Fatale Predigt einer Wanze von Harald Nägli

Das ist ein altes Thema: Der Totentanz. Harald Nägli hat sich viel damit beschäftigt. Nägli, auch bekannt als der „Sprayer von Zürich“, hat seine Totentanz-Bilder an unzähligen Orten hinterlassen. Mit Hilfe von Spraydosen an öffentlichen und privaten historischen Gebäuden angebracht. Öffentlichkeit und Behörden sahen in seinen Bildern eine illegale und böswillige Sachbeschädigung. Intellektuelle und Künstler dagegen erkannten ihren künstlerischen Wert.

Auch in Köln gibt es eine Arbeit von Harald Nägli. Das gesprayte Totentanz-Skelett an der östlichen Außenwand der romanischen Kirche St. Cäcilien. Das Werk gehört heute zum kostbaren Inventar des dort beheimateten Schnütgenmuseums. Immer und immer wieder hat Harald Nägli dieses Thema beschäftigt, das seit dem 14. Jahrhundert zur christlichen Ikonographie gehört.

Dargestellt wird beim Makabertanz (französisch: Danse macabre) der Einfluss des Todes auf das Leben, die Macht des Todes. In allem Leben ist der Tod schon gegenwärtig. Die bildliche Darstellung des tanzenden toten Sklettes erinnert daran, dass in allem Leben der Tod gesehen und bedacht werden soll.

Die hier abgebildete schöne kleine Arbeit bekam ich von Harald Nägli 2015 in Düsseldorf geschenkt. Die alte, predigende, kaum sichtbare schwarze Wanze im Hintergrund ist mit einem tanzenden Skelett überzeichnet. Ein typisches Werk Näglis. Witzig, leichtfüßig, heiter tanzt hier der Tod. Die verhängnisvoll und schwerwiegend predigende Wanze wird von der Leichtigkeit des tanzenden Todes belacht. Nägli macht sich lustig über all die wortschweren Predigten, er kommentiert sie mit der alles überdeckenden Wirklichkeit des Todes.

In der neuen Reihe haben wir ausgewählte Personen gebeten, ihr persönliches Lieblingsbild (Gemälde, Foto, Zeichnung, Druck) „in den Blick zu nehmen“ und dazu etwas zu schreiben. An jedem Fastensonntag erscheint nun ein ganz persönlicher Beitrag zu einem Bild.

Wie kam es zu dieser Idee? Ein Kunstwerk zu betrachten, sich damit auseinander zu setzen, hineingezogen zu werden, das kann glücklich machen, davon sind wir, das Redaktionsteam des Blogs „Akademie in den Häusern“, überzeugt. Aber auch die Perspektive zu wechseln und den Horizont zu erweitern, bringt uns dem Glück und der Zufriedenheit ein entscheidendes Stückchen näher. Die unterschiedlichen Bilder, die in dieser kleinen Reihe gezeigt werden, laden uns ein, genauer hinzusehen und wahrzunehmen, was ist. Auf diesen Perspektivenwechsel in der Fastenzeit freuen wir uns! Lassen Sie sich, genau wie wir, mit allen Sinnen ansprechen.

Fatale Predigt einer Wanze von Harald Nägli
1. November 2015, überarbeitet 16. Januar 2016, 16×12 cm, Wachsmalstift und Kreide auf Papier

28. Februar 2021 || ein Beitrag von Dr. Dominik Meiering, Theologe, Kunsthistoriker und leitender Pfarrer Köln-Mitte

Dominik Meiering