Die Walpurgisnacht auf dem Blocksberg

Nach einem alten Volksglauben kommen in der Walpurgisnacht die Hexen auf dem Blocksberg zusammen. Mit diesem Blocksberg ist ein Aufenthaltsort nächtlicher Geister und Hexen gemeint, der in dieser Bedeutung allerdings in der Schreibung brockesberg sich erstmals für das 14. Jahrhundert belegen läßt. Gleich zahlreiche Lokalisierungen dieses Ortes finden sich und mehrere Berge dieses oder eines ähnlichen Namens wurden mit ihm identifiziert. Seit dem 17. Jahrhundert konzentrieren sich die Deutungen im deutschen Sprachraum auf dem Brocken im Harz. Dabei spielt die Lautverschiebung zwischen L & R also Block oder Brock(en) eine entscheidende Rolle, was schon von Jacob Grimm erkannt wurde. Auch gibt es wohl eine etymologische Verbindung – wenigstens jedenfalls eine klangliche Nähe – zu der mythischen Insel Blockula oder Blakulla, die in Schweden als Ort des Hexensabbats gilt, also jenes Zusammentreffens des Teufels mit seinen Anhängern.

Darstellung des Blocksberges bei Prätorius, 1698

Doch auch die geographische Lage des Brocken als höchster Erhebung des Harzes, weithin sichtbar mit einem baumlosen Gipfel, der sich häufig durch besondere Wolkenbildung verhüllt, mag die Lokalisierung des teuflischen Treibens gerade hier begünstigt haben. Ein verwunschener Ort, dem Menschen kaum zugänglich, von ihm gemieden. Seine Unwegsamkeit und zahlreiche Höhlen im Berg trugen ihr Übriges dazu bei, hier Verborgenes zu vermuten.

Auf diesem Berg also versammeln sich die Anhänger Satans zu ihrem unheilvollen Tun an mehreren Nächten im Jahr, an Neujahr, an Weihnachten, an manchem andern Tag, aber besonders eben in der Walpurgisnacht. Die Hexen fliegen dorthin, indem sie sich mit Flugsalbe einreiben. Oder sie brauen einen Trank, dessen Genuss sie sofort dorthin versetzt. Oder sie reiten dorthin durch die Luft auf Böcken, Ziegen, Kälbern, Säuen, Wölfen, Katzen und Hunden. Auf einem schwarzen dreibeinigen Pferd, auf dem Satan selbst, besonders aber auf dem Hexenbesen. Daher war es Volksbrauch zur Walpurgisnacht alle Besen und Ofengeräte zu verstecken, die Ziegen und Böcke aus dem Stall zu nehmen oder wenigstens Kreuze an die Stalltüren zu machen und Fenster und Türen mit Kräutern zu bestücken. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Hexen Gegenstände entwenden oder – schlimmer noch – Menschen, etwa junge Mädchen die sie zum Hexenhandwerk ausersehen haben, zum Brocken mitnehmen. Noch im 19. Jahrhundert melden sich bei den Pfarrern Kindern, die auf dem Blocksberg mitgenommen worden sein wollen.

Während des Fluges sprechen die Hexen Schadenszauber über das von ihnen überflogene Land. Dabei bleiben sie unsichtbar, wer sie beobachten will, muss daher zu Hilfsmitteln greifen, etwa sich einen Kranz von Tausendgüldenkraut aufsetzten, oder einen Kreis aus Schlangenhaut umlegen oder Kopf und Leib mit Dost und Baldrian umbinden.

Auf dem Blocksberg selbst geht es lustig zu. Die ankommenden Hexen kühlen sich nach dem Ritt in einem großen Waschbecken, dem so genannten Teufelsnapf und begeben sich zum Hexentanzplatz. Mitten auf diesem Tanzplatz steht ein Thron mit einem Bock den alle Anwesenden auf das Hinterteil küssen müssen. Sodann erzählen die Hexen dem Teufel ihre Taten des vergangenen Jahres und erhalten ihrerseits Ratschläge von Satan. Auch die Teufelsbuhlschaft wird bei dieser Gelegenheit gepflegt, d. h. die Hexen wohnen dem Teufel und seinen Dämonen bei.

Auf dem Brocken, Michael Herr, 1650

Beim Hexenfest wird reichlich geschmaust, wobei alle Speisen ungesalzen sind; mitgenommene Speisen erweisen sich am nächsten Tag als Kot. Dann tanzen die Hexen an einer gespannten Leine linksherum, mit dem Gesicht nach außen. Wenn eine hinfällt, so weissagt ihr der Teufel: „Du wirst dieses Jahr brennen!“

Der Tanz dient auch dazu, den Schnee vom Brocken wegzutanzen. Die Musikanten, die zu diesem Tanz aufspielen, musizieren auf Trommeln und Sackpfeifen, doch auch auf wunderlichen Instrumenten wie dem Schwanz einer lebenden Katze oder auf einem Schweinskopf.

