Der Prometheus-Mythos – Menschenschöpfer, Kulturstifter und Rebell

Der Titan Prometheus habe, wie der antike Mythos erzählt, den Menschen geschaffen, ihm durch die Gabe des Feuers kulturelle Entfaltung ermöglicht und ihn vor ungerechtfertigten Machtansprüchen bewahrt.
Welche Aspekte des Mythos in diesem besonderen Jahr 2020 für uns besonders wichtig sein können und inwiefern auch die moderne Technologie Prometheus aufnimmt und was das noch mit dem ‚klassischen Mythos‘ zu tun hat, darüber war Akademiereferentin Julia Steinkamp im Gespräch mit Prof. em. Dr. phil Rudolf Drux.

Sehr geehrter Herr Prof. Drux, Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Prometheus-Mythos. Was fasziniert Sie daran und welche neuen Aspekte oder Sichtweisen haben Sie im Laufe der Jahre für sich entdeckt?
Wie kaum ein anderer Mythos hat der von Prometheus die Dichter und Denker des Abendlandes inspiriert: Prometheus, der aus dem alten Göttergeschlecht der Titanen stammt, ist im Grunde der Ur-Poet (nach griechisch: poiein = machen, schaffen): Er hat die Menschen geschaffen, ihnen die Gabe des Feuers verliehen und damit Möglichkeiten zur kultureller Entfaltung eröffnet. Dafür aber musste er sich Zeus, dem Herrscher im Olymp, widersetzen, was ihm eine furchtbare Strafe eintrug.

Ein Menschenbildner, Kulturstifter und Rebell also – und in diesen Rollen bringt er menschliche Grundkonstellationen zum Ausdruck, die von den verschiedenen Künsten aufgegriffen, dabei aber unterschiedlich akzentuiert wurden. Ihre Gewichtung veränderte sich im Laufe der Geschichte, unter den jeweiligen historisch-sozialen Verhältnissen und im Wandel von Werten und Einstellungen. Diese dynamische Verbindung von mythischen Konstanten und geschichtlichen Varianten an verschiedenen Werken zu verfolgen und in bestimmten Zeiten auszumachen, das kann etwas faszinierend Neues erbringen.

Welche Relevanz hat der Prometheus-Mythos für die heutige Gesellschaft und was bringt die Beschäftigung mit ihm gerade jetzt?
Das ist so generell schwer zu beantworten: Schöpferkraft und Schaffensfreude sind, nicht nur für Künstler, eigentlich immer wünschenswert, im Augenblick allerdings scheinen andere Motive dieses Mythos dringlicher geboten zu sein, nämlich Widerstandsfähigkeit und die Solidarität mit den Schwachen.

Der Prometheus-Mythos ist in der bildenden Kunst, Literatur, Musik und im Film vielfach aufgenommen worden und wird heute oft mit moderner Technologie in Zusammenhang gebracht: Hat das überhaupt noch etwas mit dem ‚klassischen Mythos‘ zu tun?
Ja, durchaus. Spätestens mit der Renaissance sind auch technische Erfindungen dem prometheischen Gestaltungsbereich zugeordnet worden. Die heutige Rezeption des Mythos wird aber entscheidend durch die junge englische Autorin Mary W. Shelley geprägt, insofern sie den Titelhelden ihres Romans „Frankenstein“ (1818) als „den modernen Prometheus“ bezeichnet hat, der eine menschliche Gestalt aus Leichenteilen zusammenflickt und zum Leben erweckt. So gesehen, wäre sein ‚postmoderner‘ Nachfahre heute wohl am ehesten unter den Biotechnologen und Reproduktionsmedizinern zu finden, die spezifisch menschliche Fähigkeiten technisch nachbilden und menschliches Leben manipulieren. Ob diese Leistungen nun segensreich oder unheilvoll sind, mit ihnen dürfte der Mythos künstlicher Menschenschöpfung in Ansätzen  aus dem Reich der Fiktion in die Wirklichkeit gelangt sein.

Den Diebstahl des Feuers, das Prometheus seinen Geschöpfen, den Menschen, zukommen lässt, bestraft Zeus u.a. dadurch, dass er Pandora mit einer Büchse, die alle Übel und Krankheiten der Welt sowie die Hoffnung enthält, auf die Erde zu jenen schickte. Das Jahr 2020 erscheint vielen als große Herausforderung mit vielen Übeln – was gibt Ihnen Hoffnung für die Zukunft?
In vielen Schöpfungsmythen patriarchalischer Gesellschaften kommt „das Böse durch die Frau in die Welt“: Man denke nur an Eva, die, so hält es das „1. Buch Mose“ fest, den Einflüsterungen der teuflischen Schlange erliegt und den armen Adam zur Ursünde ver- und damit den Verlust des Paradieses herbeiführt.

Pandora wird von den Göttinnen mit allen Reizen und als typisch weiblich geltenden  Eigenschaften ausgestattet und dann als wandelnde Strafaktion für den Feuerdiebstahl zu den Geschöpfen des Prometheus geschickt, einer Gesellschaft „geschäftiger Männer“, wie es der altgriechische Epiker Hesiod sagt. Dort kann sich der verheerende Inhalt ihrer Büchse, Laster, Krankheiten und Seuchen, leicht ausbreiten. Aber  die Gabe der Hoffnung auf dem Boden des Gefäßes weckt nicht nur die Erwartung, diese „Übel“ (damals wie heute) zu überstehen, sondern ermöglicht überhaupt erst den Fortbestand des Menschengeschlechts –  und uns einen Gender- kritischen Blick auf den Mythos.

Sehr geehrter Herr Prof. Drux, herzlichen Dank für das Interview!

Prof. em. Dr. phil. Rudolf Drux
Studium der Germanistik, Latinistik, Philosophie und Hist.-Vgl. Sprach- und Literaturwissenschaft.

  • 1996-2014 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität zu Köln
  • 2008-2011 dort Direktor des Zentrums für Moderneforschung sowie Vorstandsmitglied und Sprecher der Moderne-Klasse der Graduiertenschule a.r.t.e.s. (bis 2013)
  • 2009-2015 Vorsitzender der Lichtenberg-Gesellschaft
  • Seit 2000 im Vorstand der Goethe Gesellschaft Köln.

Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Deutsche Literatur von der Frühen Neuzeit bis zum Vormärz (1618-1848) und im 20. Jahrhundert; Gattungspoetik, Metaphorologie und Motivforschung, bes. im Kontext der Wechselbeziehungen von Literatur- und Technikgeschichte, Dichtung und Musik, Poetik und Rhetorik. Zu diesen Gebieten zahlreiche Buch- und Aufsatzpublikationen.

 

 

 

 

24. Oktober 2020 || ein Interview von Julia Steinkamp, Projektreferentin

Prof. em. Dr. phil
Rudolf Drux

Nach seinem Studium der Germanistik, Latinistik, Philosophie und Sprach- und Literaturwissenschaft war von 1996-2014 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität zu Köln.