Auf ein Wort mit… Christof Wolf SJ

Brückenbauer zwischen Zen und Christentum

Der Jesuitenpater Hugo Enomiya-Lassalle SJ ist ein wichtiger Pionier des interreligiösen Dialogs. Als junger Missionar begegnete er in Japan dem Zen-Buddhismus, der zeitlebens eine große Faszination auf ihn ausübte. Anlässlich des 30. Todestages von Pater Lassalle sprach Akademiereferent Dr. Matthias Lehnert mit dem Jesuiten Christof Wolf, der einen Film über Leben und Wirken seines Mitbruders gedreht hat.

Pater Hugo Enomiya-Lassalle gilt als ein Pionier im Dialog von Zen-Buddhismus und Christentum. Du hast einen Dokumentarfilm über Pater Lassalles Leben und Wirken gedreht. Wie kam es dazu? Was hat Dich dazu bewogen?
Angefangen hat es im Sommer 2012. Die Schweizerin Anna Gamma erhielt mit Inka Shomei die Bestätigung als Zen-Meisterin in der Glassman-Lassalle Zen-Linie. Die Zeremonie fand im Lassalle-Haus Bad Schönbrunn in der Schweiz statt. Dort gebe ich seit 2004 regelmäßig ignatianische Film-Exerzitien und war eingeladen worden, die feierliche Weihe einer Meisterin im oft als Männerdomäne betrachteten Zen filmisch festzuhalten. Nun ist ein Dreh immer aufwendig, weshalb ich fragte, ob sich die Zeremonie nicht in einen größeren Film einbinden ließe. Christian Rutishauser, der Provinzial der Schweiz, hat den Impuls aufgenommen, und so ist mit ihm zusammen die Idee entwickelt worden, einen Film zum interreligiösen Dialog zu drehen. Das ist eigentlich sehr abstrakt, aber in der Verbindung von Lassalles Lebensgeschichte mit dem Thema Zen und Christentum schien es erzählbar. Im Zuge der Recherchen habe ich dann festgestellt, dass es eine blühende, fast nicht zu überschauende Zen-Szene in Deutschland, in der Schweiz und im übrigen Europa gibt. Im Film haben wir uns deshalb auf die Glassman-Lassalle Zen-Linie beschränkt, sozusagen auf drei Generationen: die Gründerfiguren Lassalle und Glassman, die zweite Generation mit Niklaus Brantschen und die dritte mit Anna Gamma. Eine wichtige Figur war ferner Willigis Jäger.

Bernie Glassman kannte ich noch aus meiner Zeit in New York, über ihn habe ich 2006 einen Dokumentarfilm „Anweisungen für den Koch. Rezepte für ein gelungenes Leben“ gedreht, und er war auch von unserm Filmprojekt begeistert.

Fasziniert hat mich, wie man so tief in eine andere Religion eintauchen und dennoch Christ bleiben kann. Das Zweite Vatikanum hat mit der Enzyklika „Nostra Aetate“ wohl explizit dazu ermutigt, es dann aber zu tun, ist doch etwas ganz anderes. Und wie man bei Willigis Jäger sieht, klappt es durchaus nicht immer reibungslos.

