Inbegriff der Menschlichkeit – der Heilige Franziskus-Mehr im Blog

Inbegriff der Menschlichkeit – der Heilige Franziskus

Es ist die Geschichte eines reichen Kindes. Franziskus war der Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers und hatte während seiner Kindheit sicher nur wenig Grund zur Klage. Er konnte lesen und schreiben, und das war um das Jahr 1200 sicher eine Besonderheit, und so lebte er ein privilegiertes Leben. Als Erwachsener, mit 14 Jahren also, stieg er in das Tuchhandelsgeschäft seines Vaters ein. Oft wird von seiner weltfremden Großzügigkeit berichtet, die ihn als feierfreudigen Jugendlichen charakterisiert.

Dieser Lebenswandel fand sein jähes Ende, als Franziskus in den Krieg Assisis gegen Perugia zog. Er geriet in Kriegsgefangenschaft, und der sorglose junge Mann war nach über einem Jahr Kerkerleben nicht mehr derselbe. Schließlich erschien Gott ihm in einem Fiebertraum, und von diesem Augenblick an veränderte sich sein Leben grundlegend. Er baute Kirchen wieder auf, verteilte Geld und Waren aus dem Geschäft seiner Familie, schenkte den Armen, was er hatte. Der Groll seines Vaters über diese verschwenderische Lebensweise sollte nicht lange auf sich warten, und dann geschah das, was für unzählige Künstler ein beliebtes Motiv in der Kirchenausstattung geworden ist: Franziskus legte auf öffentlichem Platz seine Kleider ab und sagte sich von seinem Vater los. Ein Skandal und doch für Franziskus die Möglichkeit, sich vollumfassend dem Leben als Kind Gottes zu verschreiben.

Giotto di Bondone, kurz Giotto, gehört zu den frühesten Künstlern der Renaissance. Man sagt ihm sogar nach, dass er die Kunst aus dem finsteren Mittelalter in das Licht der Renaissance geführt hat. Die Franziskusgeschichte war für ihn ein wichtiges Thema, welches er viele Male als Fresko auf verschiedene Wände brachte. Der Ort, an dem die weltlichen Überreste des Heiligen Franziskus ihre letzte Ruhe gefunden haben, ist die Kirche San Francesco in Assisi. Der berühmte Freskenzyklus in der Oberkirche, der sich in 14 Bilder dem Leben des Heiligen widmet, wird Giotto zugeschrieben.

Giotto zeigt den in teilzerstörter Kirche vor dem Kreuz des San Damiano knienden Franziskus. Es ist der Moment, in dem Gott vom Kreuz zu Franziskus spricht und ihm den Auftrag gibt, die verfallene Kirche wieder aufzubauen. Es ist der erste direkte Auftrag Gottes an den Heiligen und löst das aus, was schließlich zum Bruch mit seinem Vater führen sollte. Giotto schafft es hier bereits im 13. Jahrhundert, mit perspektivischen Mitteln zu arbeiten. Sicher sind noch einige Ungenauigkeiten zu beobachten, aber die Erfassung des Raumes als solchen, wie auch das Wegnehmen des mittelalterlich-klassischen Goldgrundes und auch die realistische Darstellung von Stofflichkeit und Faltenwurf zeichnen Giotto hier als Künstler aus, der nicht nur mit einem Fuß im Zeitalter der Renaissance steht.

Inbegriff der Menschlichkeit – der Heilige Franziskus-Mehr im Blog

Auf die Spitze treibt er seine Modernität in Darstellungen von starker Emotionalität, wie im Beispiel der Marktszene, in der er seinem Vater die Kleider zurückgibt. Die Fassungslosigkeit des Vaters, die gottergebene Körperhaltung des Heiligen und die Empörung der Umstehenden, all das macht Giotto zum zu recht gefeierten Renaissancekünstler. Und das ist nicht nur Ausdruck einer ambitionierten Künstlerseele. Der Freskenzyklus des Heiligen in Assisi transportiert eine sehr moderne Botschaft: Franziskus befindet sich nicht in undefiniertem goldenen Himmelsraum. Er blickt nicht von Ferne auf den Menschen hinab. Vielmehr wird er durch die Menschlichkeit und den Realismus der Malerei zu einem echten Menschen, der auf unserer Welt gelebt hat, menschliche Entscheidungen traf und schließlich seinen Weg zu Gott fand.

Bildnachweis

Franziskus sieht sich in einer Vision vom Kreuz her angesprochen (Fresko von Giotto di Bondone, um 1295)
Franziskus gibt seinem Vater die Kleider zurück und verzichtet damit auf seinen Besitz (Fresko von Giotto di Bondone, um 1295)
Wikipedia, gemeinfrei

3. Oktober 2022 || ein Beitrag von Judith Graefe, Akademiereferentin

Veranstaltungshinweis:

5. bis 6. November 2022 (Sa.-So.)
Die Schatzkammer des Bettelordens
San Francesco in Assisi
Seminar mit Dr. Andreas Thiel