Gesellschaftliche Wirklichkeit. Prostitution.

Prostitution ist eine gesellschaftliche Realität. Wegen der coronabedingten Schließung der Bordelle bis Anfang September hat sich die Prostitution hauptsächlich in illegale und unregulierte Bereiche verlagert, wo Frauen weniger geschützt waren. Das Pascha, eines der größten Bordelle in Europa, hat nun auf Grund der Schließung Insolvenz angemeldet. Der Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Köln engagiert sich seit seiner Gründung im Jahr 1900 für Prostituierte. Zur Prostituiertenhilfe gehören heute die Begleitung von Frauen auf dem betreuten Straßenstrich an der Geestemünder Straße, die aufsuchende Arbeit auf dem Straßenstrich im Kölner Süden, in Clubs und Bordellen und, die Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen Rahab und das Arbeitsvermittlungsangebot Rahab+.

Über die aktuellen Nöte der Frauen und die unterstützende Arbeit des SkF sprachen wir mit Monika Kleine, Geschäftsführerin des SkF e.V. Köln.

Zu Beginn des Interviews gab Monika Kleine einige Bemerkungen zur Einordnung der Prostitution in Deutschland.

Man muss sich, bevor man die aktuelle Situation beleuchtet, bewusst zu machen, dass um die Prostitution in Deutschland seit Jahren erbittert gestritten wird und Begriffe wie Prostitution, Zwangsprostitution und Menschenhandel seit Jahren synonym genutzt werden. Dabei ist Prostitution sehr vielfältig. In der Prostitution arbeiten Frauen, Männer und Transpersonen. Prostitution findet in Wohnungen, Hotels, Clubs, Bordellen, Wohnwagen, auf der Straße, aber auch im Internet statt. Es gibt Frauen und Männer, die gelegentlich in der Prostitution arbeiten und einem anderen Beruf nachgehen und solche, die dauerhaft anschaffen gehen müssen, weil sie Geld für Drogen benötigen oder ihre Familie in Deutschland oder auch im Ausland ernähren müssen.

Mit dem Prostitutionsgesetz sollte 2001 in drei Paragraphen die sozialrechtliche Absicherung von Prostituierten geregelt werden. Dieser Versuch ist nicht zuletzt daran gescheitert, dass das Prostitutionsgesetz in jedem Bundesland und in jeder Stadt anders ausgelegt wurde. Seit Sommer 2017 sieht das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) eine verbindliche gesundheitliche und soziale Beratung sowie eine Anmeldung der Prostituierten unter Angabe aller personenbezogenen Daten vor. Zugleich, und das ist ausdrücklich zu begrüßen, wurde die gesetzliche Grundlage für die verstärkte Kontrolle und Reglementierung von Bordellbetrieben geschaffen.

Mit dem ProstSchG werden alle offiziell angemeldeten Prostituierten und Bordellbetriebe zudem beim Bundesamt für Statistik erfasst, um endlich valide Daten zum Ausmaß der Prostitution in Deutschland zu erhalten. Das ist umso wichtiger, als die politisch-gesellschaftliche, rechtliche und auch moralische Debatte um Prostitution in den vergangenen Jahrzehnten nur auf der Grundlage von Schätzungen geführt wird, die zwischen gut 100.000 und bis zu 700.000 Prostituierten reichten.

Die ersten Daten, die nun vorliegen, zeigen eine deutliche Diskrepanz zu den Schätzungen. So wurden dem Bundesamt für Statistik zum 31.12.2019 40.369 Prostituierte und 2.167 Prostitutionsbetriebe von den Bundesländern gemeldet.

Dabei muss man wissen, dass ein Bordell wie das Pascha in Köln die Auflagen des ProstSchG vermutlich eher einhalten und darauf drängen wird, dass sich die dort arbeitenden Frauen auch anmelden. Auch wir, als Träger von Angeboten aus dem Feld der Prostituiertenhilfe drängen die von uns begleiteten Frauen dazu, sich anzumelden, um ordnungsrechtlichen Sanktionen zu entgehen, und können z.B. für den von uns betreuten Straßenstrich an der Geestemünder Straße sicherstellen, dass alle Frauen angemeldet sind.