Ich habe mich gefragt, wie es möglich ist, einen Film über einen Menschen zu drehen, der so viel Lebenszeit still sitzend verbracht hat. Zudem war Pater Lassalle bereits lange verstorben, als Du mit den Arbeiten zu Deinem Film begannst. Auch zu Lebzeiten soll Pater Lassalle wenig über sich und sein Leben gesprochen haben. Wie bist du also vorgegangen und worauf kam es Dir bei Deiner Arbeit an?
Ich hätte Lassalle theoretisch noch persönlich begegnen können – die Mauer war ja 1989 gefallen. Lassalle war aber auch in der DDR kein Unbekannter. Er hat in Dresden Zen-Sesshins geleitet. Vo allem aber war auch sein Buch „Am Morgen einer besseren Welt. Der Mensch im Durchbruch zu einem neuen Bewusstsein“ (Herder 1984) stark rezipiert worden. Ich selber habe Zen und Kontemplation im Lassalle-Haus seit 1998 kennen und schätzen gelernt. Damals habe ich Lassalles Buch „Zen-Unterweisung“ gelesen. Das hat mich sehr beeindruckt und darin bestärkt, auf dem kontemplativen Weg weiterzugehen. Ferner war Lassalle in alten Filmdokumenten aus den 1980er Jahren zu sehen – er wirkte sehr hager, humorvoll, aber auch vom Leben gezeichnet. Ein Glücksfall war die ausführliche Lassalle-Biographie von Ursula Baatz. Sie hat jahrelang seine Tagebücher studiert und uns vor allem Einblicke in sein Innenleben vermittelt, die uns mit seinen Freuden, aber auch seinen tiefen Selbstzweifeln vertraut machten. Damit haben wir dann im Team ein paar Wochen gemeinsam kreativ am Drehbuch gearbeitet. Ein großes Geschenk war auch das Mitwirken von Maximilian Knauer, der selber Zen-Buddhist war und so immer auch die Perspektive der „anderen Seite“ einbrachte. Inhaltlich war für den Film klar: Er spannt sich über fast 100 Jahre, und wir mussten Zen erzählen, erklären und einordnen, was Michael von Brück hervorragend geleistet hat. Und wir wollten versuchen, den „Weg der Erleuchtung“ im Zen zu visualisieren. Das kann man ja schon kaum in Worte fassen. Glücklicherweise gibt es im Zen die Geschichte der zehn Ochsenbilder, die diesen Weg darstellen. Wir haben die Bilder denn auch als animierte Eröffnungssequenz dem Film vorangestellt. Der Weg der Ochsenbilder strukturiert zugleich kapitelartig den ganzen Film.

Wie stellt man eigentlich Transzendenz dar, also etwas, das unsere Alltagserfahrung übersteigt? Im Film haben wir es mit der Perspektive über den Wolken versucht, wie wir sie vom Fliegen oder von Satellitenbildern her kennen. So gibt es keine Überblendungen von Einstellung A zu B, sondern die Bilder „tauchen“ immer durch Wolken in eine neue Sequenz. Wenn ein Zen-Meister einem Schüler die Erleuchtung bestätigt, dann gibt er ihm oder ihr auch einen Namen. Interessanterweise ist bei vielen „Wolke“ ein Bestandteil ihres Namens. Lassalles Name war „Ai-un“, das heißt: „Wolke der Liebe“.

Und dramaturgisch ist der Film natürlich auch ein bisschen die Reise des Helden, wenn auch eine mit vielen Überraschungen und verrückten Wendungen.

