In den Blick nehmen

Die Hände des „Lehrenden Christus“

Vor Jahren hat mich bei einem Besuch in Güstrow die Skulptur des „Lehrenden Christus“ von Ernst Barlach in ihren Bann gezogen. Ihre schlichte Präsenz hat mich angesprochen, vor allem aber ihre offen hingehaltenen Hände haben mich unmittelbar berührt.

„Lehrender Christus“ – Was für ein Lehrer ist das, der mir da begegnet? Was kann ich von ihm lernen? Was sagen mir seine Hände?

Diese Hände sind offen und leer:
sie halten weder Schriftrolle noch Programm, halten sich nicht fest an Ideologien, Reichtümern, Machtmitteln …, sie setzen sich einfach aus …

Diese Hände können sich öffnen für das, was ist:
sie empfangen, nehmen auf, lassen das sein, was ist und wie es ist; sie müssen nichts abwehren, aussortieren, geradebiegen …; sie lassen sein, lassen sich selbst sein …

Diese Hände können verweilen:
sie vermitteln Ruhe und Gelassenheit, sie können dem Raum und Zeit geben, was sich von innen her langsam entwickeln und zeigen will; sie sind bar jeder überstürzten Geschäftigkeit, sind weder mahnend noch kämpferisch erhoben …

Diese Hände geben, was sie selbst empfangen haben:
sie lassen Übergebenes weiterströmen, stören nicht den organischen Fluss und halten nichts ängstlich zurück; vielmehr halten sie Anvertrautes einfach hin, bieten letztlich sich selber dar …

Diese Hände sind frei und lassen frei:
sie wollen nichts krampfhaft festhalten, nichts um jeden Preis durchsetzen, nichts gewaltsam erzwingen …; geöffnet für Begegnung, laden sie unaufdringlich ein – verbindlich und absichtslos zugleich; ihre Stärke liegt in ihrer Sanftheit …

Diese Hände sind zugewandt in Liebe:
sie sagen: „ICH BIN DA!“ – ungeschützt und wehrlos, ohne gönnerhaftes Gehabe und großes Gebaren, sondern in schlichter, zugewandter Geste, die offener, demütiger und liebevoller nicht sein könnte …

In der neuen Reihe haben wir ausgewählte Personen gebeten, ihr persönliches Lieblingsbild (Gemälde, Foto, Zeichnung, Druck) „in den Blick zu nehmen“ und dazu etwas zu schreiben. An jedem Fastensonntag erscheint nun ein ganz persönlicher Beitrag zu einem Bild.

Wie kam es zu dieser Idee? Ein Kunstwerk zu betrachten, sich damit auseinander zu setzen, hineingezogen zu werden, das kann glücklich machen, davon sind wir, das Redaktionsteam des Blogs „Akademie in den Häusern“, überzeugt. Aber auch die Perspektive zu wechseln und den Horizont zu erweitern, bringt uns dem Glück und der Zufriedenheit ein entscheidendes Stückchen näher. Die unterschiedlichen Bilder, die in dieser kleinen Reihe gezeigt werden, laden uns ein, genauer hinzusehen und wahrzunehmen, was ist. Auf diesen Perspektivenwechsel in der Fastenzeit freuen wir uns! Lassen Sie sich, genau wie wir, mit allen Sinnen ansprechen.

Ausschnitt der Barlach-Skulptur „Lehrender Christus“ aus der Gertrudenkapelle in Güstrow
Das Foto ist bei einem Besuch der Kapelle von Sr. Petra Maria entstanden.

21. Februar 2021|| ein Beitrag von Sr. Petra Maria Hothum SND

Schwester Unserer Lieben Frau, Diplomtheologin, Exerzitien- und Meditationsleiterin, Trainerin für Gruppendynamik

Nach mehreren eigenen Aufenthalten im Ashram Jesu verlegte Sr. Petra Maria 2007 ihren Arbeitsschwerpunkt in den Ashram Jesu, wo sie heute lebt und – gemeinsam und in Abwechslung mit P. Dickerhof – Kurse des Ashram Jesu leitet.