Trotzdem ist davon auszugehen, dass sich viele Prostituierte gegen die Anmeldung entscheiden, entweder, weil sie Angst vor Entdeckung haben, ohnehin nur gelegentlich arbeiten oder sich wie viele suchtkranke Frauen nicht als Sexarbeiterinnen begreifen.

Wie können Frauen in ihrer Arbeit unterstützt werden, die die Prostitution weiter ausüben wollen/müssen und ohne das Bordell Pascha nun einen sicheren Ort verlieren?

Das Pascha ist, wie oben ausgeführt, nur ein Bordellbetrieb unter mehr als 50, die in Köln offiziell angemeldet sind. Die Geschäftsleitung des Pascha hat Insolvenz angemeldet, ob das das tatsächliche Aus bedeutet, vermögen Ihnen aber nur die Verantwortlichen zu sagen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Prostituiertenhilfe betreuen weniger die Frauen im Pascha, sondern sind vielmehr für den betreuten Straßenstrich an der Geestemünder Straße zuständig, der mit Beschluss des Rates der Stadt Köln 2001 eingerichtet, vornehmlich suchtkranken, drogenkonsumierenden und anderweitig hoch belasteten Frauen eine sichere Arbeit ermöglicht. Darüber hinaus arbeiten wir aufsuchend in Clubs, Bordellen, auf dem Straßenstrich im Kölner Süden oder mit den Frauen, die Kneipen etc. zur Anbahnung in einigen innerstädtischen Bereichen wie dem Eigelstein nutzen – diese Frauen begleiten wir in ihrem Leben und in der Arbeit. So können wir beispielsweise mit dem Orientierungsgespräch beim ersten Besuch auf der Geestemünder Straße herausfinden, ob die Frauen dort arbeiten wollen, weil sie akut in Geldnöten sind oder welche anderen Motive sie haben. Geht es nur um eine akute Notlage kann eine Vermittlung in eine geeignete Hilfe den Einstieg verhindern. Üblicher ist die langfristige Begleitung im Alltag, das Mit-Leben, in dem wir für alle Themen da sind: Vom Lebensmittelpaket jetzt während der Corona-Pandemie als Prostitution verboten war über familiäre Probleme bis hin zur Vermittlung in die Steuerberatung bei Steuerschulden. Über dieses Mit-Leben kommt dann oft der Moment, in dem Frauen ihren Ausstiegswillen bekunden und um Hilfe für den weiteren langen und beschwerlichen Weg aus der Sucht, den Schulden, den familiären Problemen und der Prostitution bitten.

Wie helfen und unterstützen Sie Frauen, die aus der Prostitution aussteigen möchten?

Auch beim Ausstieg sind die Grenzen fließend. Wir sind da für Frauen, die Prostitution arbeiten wollen genauso wie für ausstiegswillige Frauen und solche, die nach einem Ausstieg wieder einsteigen, weil das Leben in der Prostitution mit seinen Regeln und Anforderungen leichter zu bewältigen ist als das Leben außerhalb der vertrauten Szene.

Wir sind glaubwürdig, weil wir den Frauen keine Wahrheiten vorgeben, sondern hören, was ihre Wahrheit ist. Aus dieser Haltung heraus entwickeln wir individuell mit den Frauen die Perspektiven für den Ausstieg. Man muss sich bewusst machen, dass das Angebot „Sie steigen aus und wir sorgen dafür, dass Sie dann von Hartz IV leben“ – kein Angebot ist. Ein Angebot muss sich immer mit einer Lebensperspektive, mit der Aussicht auf eine eigenständig zu gestaltende Zukunft verbinden. Daher brauchen wir niedrigschwellige Zugänge in das Hilfesystem, in dem sichergestellt sein muss, dass die Betroffenen sich nicht immer wieder und immer neu als Prostituierte outen müssen.

