Teilhabe an der Wahrheit, die in Schönheit erblüht – umerschaffenes Licht, das von innen her glüht!

Wenn Menschen aus dem westlichen Kulturkreis den Begriff „Ikone“ höre, dann stellt sich nicht selten die Vorstellung ein, dass es sich um ein Kultbild der christlichen Ostkirchen handelt, das je nachdem wie alt und groß es ist, auch eine lukrative Geldanlage im Sinne gesammelter Kunst darstellen kann.

So richtig sicherlich die Bedeutung der Ikone für die Liturgie und persönliche Frömmigkeit ist, so kontrovers wird über ihren künstlerischen Wert gestritten. Daher stellt sich einmal mehr die Frage, ob es wirklich das Künstlerische, was den Wert und die Erhabenheit der Ikonen ausmacht?

Es sind nicht handwerkliche Meisterschaft oder geniale Bilderfindung, die die Ikone auszeichnen, sondern der Umstand, dass sie einen unverzichtbaren Anteil an der Ausstattung der Kirchen, der dort gefeierten göttlichen Liturgie und nicht selten in den Wohnhäusern bzw. Wohnungen der Gläubigen haben.

Warum dies so ist, können zwei biblische Aspekte, die zum Verständnis der Ikonen absolut unabdingbar sind, veranschaulichen: Zum einen ist es die Schöpfung als liebende Mitteilung Gottes an seine Geschöpfe, besonders aber an den Menschen, den er als sein Ebenbild erschuf und der ihm liebend antworten kann. Zum anderen ist es die Menschwerdung des göttlichen Wortes in Jesus von Nazareth, der durch sein Kommen, seinen Tod und seine Auferstehung die Heilsgeschichte beschließt.

Die Ikonen fungieren angesichts dessen als Abbildung einer anderen Wirklichkeit. Sie übersteigen das Irdische und verweisen auf das Wahre, an dem sie teilhaben und das ihnen letztlich Schönheit verleiht. So werden sie sowohl zur Anschauung jener vollendeten Schöpfung zu der die Heiligen gezählt werden genauso wie sie die Heilsgeschichte, die im Kommen Jesu unwiderruflich angebrochen ist, vor Augen stellen.

Ihre Aufgabe besteht in nichts geringerem als den Betrachter zu diesem Ursprung hinzuführen, sein Herz zu Gott zu erheben – so wird sie zum geistlichen Weggeleit oder mit den Worten des hl. Johannes Damaszenus (650-754), dem großen Verteidiger der Ikonenverehrung, zu sprechen:

Mit meinem menschlichen Auge betrachte ich die Ikonen, damit mein geistiges Leben vom Mysterium der Fleischwerdung erfüllt werde!

Bildnachweise:

  • „Jahrmarkt der Ikonen“,Silar, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons
  • Monatsikone für den Monat Juni,Pfarrer Arno Lutz Henkel

1. November 2020 || ein Beitrag von Dr. Arno-Lutz Henkel, Theologe und Kunsthistoriker, katholischer Priester mit portugiesischen Wurzeln, Pfarrer in der Pfarreiengemeinde Bad Neuenahr-Ahrweiler