IHS – in hoc signo: Ignatius von Loyola und die frühen Kölner Jesuiten

Man muss sich den jungen Íñigo López de Loyola wohl als Haudegen und Lebemann vorstellen. Als letztes und zwölftes Kind des Don Beltrán Yáñez de Oñez y Loyola und dessen Ehefrau Marina Sáez de Licona y Balda am 31. Mai 1491 auf Schloss Loyola bei Azpeitia, Navarra, geboren, wurde der Knabe nach dem Kindsbetttod seiner Mutter von der Gattin eines Schmieds aufgezogen. Bis zum Tod seines Vaters im Jahr 1507 diente Íñigo López als Page am Hof des Juan Velázquez de Cuéllar. Íñigo hatte also das eiserne Handwerk und die strenge spanische Etikette gleichermaßen schon mit der Stiefmuttermilch aufgesaugt. Im für einen spätmittelalterlichen spanischen Adligen eher fortgeschrittenen Alter von 26 Jahren schloss er sich im August 1517 unter Herzog von Nájera und Vizekönig von Navarra, Antonio Manrique de Lara, dem Militär an.

Doch vier Jahre später trat die entscheidende Wende seines Lebens ein. Während der Verteidigung Pamplonas gegen französische Truppen wurde Íñigo am 20. Mai 1521 durch eine steinerne Kanonenkugel derart schwer am Bein verletzt, dass er sich wochenlang im Kloster Montserrat zum Sterben getroffen auf dem Krankenlager wiederfand. Seinem Lebensbericht zufolge hatte eine ihn dort versorgende Ordensschwester die Gelegenheit erfasst und die Gedanken des außer Gefecht gesetzten Heißsporns auf den Pfad der Läuterung gebracht. Lektüre war die einzige Möglichkeit, um die konträr zum Lauf der schleichenden Genesung galoppierende Langeweile zu vertreiben. So ließ die fromme Dame dem Íñigo López de Loyola statt der sonst an den Höfen üblichen Romanzen und Aventüren ausschließlich Erbauungsliteratur zukommen. Darunter auch Thomas a Kempis‘ „Imitatio Christi“, die allein damit wohl die einflussreichste mystische Schrift aus dem 15. Jahrhundert genannt werden darf. Denn von nun war alles anders. Der Rilkesche Appell, „Du musst dein Leben ändern!“, war der anachronistische Weckruf, der dem Verwundeten aus dem Buchrücken scholl. 1522 verließ Íñigo López de Loyola, der als Ritter und Edelmann gekommen war, das Kloster Montserrat als Bettler und Pilger und wurde zum heiligen Ignatius von Loyola. Seine Waffen ließ Íñigo am Altar der Klosterkirche zurück.

Man hat den Eindruck, das gleiche Charisma und die gleiche militärische Disziplin, die den anscheinend immer höchst gepflegt auftretenden Íñigo López de Loyola zu galanten und kriegerischen Dingen befähigten, ermächtigten ihn nun zur zielgerichteten Gründung des Jesuitenordens, welcher in atemberaubender Schnelligkeit sein missionarisches Wesen in alle Welt, und innerhalb Deutschlands seine katholisch-evangelikale Militanz verbreiten konnte. Nicht von ungefähr ließ sich Ignatius später als Primas des Ordens „Generaloberer“ (Prepósito General de la Compañía de Jesús) nennen. Allein die Bezeichnung war neu in der abendländischen Ordensgeschichte.

