangenen Ausstellungen zu Anita Rée und der Sammlung Wilhelm Werners sind hier nachzulesen:

Der biografische Roman »Himmel auf Zeit« erzählt die Geschichte der Künstlerin Anita Rée.

26. Januar 2021 || ein Beitrag von Edith Dietzler-Isenberg, Konrektorin i. R. an einer Grundschule

Für die Akademie ist Edith Dietzler-Isenberg als engagierte Reiseleiterin unterwegs.
Reisen Sie mit ihr vom 22. bis 27. August 2021 (So.-Fr.) nach Dessau oder vom 19. bis 25. September 2021 (So.-Sa.) zu den Künstlerkolonien Hiddensee, Ahrenshoop und Schwaan.
Folgen Sie mit ihr den Spuren August Mackes am 20. August 2021 (Fr.) in Bonn.