Seine Werke Kai SEMOR Niederhausen

NEONROT I Kai SEMOR Niederhausen

Aus dem nichts zur Kunst. Bilder von Kai SEMOR Niederhausen in der Thomas-Morus-Akademie

Seit wenigen Tagen sind die Werke von Kai „SEMOR“ Niederhausen in der Galerie der Thomas-Morus-Akademie im Kardinal Schulte Haus zu sehen. Der große Veranstaltungssaal war bei der Eröffnung gut gefüllt, als Andreas Theobald am Flügel und Ferdinand Schwarz mit der Trompete die Soiree zur 85. Kunstbegegnung eröffneten. Viele Interessierte machten sich auf den Weg nach Bensberg in die Thomas-Morus-Akademie, um an der Ausstellungseröffnung mit Werken von Kai „SEMOR“ Niederhausen teilzunehmen.

Eröffnung der Ausstellung_Kai SEMOR Niederhausen

Eröffnung der Ausstellung_Kai SEMOR Niederhausen

Professor Frank Günter Zehnder, der den Künstler schon seit vielen Jahren kennt und begleitet, führte in das Werk ein und interviewte den Künstler zu seinem Werdegang und den künstlerischen Ideen.

Kai SEMOR Niederhausen_Mehr im Blog der Akademie

Kai SEMOR Niederhausen im Gespräch mit Prof. Frank Günter Zehnder

Einen ausführlichen Beitrag zum Werdegang und zu seiner Kunst schrieb Professor Frank Günter Zehnder für den neuen Katalog von Kai „Semor“ Niederhausen, den wir in zwei Teilen dankenswerterweise in unserem Blog veröffentlichen dürfen. Der Katalog gibt einen Einblick in seine Arbeiten von 2017-2021.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Aus dem Nichts zur Kunst – Teil I

Wer den Arbeiten Semors erstmals begegnet, ist in der Regel verwundert, erstaunt, verunsichert. Da ist eine Kunst, die von den vielen aktuellen Ausdrucksformen weit entfernt scheint, hat sie doch keine Bezüge zur reinen Abstraktion oder zum Action Painting, ebenso wenig zu expressiven Tendenzen oder zum Realismus. Prima Vista kann man so gut wie alle bekannten Stilsprachen und Dialekte der Malerei ausschließen, denn dieser sofort als außergewöhnlich erkennbare Umgang mit Bildfläche und Farbe erscheint als pure Überraschung. Man reibt sich die Augen, denkt an diese oder jene Epoche, Namen kommen einem in den Sinn, Vergleiche drängen sich auf und verfliegen sofort wieder. Nichts lässt uns zu einer schnellen Definition kommen, zu besonders und zu autonom ist diese Behandlung der Bildträger, um es einmal ganz praktisch auszudrücken. Jedenfalls ist die Neugier geweckt, Erinnerung und Analyse stehen einander gegenüber.

Was sehen wir eigentlich? Ist es fremd oder vertraut? Mit welcher Technik geht der Künstler um? Die Farbenwahl ist begrenzt und konsequent, es sind Neonrot, Schwarz, Weiß und Grau, – eine geradezu anspruchslose Palette, die in den Gegensätzen von Hell und Dunkel, von Leuchtend und Sanft dennoch eine ganz eigene Spannung entwickelt. Es ist ein höchst individueller Farbenkanon. Ähnlich geht es dem Formenapparat, der von der Geometrie gelenkt scheint. Das Eckige herrscht vor, Rechtecke und Dreiecke in jeder denkbaren Lagerung und Ausrichtung besetzen die Bildflächen, laufen parallel, queren, strecken und begnügen sich. Wenn man so will, scheinen hier gleichsam Bewegungsverhältnisse angehalten, ausgewogen, stillgestellt. Und dann liegen auf den Flächen mitunter auch Linien, die zu Schwüngen werden, aber auch solche, die Flächen streifen, abgrenzen, definieren.

Und noch etwas fällt bei der ersten Betrachtung auf: Es gibt keine Kleinteiligkeit, keine Zierformen, keine Ornamentik, nichts Störendes. Vielmehr spürt man eine Ausgewogenheit, eine ruhige Konzentration zwischen Formen und Farben, die dem Betrachter auch als Harmonie erscheinen mag. Der betont disziplinierte Bestand an Formen fordert die Lagerung und Gestaltung jeder noch so großen oder kleinen Fläche heraus. Dabei bemerkt man etwa eine bevorzugte Parallelität zum Bildrand, die Verschiebung des geometrischen Schwerpunkts aus der Mitte in andere Bildzonen oder eine Art Deklination von Formelementen, die spielerisch und streng zugleich wirkt. Das ist nun aber kein Regelwerk für die Kunstsprache Semors, sondern lediglich die Basis seiner autonomen Handschrift. Dieses Handwerkszeug der Kreativität, der Inspiration und des Maßes ist Garant für die Fülle der Variationen und Einfälle, die das aktuelle Werk so unverwechselbar machen.

Die geometrisch pointierte Bildsprache Semors arbeitet erkennbar mit Konzentration und Weglassung. Sie steht damit einerseits dem Minimalismus nahe, der mit einfachsten Grundformen arbeitet, und andererseits auch dem Konstruktivismus, der vor allem in seiner frühen russischen Ausprägung schon zu den Wegbereitern dieser Bildsprache zählt. Auch wenn Semor nicht unbeeinflusst von der Pop Art ist, liegt seine Quelle doch vor allem in der Kunde von Linien, Flächen und Körpern. Auffallend ist in vielen Arbeiten des Künstlers eine scheinbare bis deutliche Räumlichkeit. Er gewinnt sie durch Linienführungen, Konstruktion und Farbnuancen, mitunter unbeabsichtigt, meist aber wohl geplant. Mit der aktuellen Werkphase hat Semor zur künstlerischen Unverwechselbarkeit gefunden.