Nach einem Jahr Büßertum in Manresa, wo Ignatius seine für die gesamte Missionstätigkeit der Jesuiten grundlegenden „Exerzitien“ entwickelte, pilgerte er 1523 ins Heilige Land. Ab 1524 holte er in Barcelona ein Studium der artes liberales nach, was ihn erst zum höheren theologischen Studium befähigte. Von der spanischen Inquisition wegen seiner „modernen“ Ansichten beargwöhnt, wechselte er 1527 an die Universität Salamanca. Dort sogar von der Inquisition nach „ernster Befragung“ – was wohl „Folter“ bedeutete – für mehrere Wochen inhaftiert, folgte die Flucht nach Frankreich und damit an die damals liberalste Universität Europas, die Sorbonne. In Paris lebte er in Gemeinschaft mit dem Savoyer Pierre Favre (Petrus Faber) und dem ebenfalls aus Spanien stammenden Francisco de Xavier (Fanziskus Xaverius). Die Drei freundeten sich an. Gemeinsam mit vier weiteren Kommilitonen gelobten sie gemeinsam 1534 auf dem Montmartre Armut, Keuschheit und Gehorsam. Damit war die Compañía de Jesús, die Gemeinschaft der Jesuiten gegründet. Als viertes Gelübde hatten die Gefährten im Schatten der frühen Reformation auch das des unbedingten Gehorsams gegenüber dem Papst dazugenommen. Dieses vierte, spezifisch jesuitische Gelübde sollte später, allerdings aufgrund einer eigenen Wortschöpfung Ignatius‘, als „Kadavergehorsam“ verächtlich klingen. 1536 feierte Ignatius de Loyola als wahrlich spätberufener Mittvierziger seine Primiz. 1540 wurde der Orden mittels Bulle durch Papst Paul III. bestätigt.

Es ließe sich nun sehr viel mehr über die gänzlich andere Ausrichtung der Jesuiten gegenüber der bisherigen christlichen Ordenstradition sagen. Ausführungen über den Verzicht auf gemeinsames Ordensgebet und Ordenstracht gehörten dazu, oder die Darlegung des Subsidiaritätsprinzips, das der Orden immer bei seiner weltweiten Missionstätigkeit vertreten hat; seine Rolle bei der Ausbildung des allgemeinen Schulwesens oder der Einführung des Theaterspiels für Unterrichtszwecke gehörten dazu und vieles mehr. Hier sollen lediglich die Effizienz der jungen Gemeinschaft im Schlaglicht Kölns dargelegt werden.

Petrus Faber, also einer der Männer der allersten Ordensstunde, hatte 1541 auf Einladung Kaiser Karls V. am Wormser und Regensburger Religionsgespräch teilgenommen. Diese waren angesichts der frühen Reformation eine Art Schlichtungsverhandlungen zwischen den katholischen und evangelischen Reichsständen. In weiterer Folge der Verhandlungen ging Petrus Faber auf Exerzitienreise durch die Bistümer Speyer, Mainz und Köln. In Mainz nahm 1543 der junge Niederländer Pieter Kanijs, später „Petrus Canisius“, an Fabers Exerzitien teil. Pieter legte bei dieser Gelegenheit im Pfarrhaus der Mainzer St. Christophkirche in Peters Hände die jesuitischen Ordensgelübde ab. Pieter de Hondt, wie der Sohn des Bürgermeisters von Nijmegen auch genannt wurde, war fünf Jahre zuvor in Köln immatrikuliert worden und hatte dort bei geistlichen Übungen in seiner Burse wiederum den Prior des Kölner Kartäuserklosters St. Barbara, Gerhard Kalckbrenner, kennengelernt. Und hier schließt sich ein Kreis. Denn im selben Jahr 1543 lud eben jener Prior Kalckbrenner aus Sorge um die Reformationsbestrebungen des Kölner Erzbischofs Hermann V. von Wied – welcher nebenbei gesagt 1520 noch die Schiften Luthers öffentlich hatte verbrennen lassen – den mittlerweile in Deutschland recht bekannten Petrus Faber zu Vorträgen und Exerzitien nach Köln ein und leitete somit die ein Jahr später erfolgte Gründung der ersten Jesuitenkommunität Deutschlands ein. Zu den jungen Theologen, die Petrus Faber 1544 in der Kölner Gemeinschaft Jesu zusammenführte, gehörte als Mann der zweiten Ordensstunde – Petrus Canisius. Dieser lief nun selbst einen steilen Weg auf der breiten Straße des Erfolgs der Jesuiten. 1547 wurde er als aktiver Teilnehmer ans katholische Reformkonzil von Trient berufen. 1556-59 war Canisius der erste deutsche Ordensprovinzial der Jesuiten und damit Garant der führenden Rolle der Jesuiten bei der Gegenreformation in Deutschland.

