Friedrich Nietzsche und der Künstler Hans Olde

Der in Weimar entstandene „Parcours der Moderne“, der bereits in einem früheren Beitrag vorgestellt wurde, macht auf beeindruckende Weise deutlich, dass sich die Auswirkungen von Nietzsches Denken keineswegs nur auf die Zunft der Philosophen oder der Philologen begrenzen. Nein, Nietzsche als Charakter, als Figur, mit Richard Wagner gesprochen: als menschliches „Gesamtkunstwerk“ war für ganze Generationen von Künstlern, Literaten, Ästheten, Lebensreformern oder auch Wahrheitssuchenden eine prägende Persönlichkeit, die teils eine geradezu übersteigerte Verehrungsformen nach sich zog. Hans Olde der Ältere und Edvard Munch stehen in diesem Beitrag für viele andere, für die die Begegnung mit Nietzsche wichtig geworden ist.

Dass die Verehrung Nietzsches durch Künstlerinnen und Künstler nicht fruchtlos geblieben ist, zeigt das Museum Neues Weimar auf beeindruckende Weise in unterschiedlichen Kunst- und Handwerksgattungen. Ein Besuch sei hiermit unbedingt empfohlen, aber selbstverständlich erst dann, wenn es die aktuelle Situation wieder zulässt! Nebenbei: Als nachgerade berühmter Aphoristiker hat sich der nicht wenig unter Krankheiten leidende Nietzsche übrigens auch immer wieder mit der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Alltags beschäftigt, ein Beispiel sei hier genannt:

"Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen …".

Eine „wesentliche Beschäftigung“ ist für die Künstlerin und den Künstler natürlich die Hervorbringung von Kunst, und gerade in diesem Bereich hat Nietzsche auf viele, heute auch teilweise fast schon wieder vergessene Künstler, starke Auswirkungen gehabt. Mit Hans Olde d. Ä. rückte im vergangenen Jahr das Museum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf den „Impressionist des Nordens“ in den Mittelpunkt der gleichnamigen Sonderausstellung. Hier wird der aus Schleswig Holstein stammende Maler als einer der ersten deutschen Vertreter des Impressionismus hochinteressant und kenntnisreich gewürdigt. Um den Bogen zu Nietzsche zu schließen: Hans Olde bekam im Jahr 1899 von der Avantgarde-Zeitschrift PAN den Auftrag, von Friedrich Nietzsche ein Porträt anzufertigen, das dann unter seiner zahlreicher werdenden Leserschaft verbreitet werden sollte. Lesende des vorangegangenen Beitrags wissen: 1899 war Friedrich Nietzsche bereits seit über zehn Jahre geistig umnachtet – wie hätte also zu diesem Zeitpunkt ein Porträt erstellt werden sollen, das den Denker im Besitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte zeigt?

Vor diesem Hintergrund ist es äußerst spannend, den Artikel von Anna-Sophie Borges zu den Umständen, den Hintergründen und vor allem auch den Ergebnissen dieser Reise zu lesen (Ecce Dementia? Friedrich Nietzsche in Fotografien und Radierungen von Hans Olde, im aktuellen Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar 2020). Deutlich wird darin, dass Nietzsche bereits von frühester Zeit seines Wirkens an bildpolitisch „ins rechte Licht“ gerückt wurde. Als Heros und genialischen Anführer einer Reform aller Lebensbereiche galt es, ihn auch als solchen Denker darzustellen – und nicht als jemanden, der die Kontrolle über seine Physik und Physis verloren hatte. Weil dies Hans Olde d.Ä. gelang, wurde er für seine Darstellung Nietzsches nach dem Typus „Gelehrtenporträt“ gefeiert. Im gleichen Band hervorzuheben ist übrigens auch der Artikel von Gerda Wendermann über Edvard Munchs Porträts von Nietzsche und seiner Schwester Elisabeth.

Einmal mehr macht so die Beschäftigung mit Friedrich Nietzsche, seinen Verehrern und seinem Werk deutlich, dass die Wirkungsgeschichte des Philosophen natürlich zu einem großen Teil auf Nietzsches Denken aufruht –  aber nicht wenig dazu auch die Zeit beiträgt, in der dieses sich entfalten konnte. Vieles kommt zusammen und verstärkt sich gegenseitig: Der Hunger nach einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel, nach neuen Lebenskonzepten und ungewöhnlichen Vorbildern – all das Punkte, wofür Nietzsche – ob gewollt oder nicht – in geradezu perfekter Weise die Blaupause lieferte – und sei es eben nur als Porträt seiner selbst.

Titelbild: Friedrich Nietzsche. Fotografie aus der Serie „Der kranke Nietzsche“ von Hans Olde, zwischen Juni und August 1899. Original im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar, Signatur GSA 101/37. Wikicommons, gemeinfrei.

15. Mai 2020 || ein Beitrag von Dr. Michael Hartlieb, Akademiereferent Theologie und Philosophie

Mit der Klassik Stiftung Weimar verbindet die Thomas-Morus-Akademie Bensberg seit vielen Jahren eine enge Kooperation. Auf ihrer Webseite finden Sie weitergehende Hinweise und Forschungsergebnisse zum „Kosmos Weimar“ auf dem Weg zur Moderne.