Die Situation von Frauen in der Coronakrise – Zwischen Heldinnen und Opfern

Jede dritte Frau in Deutschland ist laut Bundesfamilienministerium mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. Verstärkt werde das Problem durch Corona: „Wenn der Täter, der Vater in der Regel, die ganze Zeit zu Hause ist und sich Sorgen macht um Arbeit und Familie, dann gibt er seinen Frust weiter an Frau und Kinder.“ sagt Monika Hauser, die Gründerin der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale mit Sitz in Köln.

Laut Monika Hauser leisten Frauen weltweit 76,5 Prozent der unbezahlten und 70 Prozent der bezahlten Sorgearbeit. In der Coronakrise seien Frauen als Heldinnen für ihre Leistungen in den systemrelevanten Berufen gelobt worden, sagt Hauser, betont aber auch, dass die Krise die Ungleichbehandlung der Frauen wie unter einer Lupe verdeutlicht: So seien einige Männer in der Krise Wochen und Monate zuhause gewesen, ohne ein Mehr an Familienarbeit übernommen zu haben.

Zusätzlich zur Mehrarbeit sei auch die Gewalt an Frauen angestiegen und zur Zeit des teilweisen Lockdowns gab es in Kindergärten und Schulen kaum Möglichkeiten, Verletzungen bei Kindern durch häusliche Gewalt zu entdecken.

Hauser sagt: Im Lockdown sei die häusliche Gewalt weltweit um ein Drittel angestiegen. Gewalt gegen Frauen fuße auf einem patriarchalen Gesellschaftssystem und stereotypen Rollenbildern, in dem Frauenrechte nicht als Menschenrechte gesehen würden. Das Problem sei die „Kultur des Schweigens“ um das Thema, so Hauser.

Lage der Frauen in der Coronakrise im internationalen Kontext
Nicht nur in Mexiko auch in anderen Teilen der Welt protestierten in den letzten Monaten wie auch ganz aktuell in dieser Woche wieder tausende Menschen gegen (häusliche) Gewalt an Frauen. Das Thema ist in 2020 mit Sicherheit kein neues, wurde aber wie andere Probleme und  gesellschaftliche Debatten – katalysiert durch die Corona-Krise – in den Vordergrund gestellt und erlangte eine traurige Berühmtheit und Aufmerksamkeit.

Ganz aktuell wird in vielen Teilen Mexikos gegen Femizide demonstriert und auch in Südafrika erschütterten bekannt gewordene Zahlen und Studien zu Morden und (sexualisierten) Gewalttaten an Frauen die Gesellschaften und führten trotz strenger Corona-Vorschriften zu öffentlichen Solidaritätsbekundungen sowie Protestmärschen.

Die Corona-Pandemie hat besonders drastische Auswirkungen auf die Lebenssituation von Mädchen und Frauen in Krisen- und Kriegsregionen. „Krisen wie die Corona-Pandemie verstärken bestehende Ungleichheiten und insbesondere die Benachteiligung von Mädchen und Frauen. In Bosnien und Herzegowina, Afghanistan und Liberia haben sexualisierte und häusliche Gewalt deutlich zugenommen. Die gesundheitliche Versorgung von Mädchen und Frauen wurde eingeschränkt, und sie verlieren häufiger als sonst ihre Arbeit“, sagt Monika Hauser anlässlich des Welttags zur Beseitigung sexueller Gewalt in Konflikten am 19. Juni.

Situation in Deutschland
Eine erste große repräsentative  Studie der TU München zu häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie aus diesem Jahr ergab, dass rund 3% der Frauen in Deutschland in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt wurden, 3,6 % wurden von ihrem Partner vergewaltigt. In 6,5 % aller Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft. In 4,6 Prozent der Fälle regulierte der Partner Kontakte der Frauen mit anderen Personen, auch digitale Kontakte, zum Beispiel über Messenger-Dienste.

Durch Corona fällt das Frühwarnsystem weg – Verletzungen bleiben jetzt häufig unentdeckt
Waren die Frauen allerdings in Quarantäne oder hatten die Familien finanzielle Sorgen, lagen die Zahlen deutlich höher. Nur ein sehr kleiner Teil der betroffenen Frauen nutzte allerdings bestehende oder neu entstandene Hilfsangebote.

Janina Steinert, Professorin für Global Health an der Technischen Universität München (TU München), und Dr. Cara Ebert vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung haben in dieser Studie rund 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren online nach ihren Erfahrungen befragt. Die Studie ist hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Haushaltsgröße und Wohnort repräsentativ für Deutschland. Die Frauen wurden zwischen dem 22. April und 8. Mai 2020 nach dem vorangegangenen Monat gefragt, also der Zeit der strengsten Kontaktbeschränkungen. Da manche Befragten aus Scham möglicherweise nicht zutreffende Antworten geben, wandten die Wissenschaftlerinnen bei besonders stigmatisierten Formen der Gewalt, z.B. sexueller Gewalt, eine anerkannte indirekte Fragemethode an.

Risikofaktor Finanzsorgen
Zu den Kontaktbeschränkungen kamen finanzielle Nöte und Sorgen innerhalb der Familien. Wesentlich höher war die Zahl der Opfer sowohl bei Frauen als auch Kindern, wenn

  • sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden (körperliche Gewalt gegen Frauen: 7,5 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 10,5 %) oder die Familie akute finanzielle Sorgen hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 8,4 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 9,8 %).
  • einer der Partner aufgrund der Pandemie in Kurzarbeit war oder den Arbeitsplatz verloren hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 5,6%, körperliche Gewalt gegen Kinder: 9,3 %).
  • einer der Partner Angst oder Depressionen hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 9,7 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 14,3 %).

Aus diesen Risikofaktoren leiten die Wissenschaftlerinnen mehrere Empfehlungen für bestehende und eventuelle künftige Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während einer möglichen „zweiten Welle“ der Pandemie ab: „Es sollten Notbetreuungen für Kinder geschaffen werden, die nicht nur Eltern in systemrelevanten Berufen zur Verfügung stehen“, sagt Janina Steinert. „Da Depressionen und Angstzustände das Gewaltpotential erhöhen, sollten psychologische Beratungen und Therapien auch online angeboten und ohne Hürden genutzt werden können. Frauenhäuser und andere Stellen, die Hilfen anbieten, müssen systemrelevant bleiben.“

„Hilfe auch online anbieten“
Ein Großteil der befragten Frauen kannten zwar die Hilfsangebote, da viele allerdings über telefonische Beratung funktionieren und viele Frauen durch ihre Partner intensiv kontrolliert werden, können sie diese nur schwer nutzen. Hilfe sollte daher laut den Wissenschaftlerinnen auch vermehrt online – per Chat, Messenger und E-Mail – angeboten werden. „Die bestehenden Hilfsangebote müssen zudem besser in der Öffentlichkeit beworben werden, zum Beispiel durch große Plakate in Supermärkten und Apotheken sowie durch Onlineanzeigen“ so Cara Ebert von der TU München.

Weitere Informationen zu dem Thema finden Sie unter:

18. September 2020 || ein Beitrag von Julia Steinkamp, Projektreferentin