Aber auch die Rolle Gerhard Kalckbrenners bei der Ansiedlung des Ordens in Köln und Deutschland darf nicht unterschätzt werden. Im persönlichen Austausch Kalckbrenners mit dem mittlerweile als Praepositus Generalis in Rom weilenden Ignatius von Loyola wird das Verhältnis beider – des Kölner Katholizismus und des Jesuitenordens – als das eines des wechselseitigen Gebens und Nehmens deutlich. In Köln hatten sich zwar nach der Absetzung des „abtrünnigen“ Erzbischofs Hermann von Wied die altgläubigen Verhältnisse durchgesetzt. Verweltlichungstendenzen der dann aber nacheinander als die neuen Kur-Erzbischöfe regierenden und mehr dem holden als dem geistlichen Leben zugetanen Brüder Adolf und Anton von Schaumburg, hatten dem Kartäuser-Prior aber die Sorge vor dem ja auch Macht und Prunk der römischen Kirche attackierenden Reformatorentums nicht nehmen können. In einem Brief vom 27.09.1554 formulierte Kalckbrenner gegenüber Ignatius von Loyola inständig den Wunsch nach Gründung einer ortsfesten Jesuitenkommunität in Köln. Sie sollte vergleichbar den Bettelorden des 13. Jahrhunderts die innere Mission, also die spezifisch jesuitische Art einer gegenreformatorischen „Citypastorals“, dauerhaft übernehmen. Im selben Brief kündigte Kalckbrenner seine Unterstützung der in Finanznöten geratenen Societas Jesu mit 500 Goldgulden an. Als Gegenleistung wünschte sich der Prior weder Dank noch Brief, sondern nur die Fortsetzung der Gebets- und Opfergemeinschaft durch die Jesuiten.

Wenn die Jesuiten recht bald als die Speerspitze der Gegenreformation in Deutschland bezeichnet wurden, so kann man sagen, waren Prior Kalckbrenner und Petrus Canisius die Werfer dieses Gers. Sichtbarer Ausdruck dieser Kölner Führungsrolle wurde die 1618, im ersten Jahr des Dreißigjährigen Kriegs begonnene St. Mariä Himmelfahrtskirche in der Marzellenstraße. Dies ist immerhin die bedeutendste Barockkirche im Westen Deutschlands und Gründungsbau eines spezifisch rheinisch-historisierenden, also prokatholisch-nachgotischen Barocks. Der von Kölns Erzbischof Ferdinand von Bayern und dessen Bruder Kurfürst Maximilian von Bayern finanzierte Bau wurde expressis verbis als „monumentum Bavariae pietatis“, also als Monument der Bayerischen, sprich: stramm römisch-katholischen Frömmigkeit projektiert.

Bildnachweis:
Köln, Dom, Sakristei, Porträt von Erzbischof Karl Josef Kardinal Schulte, Gesamtansicht
© Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk

Zweites Porträt von Erzbischof Karl Josef Kardinal Schulte © George Grantham Bain Collection (Library of Congress) – ID ggbain.32010

Erster Spatenstich für das neue Priesterseminar durch Kardinal Schulte, 27.04.1926, aus Thomas-Morus-Journal November 1993. 40 Jahre Thomas-Morus-Akadmie, S. 44

31. Juli 2020 || ein Beitrag des Kunsthistorikers und Germanisten Markus Juraschek-Eckstein