Gestrandet in Ostende 1936

Stefan Zweig, Joseph Roth, Irmgard Keun …

Im mondänen belgischen Badeort Ostende kam es im Sommer 1936 zu einem „Gipfeltreffen“ der besonderen Art: Auf der Flucht vor dem Nazi-Terror trafen hier berühmte Literatinnen und Literaten aufeinander und beobachteten mit ängstlichen Blicken die politischen Entwicklungen dies- und jenseits der deutschen Grenzen. In den Cafés am Strand frischten sie aber auch Freundschaften auf oder knüpften neue Beziehungen.
Der „rasende“ Reporter Egon Erwin Kisch und Ernst Toller, ein maßgeblicher Vertreter des literarischen Expressionismus, verkehrten in Cafés wie dem du Parc oder dem Flore; zu ihnen gesellten sich Hermann Kesten, selbst Schriftsteller sowie ambitionierter Förderer literarischer Talente, und Stefan Zweig, der mit Wehmut auf das „alte“ Europa zurückblickte sowie auch den sich abzeichnenden Untergang vorausahnte. Joseph Roth und Irmgard Keun begannen in Ostende eine leidenschaftliche Liaison, die neben exzessivem Alkoholgenuss auch zur allmählichen Verfertigung eindrucksvoller Romane führte. Ebenso nahmen belgische Autorinnen und Autoren oder der in Ostende geborene „Maler der Masken“, James Ensor, an den geselligen Runden teil.
Ostende blieb letztlich eine Durchgangsstation für viele, die verzweifelt Zuflucht in anderen Ländern suchten – was nicht selten zu mehrjährigen Irrfahrten rund um den Globus führte.
Ein Blick vor Ort auf die Lebenssituation der Literatinnen und Literaten, auf ihre persönlichen Verhältnisse oder in ihre literarischen Werke, die sich mit ihrer verlorenen und ihren oft noch nicht gefundenen neuen Heimaten befassen, stellt ein lohnendes – durchaus auch unterhaltsames – Unterfangen dar.

Ihr/e Reiseleiter/in

Sonntag, 4. Oktober 2020
Busreise von Bensberg (8.45 Uhr) und Köln (8.15 Uhr) nach Leuven.
12.00 Uhr | Führung
Belgisch-deutsche Geschichte – eine Spurensuche in Leuven
Im Ersten Weltkrieg wurden Teile der Stadt durch deutsche Truppen zerstört, auch während des Zweiten Weltkriegs stand sie unter Beschuss. Die deutschen Kriegsverbrechen in Leuven haben das Verhältnis zwischen Belgien und Deutschland während des 20. Jahrhunderts stark belastet. Nachmittags geht es weiter zum Hotel Andromeda****, das an der Strandpromenade von Ostende liegt.
abends | Vortrag PD Dr. Nelles
Leben und Schreiben im Exil – Ein- und Überblicke
Hermann Kesten, Irmgard Keun, Joseph Roth, Stefan Zweig und andere Exilliteraten galten als genaue Beobachter, Kenner und Kritiker ihrer Heimatländer Deutschland und Österreich. Ein besonderer Blick gilt daher denjenigen ihrer Werke, die – nach 1933 – meist im Exil entstanden sind und bis heute zum Kanon der Weltliteratur gehören.

Montag, 5. Oktober 2020
9.30 Uhr I Führung
Exil als Lebensform
Eine Führung durch das einst mondäne und heute moderne Seebad Ostende erschließt markante Punkte, die auch die deutschsprachigen Autorinnen und Autoren zwischen 1933 und 1940 aufgesucht haben: An dem beeindruckenden Bahnhof – damals Endpunkt einer Direktverbindung aus Wien – erreichten sie den beliebten Badeort an der Nordsee, der für sie zugleich Freiheit und Hoffnung bedeutete – zumindest eine Zeit lang. Die Mittagspause gibt Gelegenheit, im Café des Hotel du Parc die Atmosphäre Ostendes auf sich wirken zu lassen. Hier wie auch in anderen Bars hatten sich die einzelnen Schriftsteller an fest reservierten Tischen ihr „Schreibbüro“ eingerichtet.
mittags | Vortrag PD Dr. Nelles
„Schreiben wie Film“ – Irmgard Keuns Exilromane
Bereits vor 1933 konnte Irmgard Keun literarische Erfolge feiern („Gilgi, eine von uns“, „Das kunstseidene Mädchen“). Sie schrieb aber auch nach ihrer Flucht aus Deutschland wichtige journalistische und erzählerische Texte über ihr verlorenes Heimatland („Nach Mitternacht“, „Kind aller Länder“ u. a.). Keuns – auch betont weiblicher – Blick auf das Dritte Reich“ fördert interessante Erkenntnisse zu Tage, die auch für heute relevant sind.
nachmittags | Führung
Ostende – nicht nur Literatur!
Mit der berühmten Küstentram, die entlang der flämischen Küste die Seebäder verbindet, geht es vor die Tore Ostendes zur „Ensor-Kirche“, wo der symbolistische „Maler der Masken“ James Ensor seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Von dort führt ein Spaziergang an der Strandpromenade zurück nach Ostende, mit weiteren Informationen zur Geschichte des einstigen Kurbetriebs und zu den nicht nur deutschsprachigen Literatinnen und Literaten, die sich hier aufhielten und schrieben.
abends | Vortrag PD Dr. Nelles
Joseph Roth als Chronist vergangener Zeiten und verlorener Welten
Der als begnadeter Erzähler geltende Joseph Roth hat es wie kaum ein anderer Schriftsteller verstanden, die „alte“ Welt der europäischen Monarchien, vor allem am Beispiel des Habsburger Kaiserreichs, authentisch darzustellen
und ihren während des Ersten Weltkriegs sich vollziehenden Niedergang in einprägsame Worte zu fassen. Auch eine Betrachtung seines bewegten Lebens darf dabei ebenso wenig fehlen wie die seiner Exilwerke („Das falsche Gewicht“, „Die Legende vom heiligen Trinker“ u. a.).

Dienstag, 6. Oktober 2020
10.00 Uhr | Besuch des Mu.Zee
James Ensor – Zeitzeuge und Maler
Neben den geflüchteten Intellektuellen gehörte auch der Maler James Ensor zur Gesellschaft Ostendes. Er, der seinen Geburtsort so gut wie nie verlassen hatte, genoss seit den 1920er Jahren den Höhepunkt seiner Popularität als Symbolist und Expressionist, dem mehrere umfassende Ausstellungen in Deutschland und Paris gewidmet worden waren. Eine Führung und ein Blick auf seine Werke im Mu.Zee wie auf die seiner Künstlerkollegen fügen so dem Bild der Zeit weitere Facetten hinzu.
mittags | Vortrag PD Dr. Nelles
Stefan Zweig und die Welt von gestern
Das Werk des Österreichers Stefan Zweig gilt als einfühlsames Porträt seiner Epoche, welche die Wiener Moderne über die „Goldenen Zwanziger“ bis zu den verhängnisvollen 1930er und 1940er Jahren umspannt. Im Fokus des Interesses steht auch sein bedeutendstes Exilwerk, die „Schachnovelle“.

Rückreise (15.00 Uhr) mit informativen Unterbrechungen nach Köln (Ankunft ca. 20.00 Uhr) und Bensberg (Ankunft ca. 20.45 Uhr) .

Änderungen im Programmverlauf und in der Organisation bleiben vorbehalten.

.