Diesen Prämissen und Grundüberzeugungen folgt auch unser neues Angebot. Im Auftrag bzw. in Kooperation mit der Stadt Köln und dem Jobcenter Köln haben wir mit Rahab+ ein Modul zur Arbeitsmarktvermittlung für ausstiegswillige Prostituierte entwickelt. Viele der von uns betreuten Frauen haben die Schule und eine Ausbildung abgeschlossen, wollen aber in den erlernten Berufen nicht mehr arbeiten, andere haben weder eine schulische noch eine berufliche Ausbildung und müssen erst einmal die Grundlagen für eine Berufstätigkeit legen. Bei Rahab+ stehen die Wünsche und Vorerfahrungen der Frauen im Mittelpunkt nicht die Defizite oder die Anforderungen des Marktes. Welche Arbeit wollen Sie zukünftig ausüben und was ist dazu notwendig, um dieses Ziel zu erreichen? – das ist die handlungsleitende Frage. Mit Rahab+ können wir mit allen Frauen ihren Weg gehen – von der Vermittlung in einen Sprachkurs bis zum Erstellen von Bewerbungsunterlagen, in denen die Lücken im Lebenslauf gut begründet werden und selbst nach der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt bleiben wir noch so lange an der Seite der Frauen bis sie uns nicht mehr brauchen.

Was sind aktuell die Nöte der Frauen?

Vor der Corona-Pandemie und dem folgenden Prostitutionsverbot waren Schulden und Steuerschulden, Überforderung mit der Regelung von Behördenangelegenheiten, Probleme in der Familie oder Partnerschaft oder die Sicherung des Wohnraums wichtige Themen in unserer Beratungsstelle Rahab. Durchschnittlich haben wir pro Jahr bei Rahab 100 unterschiedliche Frauen längerfristig begleitet, seit Anfang 2020 waren es bereits 130 Frauen, davon alleine fast 90 seit Mitte März 2020. Während des Pandemie-bedingten Prostitutionsverbotes kamen die Frauen mit ganz existentiellen Themen resultierend aus akutem Geldmangel. Deshalb haben wir sie mit Lebensmittelgutscheinen oder -paketen und anderen Dingen des täglichen Bedarfs versorgt, ihnen mit der Aufstockung des Handyguthabens geholfen, mit der Familie im Ausland im Kontakt zu bleiben oder ihnen bei der Finanzierung der Heimreise geholfen. Mit der Beantragung von Hartz IV-Leistungen konnten wir dazu beitragen, den Wohnraum und die Existenz auch längerfristig zu sichern.

In vielen europäischen Ländern gilt ein Prostitutionsverbot. Warum nicht in Deutschland? Welche andere Lösung schlagen Sie vor?

Seit Mitte März war Prostitution in Deutschland verboten. Sie hat aber weiter stattgefunden. Manche Prostituierte haben ihre Arbeit ins Internet verlegt, andere haben sich mit den Freiern in deren Wohnung, in Hotels oder an anderen Orten getroffen. Niemand war geschützt, weder vor dem Virus noch vor gewaltsamen Übergriffen und niemand konnte sich wehren, weil man dann zugegeben hätte, gegen das Prostitutionsverbot verstoßen zu haben.

Corona hat gezeigt, dass man Prostitution nicht verbieten kann oder ein Verbot wenig bringt. Die zum Erfolg des vielbeschworenen „Nordischen Modells“ der Freierbestrafung – faktisch ein Prostitutionsverbot – vorliegenden Studien hat der Wissenschaftliche Dienst in einer Auswertung, die im Dezember 2019 veröffentlicht wurde, als zum Teil widersprüchlich und damit wenig valide bezeichnet.

Wir wollen kein Prostitutionsverbot, sondern mehr Kontrollen von Bordellen und Prostitutionsbetrieben, eine konsequente Ausleuchtung des Dunkelfeldes, zuverlässige Hilfen für Prostituierte, gleichgültig, ob sie weiterarbeiten oder aussteigen wollen und vor allem gesellschaftliche Akzeptanz für ihre jeweilige Entscheidung.

Grundsätzlich brauchen wir in Deutschland und vor allem in Europa echte Anstrengungen zur Armutsbekämpfung. Verhältnisse wie in den Zerlegebetrieben von Tönnies, auf Spargel- und Erdbeerfeldern oder auch in der Prostitution sind doch nur möglich, weil das Armuts- bzw. Reichtumsgefälle in Europa so groß ist.

Sehr geehrte Frau Kleine, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.

30. September 2020 || ein Interview mit Monika Kleine, Geschäftsführerin des SkF e.V. Köln