Auf ein Wort mit Uwe Appold

Lieber Herr Appold, Sie haben sich für das aktuelle Kunstprojekt „Mit IHM allein. Tage in Gethsemane“ einige Zeit in den Garten von Gethsemane zurückgezogen. Was hat Sie zu diesem ungewöhnlichen Projekt veranlasst?

Als mir eine Spedition einen Sack voll Erde aus dem Garten Gethsemane für die Gestaltung des Hungertuchs 2019/20 anlieferte und ich den Sack öffnete, fasste ich in die Erde hinein. Augenblicklich spürte ich eine Kraft unter meinen Händen, die mir deutlich machte, dass im Garten Gethsemane mit dem Gründonnertaggeschehen die Wurzeln des Glaubens liegen. In dem Moment war entschieden: Ich musste nach Jerusalem, um im Garten zu zeichnen. Der Evangelist Lukas schreibt, Jesus habe bei seinem Gebetsringen Schweiß verloren, der wie Blut auf die Erde getropft sei. Was für eine Dramatik! Der Gottessohn in Todesangst! Deshalb habe ich vor meiner Reise 33 Bilder zu den Todesängsten Jesu gemalt mit dem Titel „ER ist allein“.

Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrem Aufenthalt im Garten Gethsemane gemacht?Appold_Ölbaum im Garten Gethsemane

Wären die 33 Bilder zu den Todesängsten nicht entstanden, hätte ich den neuntägigen Aufenthalt im Garten nicht ausgehalten. Meine Idee war, im Garten die alten Olivenbäume zu zeichnen, die Zeichenblätter mit Erde vom Ort zu versehen und hebräische Zeitungsausschnitte und –ausrisse in die Zeichnungen einzufügen. Damit wollte ich das Gründonnerstagsgeschehen bis in die Gegenwart führen, um zu verdeutlichen, dass wir uns täglich in dem Spannungsbogen von Hingabe und Verrat befinden. In diesem Zusammenhang wollte ich einen Apostel treffen – wenn ich denn schon mal im Garten Gethsemane bin – um mich mit ihm über das Markus-Evangelium zu unterhalten. Ich kam auf Philippus, der uns geschildert wird als ein Mann, der nicht alles verstanden hatte, was ER ihm auftrug. Da ich nicht alles vom Markus-Evangelium verstehe, dachte ich, dass es vielleicht sinnvoll sei, wenn zwei Nichtverstehende miteinander sprechen, um gemeinsam zu verstehen. Es war für mich eine tiefgehende Erfahrung, beim Zeichnen der Olivenbäume fiktive Treffen mit dem Apostel zu erleben, der natürlich nie kam. Ich erlebte im Garten Gethsemane zum ersten Mal in meinem Leben eine „geerdete Spiritualität“.

In zahlreichen Ihrer Arbeiten haben Sie Erde mit verarbeitet, so im aktuellen Misereor-Hungertuch oder auch in Bilderzyklus „Mit IHM allein. Tage in Gethsemane“. Welche Bedeutung hat Erde für Sie?

Die Erde hat als Werkstoff deutliche Heimatbezüge. Da wir nur die eine Welt haben, sollten wir uns angewöhnen, sie als unsere Heimat zu verstehen. Papst Franziskus spricht in seiner Enzyklika von 2015 von dem „Gemeinsamen Haus“. In der Zukunft wird es die Menschheit mit Millionen Klimaflüchtlingen zu tun haben, die alle ihre Heimat verloren haben. Die verhältnismäßig dünne Humusschicht dient auch in der Zukunft dazu, die Feldfrüchte hervorzubringen, die uns alle ernähren müssen. Wir sprechen vom „Mutterboden“ und vom „Vaterland“. Ich habe eine große Sammlung von Erden, kürzlich bekam ich Erde aus Ruanda geschenkt. Je nachdem, in welche Kontexte ich die Erden einbringe, entstehen verschiedene Erinnerungen. Erden aus Ruanda oder einem Konzentrationslager erinnern an Genozid, Erde aus Assisi an Franz von Assisis Sonnengesänge. Erde von den Schlachtfeldern um Verdun mahnt an die Schlacht 1916 mit siebenhunderttausenden von deutschen und französischen Opfern. Erden von vierundzwanzig antiken Städten in Griechenland interpretieren Homers „Odyssee“ um. Erde ist im kollektiven Bewusstsein verankert.

Neben dem eigenen künstlerischen Schaffen ist es Ihnen wichtig, andere Menschen auch zum künstlerischen Tun anzuregen. So ist auch ein Workshop mit Ihnen in der Thomas-Morus-Akademie geplant. Warum ist das künstlerische Schaffen für Menschen so wichtig?

Wir erleben derzeit an den Schulen eine sehr eingeschränkte oder marginalisierte ästhetische Bildung. Damit wird der Verlust einer der wesentlichen Grundlagen für die Persönlichkeitsbildung in Kauf genommen. Schüler*innen lernen in kreativen Fächern wie Kunst, Werken, Musik und Theaterspiel ständig die eigene Position zu überprüfen, um überzeugende Dialoge führen zu können, die aus zuhören und argumentieren bestehen. Sie lernen, wie aus ästhetischen Leistungen Kriterien zur Beurteilung erwachsen können. Das stärkt ihr Selbstgefühl, aus dem Urteilsvermögen erwächst. Es hilft, zu lernen, im Gespräch ästhetische Prozesse nachzuvollziehen, andere Ideen und Meinungen zu respektieren. Aus meiner Sicht ist der Verlust des Respekts, den wir in der Gesellschaft erleben, ein Fiasko für die Zivilisation. Das betrifft nicht nur Jugendliche. Während der Workshops, die ich seit 2018 in Zusammenarbeit mit MISEREOR durchgeführt habe, habe ich mich bemüht, das Selbstgefühl der Teilnehmenden zu stärken, wenn sie ihre zum Teil sehr persönlichen Ansichten und Erlebnisse gemalt haben. Es ist die Wertschätzung für das eigene Tun, die hilft, mit ästhetischer Freude dem häufig grauen Alltag zu begegnen und sie mit anderen in den Workshops zu teilen. Häufig gelingt es, dass die Teilnehmenden sich selber begegnen in Form und Farbe. Dann sind sie wirklich „zuhause“ angekommen.

Sehr geehrter Herr Appold, wir danken Ihnen für das Gespräch. Das Gespräch führte Andreas Würbel.

Hier finden Sie ein Porträt von Uwe Appold.

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Bilder: Uwe Appold

5. April 2020 || empfohlen von Andreas Würbel, Akademiereferent für Kunst, Kultur und Pädagogik