Bräuche und Riten im Advent

In der Vergangenheit war der Advent mit den verschiedensten Bräuchen und Riten verbunden, die die Zeit gliederten, mit Sinn füllten und den Zeitablauf greifbar machten. Vielleicht ist gerade dieses Jahr eine gute Gelegenheit, einige dieser Bräuche wieder einmal aufzuzeigen und in der Praxis zu testen, natürlich unter Einhaltung aller geltenden Corona-Sicherheitsmaßnahmen. Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti stellt einige fast vergessene Bräuche vor.

Adventskranz und Adventskalender

Zeitmesser für den Advent gibt es einige. Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts haben die Katholiken von den Protestanten den Adventkranz übernommen, der in der damals üblichen Form die vier Adventsonntage immer mit einer Kerze anzeigt. Vorläufer waren Kerzen, die immer bis zu bestimmten Markierungen abgebrannt wurden oder Flaschen, deren Wasserspiegel von Sonntag zu Sonntag immer höher stieg.

Adventkalender in gedruckter Form gibt es seit etwa 1920. Am schönste sind die selbst gebastelten. Eltern können sie für ihre Kinder mit Hilfe von Socken gestalten, was auch die Geschenke klein hält. Schön ist es aber auch, wenn den einzelnen Familienmitgliedern die Socken für ein anderes Familienmitglied zugeteilt werden, so dass jeder ein kleines Geschenk erhält.

„Frautragen“

Ein fast vergessenes Ritual ist das sogenannte „Frautragen“: Eine Ikone, die die schwangere Maria zeigt, wird von der Kirche aus in das Wohnzimmer einer Familie getragen, wo sie bis zum nächsten Tag verbleibt, um dann zur nächsten Familie getragen zu werden. Vorgeführt wird durch diese Prozedur die Herbergssuche von Maria und Joseph. Die Gemeinde vergegenwärtigt diesen Weg und demonstriert, wie sie heute Maria und Joseph behandeln würde. Der Dichter Werner Bergengruen hat das unnachahmlich in einem Gedicht beschrieben: „Wärst du, Kindchen, im Kaschubenland, wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren“ … um zu beschreiben, welche Annehmlichkeiten der Jesusknabe erlebt hätte. In diesen Zusammenhang gehört auch das alte Herbergslied „Wer klopfet an“.

Aufbau der Krippe

In manchen Familien war es Brauch, die große Krippe, die dreidimensionale Gesamtdarstellung der Weihnachtsereignisse schon zum 1. Advent aufzubauen und dann ständig um die Ereignisse zu ergänzen, die dazu gehörten. Zum Schluss kamen am 6. Januar die Heiligen Drei Könige zur Krippe. In anderen Familien stellte man nur die leere Futterkrippe auf und legte neben sie ein Häufchen Strohhalme. Der Sinn bestand darin, im Advent die Krippe so mit Strohhalmen zu füllen, dass das Christkind weich zu liegen kam. Einlegen durfte, wer außer der Reihe und ohne Pflicht dazu eine gute Tat vollbrachte.

Gedenktag für Lazarus aus Bethanien

In einigen Teilen Deutschlands gab es 17. Dezember um 15 Uhr den Brauch, das Christkind einzuläuten. Damit wurde vordergründig auf das eine Woche später gelegene Fest der Geburt Christi verwiesen. Vor allem aber war es der Gedenktag für Lazarus aus Bethanien, den Jesus nach seinem Tod wieder ins Leben zurückgerufen hatte. Die Menschen dachten an diesem Tag aber an den anderen Lazarus, der zeitlebens vergeblich vor der Tür der Reichen gebettelt hatte (Lk 16, 19 – 31). Der Tag erinnerte an die Pflicht gegenüber den Armen und Kranken in der Gemeinde, die so ausgestattet werden mussten, dass sie mit Freude das Weihnachtsfest begehen konnten.

„Christkind-Besuche“

In dieser Tradition stehen auch die „Christkind-Besuche“, die in einzelnen Gemeinden am Heilig Abend stattfinden. Kinder und Jugendliche besuchen Kranke und alte Menschen der Gemeinde, tragen das Weihnachtsevangelium vor, singen Weihnachtslieder und überreichen ein kleines Geschenk. Neben dem caritativen Element wird hier die Zusammengehörigkeit der Gemeinde gelebt, die keinen ausschließt, gerade dann nicht, wenn er alt, bettlägerig oder arm ist. Die Einbeziehung der Armen und Alten in das christliche Festjahr ist keine Neuentdeckung des 19. oder 20. Jahrhunderts, sondern nimmt ein Element auf, das bereits im Mittelalter zur Festkultur gehörte. Christen feiern mit offenen Türen: „Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet“ (Mt 7,8; Lk 11,10), und „Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten, der auf einer Hochzeit ist, und die ihm öffnen, sobald er kommt und anklopft“. Dazu gab es die verschiedensten Formen, die das zum Ausdruck brachten: Auf dem Tisch stand ein zusätzliches Gedeck und ein unbesetzter Stuhl um anzuzeigen, Christus könnte vor der Tür stehen oder jeder andere, der vor der Tür steht, symbolisiert Christus.

Das Paradiesspiel

Vor der Kindermette findet noch in den meisten Gemeinden das Christgeburtsspiel statt. Davor wurde früher in der Kirche noch ein anderes Spiel aufgeführt: das Paradiesspiel. Der 24. Dezember ist der alte Gedenk-tag für Adam und Eva, die bekanntlich laut Bibel die Erbsünde in die Welt gebracht haben. Ihr Tag erinnert dran, warum am nächsten Tag des Messias gedacht wird, der die Erbsünde wieder aus der Welt geschafft und Gott mit den Menschen versöhnt hat. Adam, Eva und die Schlange treffen sich am Baum der Erkenntnis, wo der biblischen Vorgabe nach die Handlung abläuft. Weil die verbotene Frucht am Baum der Erkenntnis hängt, muss ein grüner Baum her, weil Früchte nie an abgelaubten Bäumen hängen. Verwendet werden in unserem Kulturkreis Fichten, Tannen oder Ilex, an denen mit Fäden kleine rote Äpfelchen (Renetten) als verbotene Früchte hängen. Beim nachfolgenden Christgeburtsspiel bleibt der Baum der Erkenntnis stehen. Denn er ist der Baum, aus dem sich unser Christbaum entwickelt hat – als Geschenke- und als Lichterbaum.

1. Dezember 2020 || ein Beitrag von Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti

Der Theologe Manfred Becker-Huberti war von 1991 bis 2006 Pressesprecher des Erzbistums Köln. Seit 2007 ist er Honorarprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Er forscht zu religiösem Brauchtum, Heiligen und der Heiligenverehrung speziell im Rheinland.