So beschreiben es alte und jüngere Schilderungen. Es versteht sich, dass diese Vorstellungen immer wieder die Künstler angeregt haben. Goethes Faust nimmt an einem solchen Treffen teil und auch die Maler haben über die Jahrhunderte immer wieder Hexen und den Hexensabbat zum Motiv gemacht.

So unterhaltsam diese Schilderungen aber zunächst vielleicht anmuten, so sehr sie uns an eine Welt der Märchen, der Feen, der Zwerge und anderer Traum- und Fabelwesen bis hin zu den Fantasieerzählungen unserer Tage erinnern mögen, so darf doch darüber nicht vergessen werden, dass sie über Jahrhunderte für wahr gehalten wurden. Sie galten als Ausdruck der Leibhaftigkeit des Bösen in der Welt. Die Teilnahme am Hexensabbat, der Hexenflug, der Teufelspakt, die Teufelsbuhlschaft und der Schadenszauber waren denn auch die häufigsten Anklagepunkte in den Hexenprozessen. Dabei handelt es sich in der Regel eben nicht um Fragen der Glaubenslehre, gar der Ketzerei, sondern um Delikte des weltlichen Strafrechts, die vor weltlichen teils auch geistlichen Gerichten verhandelt wurden. Mit anderen Worten: der Glaube, dass es Hexen gibt und dass sie diese vermeintlichen Verbrechen begehen können, stand gar nicht zur Debatte. Tausenden meist weiblichen Angeklagten brachten diese Vorstellungen Folter und Tod.

Mit dem Verschwinden des Hexenglaubens, verschwinden aber keineswegs die Hexen. Für die Maler sind sie vielfach Motive, wobei volkskundliche Vorstellungen die Grundlage bilden als Projektionsfläche unterschiedlichster Art. Goya etwa versammelt dunkle, existenzielle Ängste und die schweren Träume einer als bedrohlich empfundenen Nacht in seinem Hexensabbat. Andere Maler nutzen das Thema für erotische Fantasien.

Hexensabbat (1798), Goya

Auch heute scheint eine ungebrochene Faszination von den Hexen auszugehen. Sie beleben den Buch- Film- und Serienmarkt, wie sich leicht durch die anzeigengelenkten Suchergebnisse jeder beliebigen Internetsuchmaschine eruieren lässt. Dabei changieren die Hexen zwischen amerikanischen Durchschnittsfrauen, Heldinnen von Weltformat und Kinderfiguren wie Bibi Blocksberg, die den Zauberberg sogar im Namen führt, aber von dem dort geschilderten Treiben nicht weiter entfernt sein könnte, setzt sie ihr Zauberkönnen doch nur zum Wohl der Menschen und zum Guten ein.

Dennoch ist die Walpurgisnacht nicht gänzlich aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwunden. An vielen Orten wird in den Mai getanzt was mit dem Hexenfest auf dem Blocksberg hoffentlich nur entfernt verwandt ist. Dass aber die Hexen in jener Nacht unterwegs sind und „Schaden“ anrichten, ist noch heute an vielen Orten Brauchtum, wo Schabernack getrieben wird, wenn Dinge verstellt oder versteckt werden oder man Familienmitgliedern und Nachbarn (meist harmlose) Streiche spielt.

Witches going to their Sabbath (1878), Luis Ricardo Falero

Daniel Leis leitet in 2021 die Ferienakademien „Reizvolle Franche-Comté“ (Juni 2021), „Schleswig-Holstein von Lübeck bis Ripen“ (Juli 2021) und „Im Land der Weserrenaissance“ (August 2021).

Im Oktober 2021 reist er für die Akademie zu Ausstellungen und Sammlungen in die Schweiz. Unter seiner Leitung wird außerdem die Ausstellung „Mit Bibel und Spaten. 900 Jahre Prämonstratenser-Orden“ (September 2021) in Magdeburg besucht.

30. April 2021 || ein Beitrag von Daniel Leis, Kunsthistoriker und Historiker

Daniel Leis leitet in 2021 die Ferienakademien „Reizvolle Franche-Comté“ (Juni 2021), „Schleswig-Holstein von Lübeck bis Ripen“ (Juli 2021) und „Im Land der Weserrenaissance“ (August 2021).

Im Oktober 2021 reist er für die Akademie zu Ausstellungen und Sammlungen in die Schweiz. Unter seiner Leitung wird außerdem die Ausstellung „Mit Bibel und Spaten. 900 Jahre Prämonstratenser-Orden“ (September 2021) in Magdeburg besucht.