Ein Besuch im Baumhaus – Der Bonner Künstler Wolfgang Hunecke

Würde man in Bonn-Beuel Einheimische nach dem Baumhaus fragen, erhielte man wahrscheinlich meist einen klaren Hinweis, zumindest aber einen passenden Tipp zur Lage. Stadtbekannt ist dieses Kunsthaus, in dem seit seiner Gründung 1978 ohne Unterbrechung Kunst geschaffen, ausgestellt und gelehrt wird. Mitbegründer war der Künstler Wolfgang Hunecke, der heute noch darin lebt und arbeitet. Wer in die Kreuzstraße einbiegt, sieht sofort das markante Haus mit dem über die Fassade wachsenden grünen Baum, – einem bildlichen Signal für das blühende Leben im Inneren.

Der 1950 in Bonn geborene Künstler ist sozusagen Ureinwohner der Stadt, studierte Theologie und Sozialwissenschaften, begann 1970 mit der künstlerischen Arbeit als Autodidakt und war darauf in verschiedenen professionellen Ateliers als Mitarbeiter tätig. Die Erfahrungen dieser jungen Jahre haben sein Schaffen und sein Engagement nachhaltig geprägt: Themenwelt, Kooperation, Weitblick, Einsatz, Autonomie und Authentizität sind Kennzeichen seiner Kunst und Persönlichkeit. Wolfgang Hunecke lebt seinen Beruf leidenschaftlich: als kreativer Künstler, als Aussteller und Vermittler, als Lehrer in seinen Kunstkursen, als Anreger und auch als Botschafter für die Kunst. So unternahm er Studienreisen in Europa und Mittelamerika, Vortragsreisen in die Arabischen Emirate und nach Nicaragua, wo er seit 1989 selbstlos eine Druckwerkstatt für grafische Künste in Granada aufbaute und kontinuierlich bis heute betreut. Seine Werke befinden sich in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen, nationalen und internationalen. Die Liste der Ausstellungen seit 1992 ist lang und reich an erlesenen Orten.

Wolfgang Hunecke ist Maler, Bildhauer und Graphiker. Seine Formensprache ist bei immer überraschenden Entwicklungen stets unverwechselbar, sie ist abstrahierend, abstrakt und gegenständlich. Er liebt das Experimentieren wie auch die solide Technik, leuchtende Farbigkeit wie gedeckte Farben, die Landschaft wie die Figur. Natur- und Formerlebnisse, Ideen und Erfahrungen münden in Einzelbilder und Serien. So sind seine über die Jahreszeiten festgehaltenen Impressionen vom Stenzelberg bei Königswinter von außerordentlicher Formen- und Farbenkraft. Bei seinen wiederholten Besuchen entdeckt er dort die dramatische Bildkraft der zerklüfteten Felsen, das Farbenspiel der Blätter und des Lichtes.

Eine besondere Rolle spielt das Bild des Menschen in seinem bisherigen Oeuvre. Menschen erscheinen als schlanke abstrahierte Silhouetten, einzeln oder in Gruppen, ohne jede Detailbeschreibung und doch in jeder Weise deutbar. Die Haltungen von Zuwendung bis Abkehr, von Isolation oder Paar, sind in ihrer abstrakten Bildsprache sehr ausdrucksvoll, vor allem auch in der monochromen Farbigkeit der Skulpturen und Grafiken. Das lebhafte Interesse am Themenblock „Mensch und Gesellschaft“ findet sich durchgehend in seinem Werkverlauf. Mal sind es Köpfe in unterschiedlichen Anordnungen wie Profil oder en face, mal werden tänzerische Posen variiert, mal herrscht ausdrucksvolle Ruhe vor, ein andermal sieht man beschwingte Bewegungen, die nicht nur durch Körperhaltungen, sondern auch durch Überschneidungen gewonnen werden. Eine erstaunliche Vielfalt steckt jeweils in Motiv und Ausführung, die der Künstler souverän ausreizt. Zu den Besonderheiten seiner Kunst zählt eine Harmonie der Formen, die den Erfahrungen der Pop Art nahekommt.

Eine besondere Vorliebe hat Wolfgang Hunecke seit den neunziger Jahren für Werkreihen entwickelt, die sowohl formal als auch thematisch zusammenhängen und gewissermaßen durchdekliniert werden. Schwerpunkt dieser aufwendigen Zyklen ist immer die Figur, der Mensch, das Miteinander oder andere inhaltliche Beziehungen. In einer mit „Kisses“ bezeichneten, sehr umfangreichen Serie vor drei Jahrzehnten geht es um menschliche Zweierbeziehungen. Der Künstler hat in seiner charakteristischen Handschrift von dynamischer Linie und farbsatten Flächen sowohl lesbare Szenen als auch turbulente Abstraktion entwickelt. Dieses autonome serielle Arbeiten setzt sich bis in die Gegenwart fort. Da entstand beispielsweise ein Zyklus mit 345 klar identifizierbaren Porträts von Künstlerinnen und Künstlern des 20. Jahrhunderts, deren Werke sich im Kölner Museum Ludwig befinden: Köpfe, die man kennt, sozusagen Ikonen. Eine weitere Werkreihe ist noch im Entstehen. Sie wird mehrere hundert Porträts von Freunden, Bekannten, Kolleginnen und Fachleuten, die das Baumhaus besuchten, präsentieren. Alleine aus den Bildzahlen der Werkreihen wird die ungeheure Malleidenschaft, das fortwährende Suchen, Sehen und Schaffen des Künstlers ermessbar. Sie stehen auch für seine Autonomie und Authentizität.

Kaum zu glauben, aber wahr: Neben den offensichtlich pausenlos kreativen plastischen, grafischen, zeichnerischen und malerischen Kunstprozessen unterhält Wolfgang Hunecke auch noch eine Malschule und eine Galerie mit wechselnden Ausstellungen. Dass er in der Kunstszene als besonders produktiv, fair, hilfsbereit und belastbar gilt, versteht sich. Der Baum am Baumhaus ist ein klares Zeichen.

Bilder: Wolfgang Hunecke

7. Juni 2020 || ein Beitrag von Prof. Dr. Frank Günter Zehnder, Kunsthistoriker, Direktor der Internationalen Kunstakademie Heimbach