Kunst im Bunker – In Bordeaux und anderswo

Bunt und spektakulär wirken die Bilder und Berichte über die jüngst in Bordeaux eröffneten „Bassins de lumiére“: Tagessschau, Arte, 3Sat berichteten ebenso wie viele Tageszeitungen über das Kunstprojekt in einem Bunker der französischen Hafenstadt. Dort, wo im Zweiten Weltkrieg U-Boote untergebracht waren, können die Besucher seit kurzem in „Kunst eintauchen“.

Projektionen auf den schweren 20 Meter hohen Betonwänden spiegeln sich im Wasser und kreieren wechselnde Eindrücke. So ungewöhnlich der Ort, so eindrucksvoll die aktuelle Installation Kunst von Gustav Klimt im „weltweit größten Zentrum der Digitalkunst“ präsentiert wird, so ist es auch interessant, diese „Revitalisierung eines Bunkers“ ebenso einzuordnen wie die anderer „Orte der Kunst“.

Interessante Akzente und Ausblicke dazu bietet der Kunsthistoriker Dr. Till Busse im Gespräch mit Julia Steinkamp und Elisabeth Bremekamp.

Dr. Till Busse ist Kunsthistoriker und leitet Ferienakademien sowie Erkundungen der Akademie.

Wie ordnen Sie die Kunst-Ausstellung im ehemaligen U-Boot-Bunker in Bordeaux ein: „interessantes Kunst-Experiment“, „zu viel Show“ oder „gut eingesetzte Finanzmittel für neue Wege der Kunstvermittlung“?
An der Schau in Bordeaux ist gar nichts neu, zumal sie einen wirklichen Kotau vor dem Massengeschmack zelebriert. Dies geschieht natürlich mit großer technischer und ästhetischer Raffinesse. Die großflächige Projektion von visuellem Material in Kombination mit Klängen ist gängige Praxis seit abstrakten Filmexperimenten der Weimarer Republik und kündigt sich auch vorher im Werk der frühen russischen Abstrakten an, die schon 1913 den „Sieg über die Sonne“ als Spiel tanzender fast abstrakter Formen zelebrierten.
Die Auswahl des musikalischen und visuellen Materials in Bordeaux – Wagner zum Beispiel – und zweier Künstler, die niemandem weh tun – Klee und Klimt – spricht dafür, dass dieses Projekt in erster Linie Strategien der Gefälligkeit und der ästhetischen Überwältigung einsetzt.  Wer kann sich schon dem suggestiven Gesicht einer Klimt-Muse in Verbindung mit spätromantischen Streicherklängen entziehen? Bordeaux setzt mit Hilfe fast immaterieller Mittel das Konzept des Gesamtkunstwerkes in die Tat um, also ein Konzept des 19. Jahrhunderts. Das ist nicht als Kritik gemeint, sondern als eine Beschreibung.
Wichtig an diesem Projekt finde ich, dass die Festungswände nicht angetastet werden und der Besucher damit nach dem Erlöschen der Lichtspiele wieder in die finstergraue Betonwelt zurückfällt. So ergibt sich eine auch historisch verständliche visuelle Erfahrung, denn nach der durchaus glanzvollen Zeit Klimts und Klees, des Fin de Siècle, des Jugendstils und der Frühmoderne brach mit dem ersten Weltkrieg und mit der Apokalypse des Zweiten Weltkrieges jene Epoche an, der dieses Gebäude physisch entstammt.
Zu wünschen wäre diesem Unterfangen, dass man es auch für zeitgenössische Künstler öffnet, die in der Lage sind, diese Raumdimensionen zu bespielen. Im Bereich der deutschsprachigen Kultur fallen mir da die Videokünstlerinnen Hito Steyerl und Pippilotti Rist ein, in der deutschen Malerei Katharina Grosse, in Frankreich vor allem Pierre Huyghe und Philippe Parreno, die sich sicherlich etwas weniger eskapistisch mit diesem Raum auseinanderzusetzen würden, also mit weniger Weltflucht.

Wie kann verhindert werden, dass der Schrecken der Kriegsmaschinerie durch Revitalisierung eines Bunkers durch und mit Kunst „übermalt“ wird?
Wie gesagt, solange die Schau irgendwann endet und der appetitliche Lichterglanz erlischt, werden die vernarbten Wände und die trutzige Kriegsarchitektur wieder sichtbar. Wichtig ist hierbei, dass dem Besucher auch konkrete Informationen an die Hand gegeben werden, was dieser Bau einmal war, wer ihn gebaut hat und welches Ende er nach dem Krieg nahm.
Es wäre dem Projekt zu wünschen, dass es, wie oben angedeutet, auch wirklich zeitgenössischen Künstlern als Spielort dienen wird. Kunst an Plätzen mit markanter Geschichte auszustellen ist ebenfalls nichts neues: ein Beispiel wäre die Halle Kalk in Köln, wo Jannis Kounellis ausgestellt hat, die Dogana, eine Zollstelle in Venedig, die heute der Sammlung Pinault dient – oder als bekanntestes das Arsenal in Venedig, das bis vor wenigen Jahrzehnten militärisches Sperrgebiet war und zum Teil noch ist. Das Arsenal dient heute der Biennale.
In jedem dieser Fälle entsteht eine interessante Spannung zwischen den ausgewählten Orten mit ihrer Patina, an denen intensiv gelebt und gearbeitet wurde, und der Kunst, die diesen Raum besetzt. Spätestens seit den 1970er Jahren sind solche Ausstellungsorte gerne gewählt worden, eventuell auch als Flucht vor dem „White Cube“, dem gängigen geweißten und sterilen Museumssaal.