Sein Weg zur Kunst verlief eigenwillig, unbegleitet von Fachleuten, unterstützt von manchem Zufall, zielgerichtet und autodidaktisch. Geboren 1982 in Waldbröl und aufgewachsen in Hamm/Sieg, war er dem Landleben verbunden. Doch schon in jungen Jahren erfasste ihn im Zusammenhang mit dem Skateboard-Fahren eine Orientierung nach Köln. Ohne jede Ahnung von Graffiti malte und veränderte er 1993 bereits Buchstaben auf seinen Zimmerwänden und erfuhr 1991 als Neunjähriger mit dem Kultfilm zur Hip-Hop-Bewegung „Style Wars“, den seine ältere Schwester ihm zeigte, eine Art Urerlebnis. Seine Begeisterung für Sprühfarben hat hier ihre Quelle. Rückblickend sagt er: „Nach dem Film war ich infiziert. Da gab es kein Zurück mehr für mich.“

Fortan trieb ihn die Neugierde, und er scheute keine Mühen, Graffitis und deren Techniken in der Umgebung kennenzulernen. Er dokumentierte sie mit der Kamera, sammelte ausgediente Sprühköpfe, säuberte sie, sparte für die erste Sprühdose und schuf ein eigenes Graffitibuch. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr jobbte er in der Landwirtschaft, lernte dort den Umgang mit Werkzeug und die Wertschätzung von verworfenem Material wie Holz und Plexiglas. Parallel lief seine Ausbildung zum Bürokaufmann auf der höheren Handelsschule. Er war mehr als fünfzehn Jahre im Öffentlichen Dienst tätig, gab aber für die Freie Kunst diese Sicherheit auf. Er sagte einmal dazu: „Ich bin jetzt Künstler. Ich habe die Freiheit leben zu können, noch mehr zu arbeiten und damit zu wachsen.“ Diese Disziplin und Zielstrebigkeit stehen immer noch hinter seinem inzwischen sehr umfangreichen Schaffen.

Wie alle Graffiti-Künstler ist auch Semor als Autodidakt zunächst kein Vertreter der Bildkunst im klassischen Sinne, sondern wirkt mit seiner Kunst großformatig auf Wänden in der Öffentlichkeit. Seine Reisen haben ihn durch viele Länder der Welt geführt. Workshops, Events und Ausstellungen, Aufträge und Wettbewerbe, – an diesen ganz unterschiedlichen Veranstaltungsformaten nimmt Semor seit mehr als einem Jahrzehnt engagiert teil. Writing und Lettering sind die hauptsächlichen Ausdrucksformen der oft viele Meter hohen und breiten Wandarbeiten. Buchstaben, Worte, Botschaften wurden von ihm monochrom, mehrfarbig, bunt, heftig oder ruhig, spielerisch oder bühnenhaft im wahrsten Sinne des Wortes in Szene gesetzt. Diese Arbeiten und ihre Vermittlung sind ein wichtiges Teil der Kunst im Öffentlichen Raum. Die außerordentlich umfangreichen Werkreihen seit 2008 sind graphisch, malerisch, farblich und kompositionell höchst unterschiedlich, – von beinahe dramaturgisch organisierten kleinen Formen bis zu eher stillen Großlettern. Die Vielfalt der Inszenierung von beinahe landschaftsaffiner bis zu spukhafter Bildgestaltung ist überaus spannend. Über die Korrespondenz von Graffiti und Ort kann das breite, fast monochrome Writing in Hennef (2012) gute Auskunft geben. Innerhalb dieser Werkreihe tauchen ab 2013 vermehrt außergewöhnliche Akzente auf, so beispielsweise in Kopenhagen (Velvet-Zoer-Storm-Dais-KKade), das mit völlig neuen Bildelementen und nun einer additiven Komposition arbeitet. Es fällt auf, dass das mitunter tänzerisch turbulente Bildgefüge der Writings ab den Styles 2013 ruhiger und in Partien massiver wirkt. „Meeting“ in Opladen 2014 ist für diese Entwicklung genauso charakteristisch wie „Experimental“ in Etzbach 2015. Auch „Fluor sixteen“ 2016, und die Arbeit vom Looper-Fest in Mailand, 2016, weisen auf eine wesentliche Beruhigung der Bildszenen hin. Es deutet sich hier ein bildkünstlerischer Zusammenhang mit den seit Mitte 2016 entstehenden Collagen und auch mit den aktuellen Bildern an.

Quelle:
aus: Neonrot, Kai Semor 2017-2021, Hrsg. Von Kai „Semor“ Niederhausen, Altusried-Krugzell 2021

Aus dem Nichts zur Kunst – Teil II erscheint am nächsten Donnerstag.

Kai SEMOR Niederhausen_Mehr im Blog der Akademie_

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In der Thomas-Morus-Akademie sind die Arbeiten bis 30. April 2022, täglich von 9.00 bis 18.00 Uhr zu sehen. Näheres zur Ausstellungseröffnung finden Sie hier:

Die Bilder der Ausstellung können Sie schon hier ansehen.

Titelbild von Kai „SEMOR“ Niederhausen
Bilder der Ausstellungseröffnung von Andreas Würbel

3. Februar 2022 || ein Beitrag von Akademiereferent Andreas Würbel