Der Real Alcázar in Sevilla

Das Leben als Kunstwerk: Bob Dylan zum 80. Geburtstag

Über Bob Dylan ist alles gesagt. Von allen, und auch von mir. Schon vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle das Lebenswerk des Robert Allen Zimmerman gewürdigt. Sicher: Dylan wäre nicht Dylan, wenn er nicht auch in seinem 80. Lebensjahr noch eine Überraschung bereithielte. So veröffentlichte er im Juni 2020 mit „Rough and rowdy ways“ ein weiteres, allseits hochgelobtes Album – das nunmehr 39. Studioalbum in seiner fast sechs Jahrzehnte umfassenden Schaffenszeit und das erste mit neuen Eigenkompositionen seit acht Jahren.

Im Dezember wurde dann bekannt, dass Dylan die Rechte an seinem über 600 Titeln umfassenden Songkatalog an die Universal Music Group verkauft hat, wobei die New York Times den Preis für diesen „vermutlich größten Erwerb von Verlagsrechten eines einzelnen Künstlers“ auf über 300 Millionen US-Dollar schätzt. Auch mit diesem Schritt erwies sich Dylan einmal mehr als Trendsetter, verkauften in den folgenden Monaten doch auch weitere Pop-Musiker wie Neil Young, Shakira und die Red Hot Chili Peppers ihre Songrechte.

Preise, Ehrungen und Auszeichnungen

Interessanterweise hat diese kommerzielle Transaktion dem Nimbus Dylans, der seine Karriere in den frühen 1960er Jahren als Protestsänger und Stimme der Gegenkultur begann, wenig anhaben können. Das Lebenswerk dieses wohl wichtigsten Tondichters der Gegenwart ist über alle Zweifel erhaben und mit zahllosen Auszeichnungen geehrt worden: zehn Grammys, ein Golden Globe Award, ein Oscar, Pulitzer-Preis, Presidential Medal of Freedom, National Medal of Arts, zwei Ehrendoktortitel, der spanische Prinz-von-Asturien-Preis, der Orden der französischen Ehrenlegion und schließlich 2016 der Literaturnobelpreis „für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“. Sogar ein Asteroid ist nach Bob Dylan benannt worden.

Sechs Jahrzehnte für die Kunst
In den sechs Jahrzehnten, die seit seinen ersten Aufnahmen verstrichen sind, hat Dylan sämtliche Höhen und Tiefen eines Künstlerdaseins durchlebt. Er hat mit zahllosen namhaften Kolleginnen und Kollegen seiner Zunft zusammengearbeitet, hat für Könige, Präsidenten und im Jahr 1997 sogar für den Papst musiziert, was dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, sehr missfallen haben soll.

Dylan hat Alben mit Protestsongs aufgenommen, versponnen-verrätselte Kunstlieder geschrieben und das Scheitern seiner Ehe höchst produktiv zu großer Tonkunst verarbeitet. Er hat das „Great American Songbook“ mit neuem Leben gefüllt und sich zugleich aus ihm bedient. Dylan hat eine Platte mit Weihnachtsliedern gemacht und den Erlös gespendet, und er hat eine (ziemlich verrissene) Platte mit Interpretationen alter Frank-Sinatra-Klassiker eingespielt und den Erlös behalten. Auch eine erfolgreiche und recht unterhaltsame Radioshow hat er moderiert und dabei sein stupendes Musikwissen zur Schau gestellt.

Abseits seines angestammten Terrains als „song and dance man“ hat Dylan mittlerweile acht Kunstbände mit Gemälden und Zeichnungen veröffentlicht und in einigen renommierten Galerien ausgestellt. Den ersten Band seiner als dreibändiges Werk angelegten Memoiren veröffentlichte Dylan 2004 – auf die beiden folgenden wartet die Welt bis heute. Dabei ist keineswegs ausgeschlossen, dass diese noch erscheinen werden.

Ehrfurcht und Ironie
Angesichts eines derart monumentalen Lebenswerkes verwundert es nicht, dass sich die Welt dem Meister, der als Shakespeare unserer Zeit bezeichnet wurde, nur noch in großer Ehrfurcht nähern oder ihn aus ironischer Halbdistanz betrachten kann. Wer also am heutigen Tage etwas über Dylan schreibt, stellt ihn entweder auf ein Podest neben Vergil, Homer und Dante oder sucht eine möglichst wenig bekannte Dylan-Komposition, um an dieser die wahre Meisterschaft ihres Schöpfers zu feiern. Bekannte Dylan-Titel wie etwa „Blowin in the wind“ oder „Like a rolling stone“ darf man – so hat es den Anschein – allenfalls in einer der vielen, teilweise stark verfremdeten Live-Interpretationen preisen.

Wenn Sie also heute mitreden wollen, suchen Sie sich auf YouTube eine mindestens zehn Jahre alte, verwackelte Aufnahme von „Tangled Up in Blue“ oder „Don’t think twice, it’s all right“ – möglichst von einem Konzert an einem etwas abseitigen Ort wie etwa Trondheim oder Sevilla und behaupten dann steif und fest, darin zeige sich das ganze Genie des Komponisten und Performers Bob Dylan. Wenn Sie ganz mutig sind, fügen Sie dann noch hinzu, dass unter den Studioalben wohl nur die drei Werke aus seiner christlich-evangelikalen Periode in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren dauerhaft Bestand haben werden.

„I contain multitudes“
Aber in Zeiten des andauernden Lockdowns kann man sich von Festgesellschaften ungestraft fernhalten, die einen in derartige Verlegenheiten bringen könnten. Ich werde jedenfalls heute versuchen, einfach noch mal ein paar meiner Lieblingslieder aus Dylans Feder zu hören, möglichst unbefangen zu lauschen und mich daran zu erinnern, wie sie auf mich wirkten, als ich sie zum ersten Mal hörte. Auch werde ich in dem fetten Wälzer schmökern, den mein Bruder mir vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt hat, und in dem jeder Dylan-Song mit Aufnahmedaten, beteiligten Musikern und verwendeten Instrumenten beschrieben ist. Kopfschüttelnd werde ich hin- und herblätternd die vielen Wendungen und Verwandlungen des Kunstwerks nachvollziehen, zu dem Robert Allen Zimmerman sich in seinem nunmehr 80 Jahre währenden Leben gemacht hat.

Und wenn mir angesichts der vielen Phasen und Facetten dieses Ausnahmekünstlerlebens der Kopf zu schwirren droht, werde ich mich an den Song aus dem vergangenen Jahr erinnern, in dem Dylan – den amerikanischen Dichter Walt Whitman zitierend – wunderbar achselzuckend erklärte: „I contain multitudes“.

Ad multos annos, Bob!

Bildnachweise:

Forever young. Bild: FunGi_ (Trading) auf Flickr (CC BY-SA 2.0)

Bob Dylan mit Joan Baez beim March on Washington, August 1963. Bild: Rowland Scherman – U.S. National Archives and Records Administration, public domain

Bob Dylan bei Barack und Michelle Obama im Weißen Haus, 9. Februar 2010. Bild: Official White House Photo by Pete Souza – Flickr, public domain

Ein mürrischer „song and dance man“. Bild: Richard Mcall auf Pixabay, gemeinfrei

24. Mai 2021 || ein Beitrag von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent

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