Geht uns mit Corona die soziale Energie aus? Perspektiven des Soziologen Hartmut Rosa

Auf ein lesenswertes Interview des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa unter der Überschrift „Leiden wir an einem gemeinschaftlichen Burn-out“ machte uns ein Leser unseres Blogs aufmerksam. Gern nehmen wir diesen Hinweis auf. Denn mit seinen Ausführungen über das Bedürfnis der Menschen nach Resonanz und ihrer Sehnsucht nach Orten und Zeiten, an denen sie nicht unter einem Optimierungsdruck stehen, hat Rosa bereits wichtige soziologische Akzente setzen können. Nun beschreibt der Soziologe Indizien für eine möglichen gesellschaftlichen Burn-out, der durch die Wirkungen der Corona-Pandemie ausgelöst werden könnte.


Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Gesellschaft aus?

Eine kurze soziologische Perspektive

In einem Gespräch, das die ZEIT-Journalistin Elisabeth Thadden führte, befürchtet Hartmut Rosa, dass der Gesellschaft die soziale Energie ausgeht. Er skizziert dies an dem Phänomen, dass sich viele Menschen auf unbestimmte Weise müde und träge fühlen, als überziehe eine Art Mehltau ihre Wahrnehmungen und dass sie unter dem Eindruck stehen, nicht mehr das schaffen zu können, was sie eigentlich schaffen müssten oder was sie gern tun würden.

Der Jenaer Soziologe sieht darin nicht etwas Individuelles, nur in der persönlichen Erfahrung des Einzelnen Liegendes. Vielmehr tangiert diese Erfahrung, so Rosa, die gesamte Gesellschaft. Diese Einschätzung hat ihn, weil dazu noch keine klaren Erkenntnisse in der Soziologie vorliegen, bewegt, dies entsprechend weiter zu überdenken und zu bearbeiten.

Gerade die Stillstellung der Welt im Lockdown hat ihm deutlich gemacht, dass die Gesellschaft „energiegeladen“ war und sich fast alle ständig fortbewegten – beruflich, privat, im Urlaub. Nun hat die Corona-Pandemie aber indiziert, den räumlichen Horizont zu reduzieren. „Wir kreisen konzentrisch um unsere Wohnorte, oft sogar zu Fuß oder auf dem Rad, in einer Mischung aus Angst und Misstrauen.“ In der Erfahrung einer großen Mehrheit der Menschen hat sich die Kurve der Infektionen vor allem durch individuelles Unterlassen gesenkt. „Wir haben kaum gespürt, dass wir durch Interaktionen, durch gemeinsames Handeln, durch soziale Wechselbeziehungen, durch Bewegung und Tätigkeit neue soziale Energie erzeugen. Das abendliche Klatschen und das Maskennähen reicht dafür nicht.“ So ist die Frage, wie eine Gesellschaft ihre soziale Energie erzeugt, zu neuer kommt, dringend zu stellen und zu beantworten.

Lesen Sie hier das Interview, das Fragen aufwirft, Akzente setzt, die es zu diskutieren gilt und am 13. Juni 2020 auf ZEITonline erschienen ist.

23. Juni 2020 || Die Lektüre des Interviews empfiehlt das Akademieteam.