Erstaunlich finde ich, dass Pater Lassalle Missionar in Japan war und dann zu einer zentralen Gestalt des interreligiösen Dialogs wurde. Das „missionarische“ und das „dialogische“ Prinzip scheinen sich in den Augen vieler gegenseitig auszuschließen. Für Pater Lassalle gilt dies offenbar nicht. Wie hat er seinen Auftrag als Missionar verstanden? Inwiefern ist Pater Lassalle ein „Brückenbauer zwischen Zen und Christentum“, wie der Untertitel deines Films lautet?
Lassalle wollte eigentlich nach Afrika in die Mission gehen. Er war von den Berichten der Jesuitenmissionare begeistert. Der Ordensgeneral hat ihn jedoch stattdessen nach Japan gesandt. Gut jesuitisch hat Lassalle sich auf seine Mission in Japan vorbereitet, hat die Mystiker, vor allem auch Zen studiert und die japanische Sprache gelernt. 1929, eine Woche vor dem „schwarzen Freitag“, kam er in Tokio an. Er hat sich in die japanische Kultur eingelebt und war mit der Zeit völlig inkulturiert. 1948 ist er sogar japanischer Staatsbürger geworden – daher sein Name Makibi Enomiya. Lassalle hatte offensichtlich keine Berührungsängste und wurde als Dialogpartner von den Japanern sehr geschätzt. Wenn man bedenkt, dass die Christen einst in Japan sehr grausam verfolgt wurden, ist es schon ein kleines Wunder, dass er kurz nach dem Krieg mit den „Zen-Bonzen“ zusammenarbeiten konnte. Lassalle wusste, dass Zen ein Schlüssel zur japanischen Gesellschaft ist, ja prägend für Japans Kultur. Deshalb dachte er, die Zen-Meditation könnte als Methode hilfreich sein für die Mission. Allerdings hat Lassalle unterschätzt, dass Japaner, die sich für das Christentum entschieden hatten, seine Begeisterung für die Zen-Meditation nicht teilten, denn diese hatten sie ja gerade hinter sich gelassen. Seine Mission wurde dann mehr in Europa Wirklichkeit. Im Alter von 69 Jahren hielt er einen vielbeachteten Vortrag über „Zen und christliche Spiritualität“ auf einem Kongress in Schloss Elmau. Dieser war sozusagen der Durchbruch für eine rasch wachsende Zen-Bewegung in Deutschland und ganz Europa. Lassalle hat unzählige Zen-Kurse auf der ganzen Welt gegeben. Sein eigentlicher Traum war jedoch, ein geistliches Zentrum in Japan aufzubauen. Diesen Traum hat er denn auch nach langem, geduldigem Kampf gegen mancherlei Widerstände realisieren können. Er war in seiner Mission regelmäßig zwischen Asien und Europa unterwegs. Praktisch die erste Generation Zen-Begeisterter aus Europa ist durch seine Schule gegangen. Er wurde so Brückenbauer zwischen Zen und Christentum, da er lebte, was er lehrte und wofür er stand. Und persönliche Vorbilder sind ja die stärkste Motivation, die Menschen im Leben erfahren können.

Nach einem langen und bewegten Leben starb Pater Lassalle vor 30 Jahren. Welche Aspekte seines Lebens und Wirkens weisen auch heute noch in die Zukunft? Warum sollten sich Christen auch im 21. Jahrhundert mit Pater Lassalle, seinen Schriften und dem Zen beschäftigen?
Lassalle war sicher vom schier hautnahen Überleben der Atomkatastrophe in Hiroshima geprägt. Das hat ihm gezeigt, wie kostbar das Leben ist. Mit ganz viel Geduld hat er die Herausforderungen seines doch steinigen Lebensweges angenommen und gemeistert. Immer wieder musste er Niederlagen einstecken. Er wollte sogar mit fast 70 Jahren aus dem Orden austreten, weil die Ordensoberen ihm verboten hatten, sich weiter mit Zen zu beschäftigen. Aber immer hat sich doch noch ein Ausweg gezeigt. Und Lassalle hat trotz all seiner Selbstzweifel nie aufgeben. Kurz vor seinem 80. Geburtstag hat er dann die lang ersehnte Bestätigung als Zen-Lehrer von Yamada Kôun Roshi bekommen. Das war schon außergewöhnlich. Die meisten Menschen denken doch Anfang sechzig daran, wie sie ihren letzten Lebensabschnitt gestalten wollen. Für Lassalle kam der Durchbruch – und damit der Beginn des Erfolgs – erst mit knapp 70 Jahren. Das ist auch Ermutigung für unsere Zeit. Gott hält sich nicht an unsere Zeitpläne und Erwartungen. Wer offen bleibt, wird von ihm immer wieder überrascht. Ein wichtiges Ereignis vor seinem „Kensho“ (Erleuchtung) damals war der Tod eines lieben Mitbruders. Lassalle, der nicht hatte weinen können, als er im Ersten Weltkrieg seinen Lieblingsbruder verlor, ließ nun seinen Tränen freien Lauf. „Jetzt, als ich weich wurde, war ich bereit, eine Zen-Erfahrung zu machen.“ Biblisch könnte man sagen, er habe die Grunderfahrung des heiligen Paulus gemacht: Erst im Zulassen und Annehmen unserer Schwachheit wird uns eine tiefe Gotteserfahrung geschenkt. Die Stärke, die aus der Schwäche kommt. Das ist auch ein Berührungspunkt mit der ignatianischen Spiritualität: In den großen Exerzitien des Ignatius ist das eine Grunderfahrung. Gott liebt uns und nimmt uns an, wie wir sind, wir müssen nichts spielen oder leisten, wir sind gut, wie wir vor Gott sind. Das ist für uns heute in einer streng ökonomisierten Leistungsgesellschaft ein starkes „agere contra“. Meine Würde verdiene ich mir nicht, sie ist unverfügbar. Deshalb ist auch ein gesellschaftliches Scheitern nicht das Ende meiner Welt. Das lässt mich wirklich innere Freiheit erfahren. Lassalle hat das gelebt und erlebt.

