Der Kultphilosoph aus Weimar: Auf den Spuren von Friedrich Nietzsche digital durch die Stadt an der Ilm

Als im Jahr 1900 Friedrich Nietzsche in Weimar starb, konnte er den Ruhm nicht mehr erleben, der um seine Person, seine Werke und sein Denken bereits entstanden war – und weitere Kreise ziehen sollte … gefördert vor allem durch seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche von Weimar aus.

Wie kaum ein Denker hat Nietzsche mit äußerster Radikalität die conditio humana in einer Welt ohne Gott, ohne Normen, ohne von außen vorgegebenen Sinn oder gar ein ewig innewohnendes Ziel ergründet. Mit Schriften wie „Also sprach Zarathustra“ sprach er besonders all‘ jene  an, die wie er auf der Suche nach einer Welt waren, die Menschen mit unbedingtem künstlerischem Interesse und lebensbejahend-sinnenfroh bewohnen können.

Der stets kränkelnde Denker, der nach frühen, herausragenden wissenschaftlichen Leistungen mit 24 Jahren als Professor nach Basel berufen worden war, gab kaum zehn Jahre später aus gesundheitlichen Gründen sein Amt zurück. Fortan zog es ihn in Landschaften, die er als heilsam für seine Migräne und seine Magenbeschwerden empfand. Im Oberengadiner Örtchen Sils Maria gelang es ihm zumindest für einen längeren Zeitabschnitt, produktiv den Sommer zum Schreiben zu nutzen; so entstand hier in weiten Teilen sein „Zarathustra“.

Doch sein körperlicher Verfall war nicht aufzuhalten: Während eines Aufenthalts in Turin erlitt er mit 45 Jahren einen geistigen Zusammenbruch und war bald vollständig umnachtet. Zunächst von der Mutter in Naumburg gepflegt, übernahm Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche schließlich ab 1893 die Pflege des Bruders, gleichzeitig riss sie aber auch die Verwaltung seines geistigen Erbes an sich: Der Weg zu Friedrich Nietzsche führte so über seine Schwester, die ihren Einfluss eifersüchtig bewachte.

Als Inhaberin des 1894 in Naumburg gegründeten, ab 1896 in Weimar ansässigen Nietzsche-Archivs, dort in der Villa Silberblick, prägte sie maßgebliche die Rezeption Nietzsches: Als Person wurde er durch seine Schwester mysthifiziert, sein Werk hingegen popularisiert. Auch durch das Wirken früher Anhänger Nietzsches wie Harry Graf Kessler, Lou Andreas Salomé und Rudolf Steiner kam es schnell zu einem regelrechten „Nietzsche-Kult“, der bis nach Frankreich und Italien ausstrahlte. Später waren es vor allem Künstler wie Henry van den Velde, Edvard Munch, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse oder auch Thomas und Heinrich Mann, die Nietzsches Sprache und Gedankenwelt bewunderten und in ihren eigenen Werken verarbeiteten. Das Nietzsche auch vollkommen an seiner Intention vorbei verstanden werden konnte, zeigen andererseits seine Rezeption in der Zeit des Nationalsozialismus sowie später in der DDR, in der Nietzsche einer nahezu vollständigen damnatio memoriae anheimfiel.

Dem Kultstatus Nietzsche auf die Spur zu kommen ist bei der Vielzahl der hier nur kurz angesprochenen Themen, Perspektiven und Künste keineswegs einfach, der Versuch einer Gesamtsichtung mühselig und bei der Menge der Forschungsergebnisse ein lebenslanges Unterfangen.

Daher ist es ein großes Verdienst der Klassik Stiftung Weimar, dass sie im Städtchen an der Ilm einen „Parcours der Moderne“ verwirklicht hat, bei dem Interessierte Friedrich Nietzsche, seinem Werk und vor allem auch seinen gar wichtig genug einzuschätzenden Auswirkungen auf die Künste im beginnenden 20. Jahrhundert im wahrsten Sinne des Wortes „auf die Spur kommen“ können. Sie müssen nicht einmal nach Weimar reisen (obwohl sich das natürlich immer anbietet!), um in den Genuss des Parcours zu kommen: Hier finden Sie das Angebot auch in digitaler Form.

Richten Sie Ihren Blick auf den Ort und den Denker – und wenn Sie noch mehr wissen möchten und dabei den Genius Loci der für Nietzsche so wichtigen Oberengadiner Seenwelt selbst erfahren möchten: Unweit seines damaligen Aufenthaltsortes steht heute das Grand Hotel Waldhaus in Sils Maria, Ziel einer literarisch-philosophischen Ferienakademie im September …

27. April 2020 || empfohlen von Dr. Michael Hartlieb, Akademiereferent Theologie und Philosophie