Bunker als Schutzräume: Inwiefern kann das auch für die Kunst gelten?
Wir leben natürlich mit den Ruinen und Relikten des Zweiten Weltkriegs und ich denke, dass wir nicht jeden Ort zur Gedenkstätte machen können. Allmählich setzt natürlich auch mit dem Verschwinden der letzten Augenzeugen eine Historisierung und Musealisierung dieser Gebäude ein, die so ihre ursprüngliche Aura verlieren.
Hierzu eine Anekdote, die eine unterschiedliche Wahrnehmung illustriert: Ich war im Jahr 2014 mit einer Gruppe der Akademie in der Kollektion Boros in Berlin, wo in einem der großen Hochbunker des Krieges eine private Sammlung gezeigt wird. Zwei Teilnehmerinnen verließen den Ort wieder, da für sie beängstigende Kindheitserinnerungen wieder hochkamen: draußen Bombardements und man sitzt als zehnjähriges Mädchen tief unter der Erde und hat Angst. Ich persönlich habe den Bunker noch als (Spät-)Jugendlicher kennen gelernt, als er für Technoparties verwendet wurde, komme also mit einem ganz anderen Erfahrungshorizont.
In Köln wird ein bekannter Hochbunker in Ehrenfeld an der Körnerstraße für Kunst verwendet, ebenso wie der Kulturbunker in Mülheim. Das Projekt des Skulpturenparks Köln am Zoo geht ebenfalls auf einen Flakbunker der Nazizeit zurück, der zunächst Jugendherberge, dann Wohnhaus zweier Kunstsammler und Atelierhaus einiger bekannter Künstler wurde.

Muss die Kunst also geschützt werden vor gesellschaftlichen Entwicklungen?
Die Kunst als schützenswerte Größe existiert zunächst einmal nicht. Kunst ist eine Summe tausender individueller Produkte, hinter denen tausende Einzelpersonen stehen. Damit spiegelt künstlerische Produktion in aller Regel den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang – von der genderpolitisch interessierten Installationskünstlerin bis zum Stilllebenmaler, der früher mal Hausmeister war.
Kunst kann sich also gar nicht von gesellschaftlichen Entwicklungen ablösen, sie entspringt immer der Mitte der Gesellschaft. Dass Künstler und Kuratoren sich Orte außerhalb der Museen suchen, hat vielleicht mit dem Wunsch zu tun, die engen Grenzen der Musentempel zu verlassen und ein Publikum zu erwischen, das nicht unbedingt immer kulturaffin ist. Einer der großen Wünsche der Avantgardisten ist – im Grunde schon seit den Nazarenern um 1810 – Kunst und Leben zusammenzubringen – und das kann man durch einen Ortswechsel versuchen. Bestimme Orte haben aber auch eine besondere Energie, die mit ihrer Patina und somit ihrer Geschichte zu tun hat.
Die meisten Museumsexperten, vor allem Restauratoren, wünschen sich übrigens Räume ohne Tageslicht für ihre Kunst, da Licht auch immer konservatorische Probleme aufwirft: Pigmente verblassen, bestimmte Materialien trocknen aus und werfen Falten. Museumsbauten aus Glas wie beispielsweise das Arp-Museum in Rolandseck oder die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin sind aus restauratorischer Sicht ein Desaster – auch wenn’s hübsch ausschaut. Im Zweiten Weltkrieg wurde übrigens ca. 450 Hauptwerke aus den Berliner Sammlungen im Hochbunker Friedrichshain aufbewahrt – bis der Bunker im Sommer 1945, also nach dem Ende des Kriegs, ausbrannte.

Gibt es auch in der näheren Umgebung, in Deutschland vergleichbare Konzepte?
Das ähnlichste Projekt in Deutschland ist eventuell das Gasometer in Oberhausen, wo auch schon ähnliche Schauen organisiert wurden (Der Schöne Schein 2014, Magische Orte 2011). Der Bunker der Sammlung Boros in Berlin ist ein gutes Beispiel mit einer markanten Sammlung sehr junger Kunst in einem Bau des Kriegs, genauso wie das Wasserwerk in Heimbach, das für ein Musikfestival genutzt wird. Das drastischste Beispiel ist vielleicht der Kronleuchtersaal in der Kölner Kanalisation, wo ich einem Zitherkonzert beiwohnen durfte und froh war, als es vorbei war.

Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!

Bilder:

  • Titelbild mit freundlicher Genehmigung von Culturespaces: Simulation 1 Culturespaces – Nuit de Chine ; © akg-images Erich Lessing ; © Heritage Images Fine Art Images akg-images.
  • © Culturespaces Anaka Photographie
  • Le bunker de la fondation Boros (Berlin);Jean-Pierre Dalbéra; CC BY 2.0), https://www.flickr.com/photos/dalbera/23504580538
  • Kulturbunker Mülheim, sorkin, Flickr, CC BY 2.0
  • Dr. Till Busse, privat

19. Juni 2020 || ein Interview von Elisabeth Bremekamp, Referatsleiterin Ferienakademien und Julia Steinkamp, Mitarbeiterin Festival Orgelkultur