Zen-Meditation fasziniert besonders durch die religiöse Erfahrung. In einem gewissen Sinn hat der Zen-Buddhismus ja keine Dogmatik wie wir sie im Christentum kennen. Wer aber von dieser die religiöse Erfahrung abkoppelt und Kirche mit Dogmatik gleichsetzt, hat sie nicht verstanden. Uns Christen ist der Gedanke der Leere oder der mystischen Erfahrung nicht fremd. Wir können uns auch auf unsere eigenen mystischen Traditionen besinnen, auf Teresa von Ávila oder Meister Eckhart.

Lassalle hat in den letzten Lebensjahren immer wieder von einem neuen Bewusstsein gesprochen. Da ist er ganz modern. Die Zen-Erfahrung des „All-Eins-Seins“ oder auch das Wort Jesu in seinen Abschiedsreden im Johannes-Evangelium „alle sollen eins sein“ entspricht im Grunde dem, was uns heute sinnvolle Globalisierung lehren will. Es reicht nicht, dass es mir gut geht – wir sind eine ganze Menschheitsfamilie. Wir nennen das vielleicht nicht neues Bewusstsein, aber eine nachhaltige Ökologie in einer gerechten Gesellschaft mit Verantwortung für unseren Planeten Erde ist ja aktueller denn je.

Vielen Dank für das Gespräch!

Eine Auswahl der Werke von Hugo Enomiya-Lassalle SJ

  • Am Morgen einer besseren Welt. Der Mensch im Durchbruch zu einem neuen Bewusstsein. Herder, Freiburg im Breisgau, 1984.
  • Kraft aus dem Schweigen. Einübung in die Zen-Meditation. Patmos Verlag, Ostfildern, 2012.
  • Zen unter Christen: Östliche Meditation und christliche Spiritualität. Topos plus, Kevelaer, 2016.

Biographien

Die erwähnte Lassalle-Biographie von Ursula Baatz ist 1998 unter dem Titel „Hugo M. Enomiya-Lassalle. Ein Leben zwischen den Welten.“ im Benziger Verlag erschienen, aber mittlerweile vergriffen. Eine kürzere Biographie, ebenfalls von Ursula Baatz verfasst, erschien 2017 unter dem Titel „Hugo Makibi Enomiya-Lasalle: Mittler zwischen Buddhismus und Christentum“ bei topos plus.

Zum Film von P. Christof Wolf SJ

Zur Website des Films geht es hier, den gesamten Film können Sie beispielsweise unter diesem Link leihen oder kaufen.

Bilder

Japanische Brücke. Bild von bluesbby auf Flickr (CC BY 2.0)
Hugo Makibi Enomiya-Lassalle. Bild von Grentidez auf Wikipedia, (CC BY-SA 3.0)

12. Juli 2020 || ein Interview von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent Forum:PGR

Christof Wolf SJ (*1970 in Chemnitz) ist CEO und Executive Producer der Loyola Productions Munich GmbH und der DOK TV & Media GmbH.